© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Patriotisches Projekt
Atomenergie: Eine französische Energiewende ist vorerst nicht in Sicht / Staatskonzern Areva setzt auf Druckwasserreaktor EPR
Christoph Keller

Frankreich ist aus dem Zweiten Weltkrieg nur dank angloamerikanischer Hilfe als „Sieger ehrenhalber“ hervorgegangen. Aus dieser Schmach resultierte der parteiübergreifende Wunsch, den Status als Großmacht zurückzugewinnen. Dazu war der Besitz von Atomwaffen unabdingbar. Wie von selbst ergab sich aus der atomaren Rüstung die zivile Nutzung der Atomenergie. In dieser Konstellation wurzelt noch heute das Prestige als „Atomkraft-Weltmeister“.

Auch die Tschernobyl-Katastrophe 1986 hat die Pariser Atompolitik nicht irritieren können, zumal für die kollektive Wahrnehmung keine Gefahr bestand, da die radioaktiven Wolken an den Vogesen abdrehten. Darum ist es um so bemerkenswerter, daß die weit entfernte Reaktor-Katastrophe in Fukushima 2011 zu erheblicher Verunsicherung im französischen Atomkartell führte, das Politik, Wirtschaft und Wissenschaft verbindet. Wie in anderen EU-Ländern unterzog man seine AKW einem „Streßtest“, der gefährliche technische Mängel bei den Abklingbecken und Sicherheitsbehältern sowie bestürzend illusionäre Notfall- und Evakuierungspläne offenbarte. Seither sieht sich die winzige Schar der Atomkraft-Kritiker im Aufwind.

Yves Marignac, der seit 2003 das Pariser Büro einer Initiative zur kritischen Information über Atomenergie (WISE) leitet und Autor eines Energiewende-Szenarios ist, glaubt sogar, der seit 60 Jahren gepflegte Mythos der französischen Atommacht beginne zu bröckeln (Natur, 1/13). Des japanischen Desasters hätte es dazu gar nicht einmal bedurft. Denn mit der dank Atomenergie erreichten Souveränität des Landes sei es nicht weit her. Wenn die Atomlobby vorrechne, gegenwärtig die Hälfte des nationalen Energiebedarfs zu decken, verschweige sie, daß zwei Drittel der Energie beim Produktionsprozeß im AKW als Abwärme verlorengingen. Zudem müßten das Uran importiert oder Brennstäbe im Ausland produziert werden.

Korrigiere man diese „Falschrechnung“, reduziere sich die Energie-„Souveränität“ auf 15 Prozent. Auf den Prüfstand gehöre auch das durch die Atomenergiepolitik induzierte Konzept der Stromheizungen. Nach dem Motto „alles atomar, alles elektrisch“ wurden sie massiv gefördert, was einen unsinnigen Energiehunger brachte. Obwohl sich die Atomaufsichtsbehörde ASN nach Fukushima erstmals mit Atomkraftkritikern an einen Tisch setzte, sieht Marignac in Frankreich zunächst nur Ansätze einer Energiewende. Vor allem zeige sich der Staatskonzern Areva, der zusammen mit Siemens den auf 1.600 Megawatt ausgelegten Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) entwickelt hat und ihn weltweit installiere, völlig unbeeindruckt von Marignacs Warnungen vor dessen technisch unausgereiften Steuerungs- und Sicherheitssystemen. Angesichts solcher Widerstände glaubt der Umweltaktivist, die Grande Nation werde sich kaum vor 2035 vom „patriotischen Projekt“ der Atomenergie verabschieden.

Umweltmagazin „Natur“

World Information Service on Energy/WISE: www.wise-uranium.org