© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Lügen, betrügen, Gesetze brechen
Politik ist ein schmutziges Geschäft: Steven Spielbergs Film „Lincoln“ im Kino
Ronald Gläser

Wer war Abraham Lincoln? Für viele ist er der wichtigste amerikanische Präsident überhaupt. Immerhin hat er das Land vor dem Auseinanderbrechen bewahrt. Seine Amtszeit war die wohl kritischste Phase der US-Geschichte. In keinem der Weltkriege war Amerika so in seinem Bestand bedroht wie von 1861 bis 1865.

Über allem steht natürlich die Abschaffung der menschenverachtenden Sklaverei, die durch den Sieg des Nordens endgültig wurde und mit Lincolns Namen untrennbar verbunden ist. Vor seiner Wahl zum 16. US-Präsidenten war er jedoch gar kein so strikter Sklavereigegner gewesen. Sein Ruhm basiert zum Teil auf Legendenbildung während und nach dem Krieg.

Im Steven-Spielberg-Film „Lincoln“ geht es genau um dieses Thema: das Ende der Sklaverei. Es wurde festgeschrieben im 13. Zusatzartikel zur US-Verfassung, das Sklaverei verbietet. Dieses Gesetz war umstritten. Es wurde von den Rumpf-USA 1865 ohne die Stimmen der Südstaatler verabschiedet.

Vom Gesetzgebungsverfahren handelt der ordentlich lange Film (149 Minuten). Er berichtet, wie die Lincoln-Regierung die notwendigen Stimmen im Repräsentantenhaus zusammenklaubt und -kauft, um eine Zweidrittelmehrheit zu erhalten.

Dabei greifen seine Leute zu rustikalen Bestechungsmethoden. Demokratischen Abgeordneten werden Beamtenposten verschafft, oder sie werden eingeschüchtert. Diesen Part übernimmt James Spader (bekannt als Alan Shore in „Boston Legal“), der den Lobbyisten William Bilbo spielt. Bilbo und seine Leute kommen besonders schmierig rüber, womit den Ressentiments der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber Lobbyisten Tribut gezollt wird.

Bilbo ist erfolgreich, aber das reicht nicht. Längst ist der Süden kapitulationsbereit. Aber Lincoln will noch keinen Frieden, bevor nicht das Gesetz durchgebracht ist. Also manipuliert er die Öffentlichkeit, belügt das Parlament, ignoriert Gerichte.

Und immer wieder der Ärger zu Hause, im Weißen Haus. Seine Frau Mary ist eine ebenso depressive wie giftige und intrigante alte Hexe, die ihm das Leben schwermacht. Einig sind sie sich nur, wenn es gilt, den ältesten Sohn davon abzuhalten, sich zur Armee zu melden. Sollen die anderen ihre Söhne für das Vaterland opfern. Robbie studiert besser britisches Kaufmannsrecht in Boston.

Lincoln setzt sich über Recht und Gesetz hinweg, wann immer es ihm paßt. „Ich fühlte mich im Recht und hoffte, es wäre legal“, sagt er und öffnet damit einen Blick in die Seele all jener Politiker, die sich aus übergeordneten Erwägungen über Recht und Gesetz hinwegsetzen. Später sagt er, dessen Wiederwahl gerade erfolgt ist: „Das Volk hat mich gewählt, also ist es legal.“

Auch seine mitunter radikalen Verbündeten haben merkwürdige Ansichten von Demokratie und Freiheit. So läßt der Sklaverei-Gegner Thaddeus Stevens, gespielt von Tommy Lee Jones, seinen Präsidenten wissen: „Scheiß auf das Volk. Ich bin gewählt, um das Volk zu führen.“ Später leugnet Stevens seine Absichten im Parlament, was ein gewiefter Winkelzug ist, um gemäßigte Demokraten auf die Seite der Sklaverei-Gegner zu ziehen.

So kann der Film, der in vielerlei Hinsicht an Oliver Stones „Nixon“ (1996) erinnert, gleichzeitig aus zwei Perspektiven gesehen werden: vom Standpunkt des Lincoln-Gegners ebenso vom Standpunkt des Lincoln-Befürworters. Unterhaltsam ist er immer. Der Lincoln-Anhänger sieht in ihm den Mann, der das Richtige tut, koste es, was es wolle. Und der Lincoln-Kritiker sieht einen Machtpolitiker, für den der Zweck die Mittel heiligt.

Doch damit wird der Film der historischen Wahrheit nicht gerecht. Vielleicht ging es in der kurzen Phase am Ende des Krieges 1865 tatsächlich vor allem um das verfassungsrechtliche Verbot der Sklaverei. In Wahrheit war der Bürgerkrieg ein Machtkampf zwischen rivalisierenden Gruppen innerhalb der USA, bei dem es vor allem um Geld ging. Der landwirtschaftlich geprägte Süden gegen den industrialisierten Norden. Die Südstaatler waren für Freihandel, um ihre Baumwolle in alle Welt verkaufen und Produkte günstig importieren zu können. Die Nordstaatler setzten auf Zölle, um ihre junge Industrie vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Zudem konnte der Norden das Ausscheiden des Südens nicht akzeptieren und kämpfte daher bis zur Kapitulation den mit 600.000 Toten blutigsten aller amerikanischen Kriege aus.

Die Sklavenfrage war stets nur propagandistisches Beiwerk und hatte Bedeutung nur für einen Teil der Nordstaatler. Auch im Süden besaß nur eine Minderheit der Einwohner Sklaven, dennoch kämpfte der Süden geschlossen erbittert um seine Unabhängigkeit. Durch die Fokussierung dieser Filmbiographie auf den Aspekt der Sklavenbefreiung werden jedoch alle anderen, weniger sozialromantischen Ursachen des Krieges ausgeblendet.

Insofern ist „Lincoln“ dem „Der Sieger schreibt die Geschichte“-Genre zuzuordnen. Es beginnt mit dem zu Beginn eingeblendeten „Das Experiment der Demokratie ist bedroht durch die Spaltung“ und zieht sich durch den Film. Nach der Verabschiedung des Zusatzartikels singen und tanzen die Abgeordneten, und das Volk strömt zu fröhlichen Umzügen zusammen. Vielleicht werden in hundert Jahren solche Filme gedreht, in denen Menschen tanzen und singen, weil der ESM, die Bankenunion und Eurobonds endlich Wirklichkeit geworden sind. Und viele im Kino werden glauben, daß es so war.