© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Stachel im Fleisch
Frankreich: Zehn Jahre nach seiner Gründung steht der neurechte „Bloc Identitaire“ an einer Wegscheide
Alain de Benoist

In der Morgendämmerung des 21. Oktober 2012 besetzten Aktivisten der Génération Identitaire, der Jugendbewegung des Bloc Identitaire, das Gelände der im Bau befindlichen Großmoschee von Poitiers. Es gelang ihnen, aufs Dach zu klettern und von dort aus ein Transparent aufzuhängen, auf dem sie eine Volksabstimmung zum Moscheebau und zur Einwanderung forderten.

Die Aktion war unter strengster Geheimhaltung geplant und vorbereitet worden, die Presse wurde erst in letzter Minute über den Ort des Geschehens informiert. Erst nach einer zehnstündigen Besetzung gelang es der Polizei, die Demonstranten vom Dach der Moschee zu vertreiben und festzunehmen. Gegen einige von ihnen wurde Anzeige wegen „Anstachelung zum Rassenhaß“ erstattet, sie wurden zudem unter Hausarrest und richterliche Überprüfung gestellt. Die Regierung mußte ihre Versuche, eine Auflösung der Bewegung zu erwirken, mangels Beweisen einstellen.

Der Bloc Identitaire wurde 2003 auf Initiative des heutigen Präsidenten Fabrice Robert (38 Jahre, Politikwissenschaftler, wohnhaft in Nizza) ins Leben gerufen. Offiziell hat er sich zum Ziel gesetzt, „die jungen Franzosen und Europäer zusammenzuschließen, die stolz auf ihre Wurzeln und ihr Erbe sind“. Bald nach seiner Gründung machte der Bloc Identitaire durch medienwirksame Aktionen und „Lobby“-Initiativen auf sich aufmerksam, die ihm eine gewisse Beliebtheit vor allem unter jungen Menschen eintrugen.

Von anderen Bewegungen ähnlicher Ausrichtung hebt sich der Bloc Identitaire gerade durch seinen Einfallsreichtum bei der Organisation derartiger Veranstaltungen ab. Die Besetzung der Moschee in Poitiers war nur der vorerst letzte Streich in einer Serie von originellen Protestaktionen. In der Vergangenheit wurden Petitionen gegen „Rassismus gegen Weiße“ in Umlauf gebracht, Kampagnen für das Verbot bestimmter Rap-Bands geführt, zu sogenannten „Apéros Pinard-Saucisson“ aufgerufen, Volksverköstigungen mit Wurst und Wein auf offener Straße und gewöhnlich in der Nähe einer Moschee, „Identitätssuppe“ (mit Schweinefleisch) an Obdachlose verteilt usw. Gerne demonstrieren Mitglieder auch im Schweinekostüm in Restaurants, die Halal-Fleisch anbieten. Außerdem hat der Bloc Identitaire in verschiedenen Regionen „Häuser der Identität“ gegründet und betreibt im Internet eine Nachrichtenagentur (Novopress.info).

Der Bloc Identitaire pflegt enge Beziehungen zum Vlaams Belang und vor allem zu leitenden Figuren der italienischen Lega Nord, etwa dem Europaabgeordneten Mario Borghezio. Dem Rassismus und Antisemitismus erteilt er eine eindeutige Absage. Eine seiner Unterorganisationen, Solidarité-Kosovo, unterstützt die serbische Minderheit im Kosovo regelmäßig mit humanitären Hilfslieferungen von Medikamenten und Kinderspielzeug. Von der geplanten Aufstellung ihres Kandidaten Ar­naud Gouillon bei den Präsidentschaftswahlen 2012 mußte die Organisation letztlich absehen.

Die Beziehungen zum Front National gestalten sich kompliziert. Vor einigen Jahren, als dem Front National unter dem Vorsitz des alternden Jean-Marie Le Pen der Niedergang zu drohen schien, deutete einiges darauf hin, daß der Bloc Identitaire den Stab übernehmen könnte. Der Machtantritt Marine Le Pens machte diese Hoffnung zunichte und bedeutete zugleich das Scheitern der Strategie, die die Führung des Bloc Identitaire bis dahin verfolgt hatte. Inzwischen hat der Bloc Identitaire jegliche Ambitionen auf eine Parteigründung aufgegeben. Heute gefällt er sich eher in der Rolle eines „Stachels“ im Fleische der Einwanderungspolitik und der „Islamisierung Frankreichs“.

Tatsächlich verhalten sich die Dinge ein wenig komplizierter. Im vergangenen Jahr kam es zu einer inneren Spaltung, in deren Folge die Fraktion, die einem Bündnis mit dem FN am kritischsten gegenüberstand, aus der Bewegung austrat. Die verbliebene Führungsmannschaft, allen voran Fabrice Robert, befürworten Zweckbündnisse auf lokaler Ebene, etwa bei Kommunal- oder Regionalwahlen (wie es etwa in Nizza auf Initiative von Philippe Vardon geschah).

Die Parteispitze des Front National sieht dies hingegen äußerst kritisch. Da ist die Rede von „grundsätzlichen Differenzen“. Marine Le Pen selber hat die regionalistische und „europäistische“ Ausrichtung auf das heftigste kritisiert. Unter ihrer Führung setzt der FN auf ein ultra-laizistisches und jakobinisches Programm, das Regionalsprachen ablehnt und ein Verbot von „Gemeinschaften“ aller Art in die Verfassung einschreiben will. Dagegen will sich der Bloc Identitaire auf drei Ebenen zugleich für die Verteidigung der Identität einsetzen: regional, landesweit und europaweit. Er ist zwar EU-feindlich eingestellt, fordert jedoch ein „anderes politisch mächtiges Europa“, während der FN keinesfalls über den nationalstaatlichen Rahmen hinausgehen will. Eben deswegen hat Marine Le Pen im November vergangenen Jahres eine Doppelmitgliedschaft kategorisch untersagt: Mitglieder des Bloc Identitaire, die dem FN beitreten wollen, werden dort nur nach einem vorherigen Austritt aus der Identitätsbewegung aufgenommen.

Zu seinem 4. Konvent, der am 3. und 4. November im südfranzösischen Orange abgehalten wurde, hatte der Bloc Identitaire zahlreiche Prominente, so den Schriftsteller Renaud Camus, sowie mehrere ausländische Delegationen eingeladen. Jean-Marie Le Pens Enkelin Marion Maréchal-Le Pen, die seit den vergangenen Parlamentswahlen für den FN in der Nationalversammlung sitzt, lehnte die Einladung getreu ihrer Parteilinie mit den Worten ab: „Wir haben nicht viel mit dem Bloc Identitaire gemeinsam, dessen Mitglieder europäistisch und regionalistisch sind.“ Die Presse hat dies weidlich zitiert und kommentiert, ebenso wie die Tatsache, daß der Bürgermeister von Orange der ehemalige FN-Politiker Jacques Bompard ist.

Der Bloc Identitaire hat großes Geschick in der Kunst bewiesen, von sich reden zu machen. Seine politische Zukunft ist weit ungewisser. Er hat nicht die Kapazität, sich zur Partei umzuformen. Selbst wenn er sie hätte, ist sein Platz im politischen Spektrum bereits vom Front National besetzt. Seiner Führung bleibt nichts anderes übrig, als auf eine Strategie des langen Atems zu setzen.

 

Alain de Benoist, französischer Philosoph und Publizist, ist Herausgeber der Zeitschriften „Nouvelle École“ und „Krisis“.

 

„Identitäre“ in Deutschland

In Deutschland steckt die Identitäre Bewegung noch in den Kinderschuhen, ist vor allem im Internet, auf Facebook und Twitter präsent, arbeitet an ihrer Vernetzung. Daneben gibt es erste Aufkleber, Flugblätter und Plakate. Im Netz beschreiben sich die Macher als entwurzelte und orientierungslose Generation, die sich an den Altvorderen reibt: „Ihr habt euch selbst eine Utopie versprochen, eine friedliche, multikulturelle Gesellschaft des Wohlstands und der Toleranz. Wir sind die Erben dieser Utopie, und unsere Realität sieht anders aus. Euren Frieden erkauft ihr euch mit immer neuen Schulden. Euren Wohlstand sehen wir heute in ganz Europa verschwinden. Eure multikulturelle Gesellschaft bedeutet für uns nur Haß und Gewalt. Und im Namen eurer Toleranz jagt ihr alle, die euch kritisieren und nennt dabei die Gejagten intolerant. Wir haben es so satt!“

Und weiter: „Unsere Geschichte, unsere Heimat und unsere Kultur geben uns, was ihr uns genommen habt. Wir wollen nicht Bürger der Welt sein, denn wir sind mit unserer eigenen Heimat glücklicher.“

Unter der Rubrik „Unsere Ziele“ heißt es: „Uns Identitären geht es um den Erhalt unserer ethnokulturellen Identität, die heute durch den demographischen Kollaps, die Massenzuwanderung und die Islamisierung bedroht ist. Wir lieben unser Land und stehen zu unserer Tradition. Wir sind Patrioten.“

Lokale Ortsgruppen gibt es in vielen Städten Deutschlands, von Flensburg bis Heilbronn, von Dortmund bis Görlitz. Publizistisch begleitet wird die dezentrale Bewegung vor allem von den Zeitschriften Blaue Narzisse und Sezession und deren Internetforen. (tha)

http://identitaere-bewegung.de

www.blauenarzisse.de 

www.sezession.de