© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Gabriels Rechnung
Niedersachsen: Nach dem Sieg von Rot-Grün in Hannover ist die Berliner Koalition praktisch am Ende
Paul Rosen

Als „Startrampe“ für Berlin im Herbst sollte die niedersächsische Landtagswahl dienen, hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel angekündigt. Die Rechnung des sozialdemokratischen Schwergewichts könnte aufgehen. Die schwarz-gelbe Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist seit dem hauchdünnen Wahlgewinn von Rot-Grün in Hannover am Ende. Das heißt natürlich nicht, daß Merkel selbst am Ende ist.

Selbst wenn Union und FDP im Herbst bei der Bundestagswahl eine Mehrheit erreichen würden, wäre ihr gesetzgeberischer Handlungsspielraum eng begrenzt. Im Bundesrat steht der schwarz-gelben Regierungsmehrheit mit der Wahl des bisher völlig unbekannten SPD-Mannes Stephan Weil zum neuen niedersächsischen Ministerpräsidenten eine stabile rot-grüne Mehrheit mit rot-roter Unterstützung entgegen. Besonders in der wichtigen Steuerpolitik geht ohne den Bundesrat gar nichts. Und rot-grüne Politiker haben hier schon zu erkennen gegeben, daß sie von steuerlichen Entlastungen nichts halten. Der Trend heißt höhere Steuern und mehr Staat und damit letztendlich weniger Eigenverantwortung und Freiheit.

Die niedersächsischen Zahlen zeigen aber auch, daß Merkel in ihrer Partei nicht gefährdet ist – noch nicht. Die niedersächsische CDU hätte ohne die Unterstützung eines Teils ihrer Wähler für die untote FDP etwa 42 Prozent der Stimmen erzielt. Das wäre ein Rekordergebnis gewesen, und ähnliche Werte zeigen auch die derzeitigen Umfragen auf Bundesebene. Dieser Teil der Wähler ist eigentlich auf der Flucht. Die CDU gefällt ihnen nicht so richtig; mit verkniffener Miene hat man dann FDP gewählt, um Rot-Grün zu verhindern. Da das alles nichts gebracht hat, weiß man allerdings nicht, wie sich solche Wähler bei der Bundestagswahl verhalten werden: Ob sie zur CDU reumütig zurückkehren, doch noch „ein letztes Mal“ FDP wählen oder in die Enthaltung flüchten.

Auf jeden Fall zeigt das Ergebnis auch, daß der Hang der Wähler zu Alternativen unter den Kleinparteien begrenzt ist. So erreichten die Freien Wähler mit ihrem Euro-kritischen Kurs 1,1 Prozent während die islamkritische Partei Die Freiheit gerade einmal auf 0,3 Prozent der Stimmen kam. Für ihr letztlich enttäuschendes Abschneiden machen die Freien Wähler unter anderem „massive Behinderungen“ durch Medien und Mitbewerber verantwortlich. Die Kritik richtete sich insbesondere an die CDU: „In Niedersachsen hätten jetzt schon die 40.000 Stimmen der Freien Wähler für eine bürgerliche Mehrheit gereicht, die CDU hat sich mit dem ‘Kleinhalten’ der Freien Wähler also selbst geschadet“ , heißt es in einer Wahlanalyse der Partei. Jetzt müsse man sich darauf konzentrieren, die Strukturen weiter auszubauen. „Wir brauchen nicht zuletzt neben dem Euro-Rettungsschirmthema ein klares, inhaltliches Profil, das uns von Mitbewerbern deutlich abhebt.“

Für Angela Merkel und ihre CDU würde ein Ergebnis von 40 bis 42 Prozent aller Wahrscheinlichkeit bedeuten, daß ohne sie bei einer Regierungsbildung im Herbst nichts geht. Zwar mögen SPD- und Grünen-Politiker noch so oft betonen, daß der gesellschaftlichen rot-grünen Mehrheit jetzt die parlamentarische folgen werde, doch wäre dies nur bei einem Ausscheiden der Linkspartei aus dem Bundestag denkbar. Damit kann derzeit trotz der desaströsen Lage der West-Linken nicht gerechnet werden.

Folglich könnte am Ende wieder eine Neuauflage der großen Koalition stehen – mit einem SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück als Vizekanzler und Finanzminister. Dessen Schicksal wäre am Abend der Niedersachsenwahl beinahe besiegelt gewesen, als erste Umfragen noch eine Mehrheit für CDU und FDP im Landtag von Hannover voraussagten. Vorzeitig räumte er ein, was trotzdem richtig war: Rückenwind aus Berlin habe es für die niedersächsische SPD nicht gegeben. Eine große Koalition hätte für die CDU/CSU den Vorteil, daß das Bundesratsproblem neutralisiert wäre. Die Einbindung der SPD als Regierungspartner würde ihre Verpflichtung in den Ländern nach sich ziehen, im Bundesrat nicht gegen die Politik der eigenen Regierung zu stimmen. Merkel könnte weitermachen und sich im Bundesrat nach Bedarf die Stimmen gegen finanzielle Zusicherungen an die Länder zusammenkaufen.

Das erklärt, warum bei den Grünen, den eigentlichen Gewinnern der Wahl, die Stimmung doch nach kurzer Zeit wieder abkühlte. Der so nah aussehenden Regierungsbeteiligung in Berlin sind die Grünen-Spitzenpolitiker Claudia Roth und Jürgen Trittin trotz des Erfolges in Niedersachsen keinen Schritt näher gekommen. Trittins großer Traum, noch einmal Minister und dann erster grüner Bundespräsident zu werden, kann noch, muß aber nicht in Erfüllung gehen. Für Trittins Traum müßten Union und Grüne ein Bündnis eingehen. Das würde auch die Bundesratsproblematik lösen, weil rot-grüne Landesregierungen sich dann nicht mehr zu Blockadeaktionen beteiligen dürften und die SPD allein in der Länderkammer keine Mehrheit zusammenbekommen würde. Aber die Wahrscheinlichkeit spricht derzeit eher gegen Schwarz-Grün.

Foto: Angela Merkel und David McAllister am Montag in Berlin: Die große Koalition im Blick