© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Staatspleite leichter gemacht
Finanzkrise: Die Länder der Euro-Zone geben nur noch Anleihen mit integriertem Gläubigerverzicht heraus
Thorsten Polleit

Seit dem Januar dieses Jahres werden alle neu emittierten Euro-Staatsanleihen, die eine Laufzeit von mehr als einem Jahr haben, mit einer sogenannten „Collective Action Clause“ (CAC) versehen. Diese Klausel erlaubt staatlichen Emittenten, ihre Zins- und Tilgungsverpflichtungen zu verändern oder teilweise oder auch ganz einzustellen, wenn entweder nicht weniger als 75 Prozent der Investoren, die die Anleihen halten, auf einem Gläubigertreffen ihre Zustimmung dazu geben oder nicht weniger als zwei Drittel der Investoren schriftlich zustimmen.

Die für alle Euro-Staaten geltende Neuregelung wurde 2011 von den Euro-Ländern beschlossen und schließlich 2012 im Zusammenhang mit dem umstrittenen Vertrag zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zur sogenannten Euro-Rettung umgesetzt. Durch die Einführung der CAC entfällt folglich der bisher langwierige und für den Staatsschuldner politisch meist höchst peinliche Verhandlungsmarathon – wie jüngst im Falle Griechenlands – mit allen seinen Kreditgebern.

Die Einführung der CAC hat bedeutsame Folgen für den Staatsanleihenmarkt im Euroraum. Bekanntlich sind die Staaten ja Dauerschuldner. Bei Fälligkeit ihrer Schulden zahlen sie ihre Verbindlichkeiten nur in den seltensten Fällen wirklich zurück: Sie zahlen die Rechnung mit dem Geld zurück, das sie sich durch Ausgabe neuer Anleihen beschafft haben. Zusätzlich dazu finanzieren sie auch noch ihre chronischen Haushaltsdefizite durch die Ausgabe von neuen Schuldverschreibungen. Im Zeitablauf werden folglich schrittweise alle Altschulden durch Neuschulden ersetzt, die mit einer CAC ausgestattet sind; und so werden früher oder später alle Euro-Staatsschulden eine CAC haben.

Die Einführung der CAC ist vor allem aus zwei Gründen zu begrüßen. Erstens erleichtert die Klausel es, eine staatliche Überschuldungssituation durch Nicht-Rückzahlung (Staatspleite) zu korrigieren – und das wiederum mindert den politischen Anreiz, die elektronische Notenpresse anzuwerfen, um die Staatsschulden mit entwertetem Geld zurückzuzahlen. Die CAC wirkt aber nicht nur einer Inflationspolitik, der volkswirtschaftlich wohl teuersten Politik der Staatsentschuldung, entgegen. Sie sorgt auch dafür, daß der Kreditgeber für eine schlechte Investitionsentscheidung selbst die Konsequenz – sprich den Verlust – zu tragen hat. Der Anreiz, sorgsam zu investieren, nimmt zu.

Zweitens trägt die Einführung der CAC dazu bei, den Mythos „mündelsicherer“ (Paragraph 1807 BGB) Staatsanleihen zu entzaubern. Viele Sparer und Investoren sehen nämlich Staatsschuldpapiere als eine absolut risikolose und (wenn auch nur gering) rentierliche Anlage an. Diese trügerische Einschätzung scheint zunächst nachvollziehbar: Solange der Staat nicht zu stark verschuldet ist, kann der Anleger relativ sicher sein, die versprochenen Zins- und Tilgungszahlungen zu erhalten.

Doch die Zahlungsmoral des Staates wird in aller Regel nur vorübergehend gut sein. Gerade in demokratisch verfaßten Staaten steigt nämlich die Staatsverschuldung chronisch an, und vermutlich so weit, bis der Staat letztlich überschuldet ist, der Staatsbankrott ins Haus steht und der Halter der Staatsanleihe der Dumme ist.

Der Grund dafür ist, daß Politiker wiedergewählt werden wollen. Das läßt sich am besten erreichen, indem die Volksvertreter breiten Wählerschichten finanzielle Wohltaten versprechen, die diese entweder selbst nicht erwirtschaften können und/oder wollen. Das Wahlvolk läßt nur zu gern das finanzielle Füllhorn über sich ausschütten – vor allem dann, wenn die Wähler davon ausgehen, daß nicht sie, sondern andere die Rechnung zu bezahlen haben.

Für Regierende und Regierte gleichermaßen wird daher die Staatsverschuldung zur attraktiv(st)en Finanzierungsform für die staatliche Bereicherungs- und Umverteilungspolitik. Denn die Staatsverschuldung erlaubt es den Regierungen, sich die zur Wiederwahl erforderlichen Geldmittel „geräuschlos“ und ohne Widerstand beschaffen zu können, vor allem dann, wenn Sparer und Investoren glauben, Staatsanleihen seien eine „risikolose“ Geldanlage.

Die Ausstattung der Staatsanleihen mit einer CAC sollte sich tendenziell in steigenden Zinsen niederschlagen, schließlich erhöht sich ganz augenscheinlich das Ausfall- und Verlustrisiko für die Investoren. Das ist durchaus positiv zu bewerten: Steigende Anleihezinsen verteuern die Staatsverschuldung – mit der ja ohnehin nur relativ unproduktive Projekte finanziert werden – und machen sie für Regierende und Regierte weniger attraktiv. Steigende Zinsen verteuern aber nicht nur die Neuverschuldung, sondern sie erhöhen auch die Zinskosten auf die zu refinanzierenden Altschulden. Beides belastet den laufenden Haushalt und damit den Steuerzahler, so daß eine Rückführung von Alt- und Neuverschuldung politisch attraktiv(er) wird.

Es ist jedoch auch der Fall denkbar, in dem die Einführung der CAC in Staatsanleihenverträge nicht produktive, sondern destruktive Kräfte freisetzt. Das ist dann der Fall, wenn den großen Kapitalsammelstellen (wie beispielsweise Versicherungen, Pensionsfonds oder Kapitalanlagegesellschaften) gesetzlich vorgeschrieben wird, das Geld ihrer Kunden in Staatsanleihen, die nun mit CAC ausgestattet sind, anzulegen. Der Staat erzeugt so nicht nur eine künstliche Nachfrage nach seinen eigenen Schuldpapieren. Es wird ihm auch erleichtert zu verkünden, daß die Staatsschulden (teilweise) nicht mehr zurückgezahlt werden: Die verbleibenden „Fluchtmöglichkeiten“ aus den Staatsanleihen sind dann nämlich nur noch sehr gering. Für Sparer, die ihr Geld zum Beispiel bei Lebensversicherungen oder staatlich geförderten Riester-Rentenverträgen angelegt haben, könnte es nun aus einem weiteren Grund ein böses Erwachen geben (JF 47/12).

In Deutschland liegt – und das sollte die Sparer aufschrecken lassen – genau dieser Fall schon vor. Die gesetzlichen Anlagevorschriften geben den großen Kapitalsammelstellen bereits Anreize, ja zwingen sie ökonomisch gewissermaßen, hauptsächlich in Staatsanleihen zu investieren: Europäische Staatsanleihen gelten nämlich aus Sicht des deutschen Gesetzgebers als „sicher“ (das gilt nach wie vor auch für griechische Staatsanleihen) und müssen daher nicht mit knappem und teurem Eigenkapital unterlegt werden. Mit der angestrebten EU-Versicherungsregulierung „Solvency II“ wird sich das noch verschärfen.

Die geschichtliche Erfahrung führt jedem Sparer und Investor unmißverständlich vor Augen, daß letztlich die Begleichung der Staatsverschuldung entweder durch Staatsbankrott oder aber, was im Grunde das gleiche ist, im Zuge einer Geldentwertungspolitik erbracht wird. Staatsanleihen sind also kein sicheres Sparinstrument; allenfalls vorübergehend scheinen sie es zu sein. Die Einführung der CAC paßt sich nahtlos in dieses Bild ein.

 

Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Chefökonom von Degussa und Präsident des Ludwig-von-Mises-Instituts Deutschland.

www.thorsten-polleit.com