© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Dem Feinde aus Geldgier angedient
Neueste Untersuchungen über den k.u.k. Generalstabsoffizier Alfred Redl enthüllen die sehr profanen Beweggründe seiner Spionagetätigkeit für Rußland
Jürgen W. Schmidt

Fast im Jahrestakt bringt das österreichische Historikerduo Verena Moritz und Hannes Leidinger spannende Bücher heraus. Diesmal geriet der Spionagefall Redl aus dem Jahr 1913 ins Visier. Ähnlich wie im Fall von Richard Sorge sind hierzu im Laufe der Jahrzehnte wunderliche Legenden gewuchert, zumal gar manche Buchautoren kritiklos bei ihren Vorgängern abzuschreiben pflegten.

Die Autoren starteten eine gründliche Nachsuche in den einschlägigen österreichischen, tschechischen, ungarischen, bundesdeutschen, französischen, englischen sowie russischen Archiven und präsentierten Ende 2012 ein Buch, welches sogleich als „Wissenschaftsbuch“ des Jahres 2013 nominiert wurde. Gemäß ihren Erkenntnissen war Oberst Alfred Redl ein österreichischer Generalstabsoffizier und befähigter Geheimdienstler, der zugleich als Lebemann auftrat und homosexuelle Beziehungen mit seinen Offiziersburschen und jüngeren Offizieren pflegte. Keinesfalls wurde er zu seiner Agententätigkeit für Rußland (und später vermutlich auch für Frankreich und Italien) wegen seiner Homosexualität erpreßt. Vielmehr bot er sich wenige Jahre vor seinem Selbstmord aus Geldmangel über ein System von Deckadressen bei den ihm gut bekannten russischen oder russisch-französischen Geheimdienststellen in Warschau und der Schweiz selbst an.

Redl fotografierte militärische Geheimdokumente und vertrauliche Militärhandbücher, versandte diese per Brief ins Ausland und erhielt an seine postalische Deckanschrift ein Antwortschreiben mit beigelegten Geldscheinen. Selbst die Russen ahnten vor dem mehr zufälligen Auffliegen des Oberst Redl nicht, daß sie den Stabschef des 8. (Prager) Armeekorps und früheren Vizechef des k.u.k. Geheimdienstes an der Angel hatten.

Die eingehende Analyse von Leidinger und Moritz zeigt aber auch, daß es sehr zweifelhaft ist, ob auch die streng geheimen österreichischen Aufmarschunterlagen für den Krieg gegen Rußland verraten wurden. Genutzt hat es den Russen jedenfalls nicht viel, wie der Fall von Redls Pendant im Deutschen Reich, dem Anfang 1912 aufgeflogenem Thorner Festungsschreiber Gustav Wölkerling, zeigt. Zu schlecht waren die Analysefähigkeiten des russischen militärischen Geheimdienstes ausgebildet.

Redl und die von den Autoren zu Vergleichszwecken herangezogenen Verratsfälle des Sergeanten Wölkerling und des Königsberger Konsulatssekretärs von Eck zeigen eindeutig, daß in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in Europa ein „Spionagehype“ herrschte. Alle europäischen Großmächte sahen sich fälschlicherweise von Unmassen gegnerischer Agenten überflutet und glaubten daher mit ihren damals im Vergleich zu heutigen Maßstäben relativ kleinen Geheimdiensten in Abwehr und Aufklärung voll gegenhalten zu müssen. Außerdem gab es in diesem Zeitraum genug Betrüger und verkrachte Existenzen, aber auch manchen frustrierten, subalternen Offizier, die ihrerseits glaubten, von dem großen Spionagekuchen finanziell profitieren zu müssen.

Es ist heute schwer, in dieses wirre System von Nachrichtenschwindlern, Doppel- und Dreifachagenten, die sich aus finanziellen Gründen gleich mehreren geheimdienstlichen Auftraggebern zugleich aufdrängten, Licht zu bringen. Verena Moritz und Hannes Leidinger haben es probiert und ein Buch geschaffen, welches bislang am klarsten die Spionagetätigkeit des Oberst Redl und die aufgeheizte politische und militärische Situation am Vorabend des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs erkennen läßt.

Verena Moritz, Hannes Leidinger: Oberst Redl. Der Spionagefall, der Skandal, die Fakten. Residenz Verlag, St. Pölten 2012, gebunden, 332 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro