© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Begeisterung für Bürgermeisterin Fatima
Integration: Eine Veranstaltung in Hamburg entwickelt Visionen für eine von Einwanderern geprägte Hansestadt im Jahr 2030
Nils Wegner

Als sich der ältere Herr zu Wort meldet, ist es plötzlich ruhig im Saal des „Körber Forums“ in der Hamburger Hafencity. Dann aber sagt er, Eltern aus bildungsfernen Schichten, gerade Ausländer, müßten zur Förderung ihrer Kinder hinsichtlich Bildung und Integration angehalten werden. Dazu bräuchten sie Hilfe; ob denn vielleicht verpflichtende Fortbildungen eine Möglichkeit wären? Da bricht Gelächter unter den rund 200 Zuhörern aus – und da der ältere Herr nicht zu verstehen scheint, warum er ausgelacht wird, erklärt es ihm Filiz Demirel, türkischstämmiges Bürgerschaftsmitglied der Grünen, noch einmal mit einem süffisanten Lächeln.

Zwang komme überhaupt nicht in Frage, stattdessen müsse man „die Begeisterung wecken“. Überhaupt stand bei der Podiumsdiskussion „Hamburg 2030: Integration und Vielfalt“, zu der die Körber-Stiftung zusammen mit dem NDR geladen hatte, ganz das Fördern im Vordergrund. Neben Demirel auf dem Podium sprachen die als Kind aus Ghana eingewanderte und bei einer deutschen Pflegefamilie aufgewachsene Lehrerin Gloria Boateng, Gründerin der Initiative „SchlauFox e. V.“, sowie mit der Politikwissenschaftlerin Gunilla Fincke die Geschäftsführerin des „Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration“.

Die Körber-Stiftung versteht sich selbst als „Forum für Impulse“, und getreu dem ausgehangenen Motto „Für Menschen, die nicht alles so lassen wollen, wie es ist“ klangen auch die einleitenden Worte der Leiterin des Bereichs Gesellschaft, Karin Haist: Ihre ganz spezielle Version für das Jahr 2030 seien eine Erste Bürgermeisterin namens Fatima, ein demographischer Schub durch den Zuzug von 60.000 indischen Fachkräften sowie eine verpflichtende Besetzung von 40 Prozent der öffentlichen Stellen in der Hansestadt mit Migranten.

Nachdem das Publikum im „Körber Forum“ diese Visionen mit anhaltendem Beifall quittiert hatte, kam die Expertenrunde zu Wort. Schnell war, trotz bemüht kontroverser Moderation, der Konsens gefunden: Gerade angesichts des sehr schlechten Abschneidens Hamburgs in Bildungsstudien brauche es noch viel mehr Förderangebote für Eltern wie auch die frühkindliche Bildung, um „bessere Zahlen zu zaubern“ (Boateng). Zwar sei die Bedeutung des Elternhauses für die Bildung der Kinder noch immer ein „Problem“ (Fincke), doch „bessere“ sich dies dank politischer Regulierung allmählich. Immerhin machte man sich keine Illusionen über die Wirksamkeit alljährlicher Schulreformen; vielmehr müsse man das Gesamtbild sehen und, wie insbesondere Demirel betonte, vermittels einer „interkulturellen Öffnung in allen Bereichen“ zu einer „Wir-Gesellschaft finden“.

Demgegenüber stünde die Politik, die den Abbau von Abgrenzungsbedürfnissen behindere. So war man denn auch mir nichts, dir nichts bei den „Dönermorden“, die allein durch die Namensgebung wie auch durch die Ermittlungen der Polizei im familiären Umfeld der Opfer ebenso „verheerend wie Sarrazin“ (Fincke) gewirkt hätten – ohne all dies könne und würde es „allen viel besser gehen“.

Trotz aller Klagen sei die Lösung zum Greifen nahe; darin waren sich dann in der Schlußrunde doch alle Beteiligten im Saal einig. Vor allem müsse man, so das Fazit, „mehr miteinander reden“. Die Migranten bedürften vermehrter Chancen, auch und gerade wenn sie nicht die deutsche Staatsbürgerschaft anstrebten. Neben der Politik sei dies vor allem Aufgabe der Zivilgesellschaft: Jeder einzelne, so Fincke, müsse sein „Herz aufmachen und Neues hereinlassen“.