© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Gottschalk trägt auch einen
Im Badischen steht die weltweit einzigeManufaktur für Klappzylinder
Taras Maygutiak

Dieser Artikel ist nicht hinreichend mit Belegen ausgestattet“, ist bei Wikipedia unter dem Begriff „Klappzylinder“ zu lesen. Wenige weitere Sätze folgt die Feststellung: „Er wird mit Frack getragen und ist mit Seide bespannt.“ Das mit der Seide stimmt so nicht ganz, aber auch für die „hinreichenden Belege“ müßte sich wohl Meinrad Jülg aus dem badischen Herbolzheim im Breisgau selbst um den Wikipedia-Eintrag kümmern.

Denn er ist der weltweit einzige, der die seltenen Hüte noch herstellt. Vor vier Jahren gab es noch einen in New York sowie einen Kostümschneider in den neuen Bundesländern, der die Klapphüte nebenher machte, weiß der 37jährige. Aber für informierende Einträge ins Internet hat der fünffache Vater zum einen keine Zeit, zum anderen hat er es auch gar nicht nötig, in irgendeiner Weise auf sich aufmerksam zu machen. Seine Kunden, zu denen Herrenausstatter, Dressurreiter und Theaterbühnen genauso gehören wie Schornsteinfeger, Zimmerleute, Schützenvereine, Bestattungsunternehmen oder Opernballbesucher, kennen ihn.

„Aleisa“ – dieser Firmenschriftzug ist in jedem seiner Hüte zu lesen – steht seit 1905 für Klappzylinderqualität. „Aleisa“ steht für den Firmengründer Albert Eisele, der das Unternehmen damals im rund 70 Kilometer weiter nördlich gelegenen Achern gegründet hatte. Dessen gleichnamiger Sohn führte die Firma bis zu seinem Tode Anfang der siebziger Jahre, der es dann an Roman Petrotti weitergab. Von ihm lernte Meinrad Jülg, der im ersten Beruf Maler ist, während seiner Weiterbildungszeit zum Gestalter von 1998 bis 2000 den Klappzylinderbau. Im selben Jahr starb Petrotti mit nur 55 Jahren. Eine ganze Zeitlang war unklar, wie es weitergeht. Seit 2004 führt nun der 37jährige die Firma weiter.

Allzu groß darf man sich das aber nicht vorstellen. „Aleisa“ besteht aus Meinrad Jülg selbst, einem gelernten Kfz-Mechaniker, der ihm zeitweise aushilft, einer Vollzeit- und einer Teilzeitnäherin. Die Werkstatt ist ein Raum, in dem vier alte Singer-Nähmaschinen aufgestellt sind. „Die sind 60 bis 80 Jahre alt“, meint Jülg. Sie seien besonders geeignet für das harte Material der Hutkrempe. Die besteht nämlich aus Schellack, mit dem früher die Schallplatten beschichtet waren.

„Die Schellackplatte wird ausgeschnitten und beidseitig mit Satinstoff beklebt“, beschreibt der Klapphutbauer den ersten Arbeitsvorgang: „Der andere Teil ist der Kopf mit dem Klappmechanismus aus Metall.“ Die Näherin arbeitet das Futter in den Kopfteil. „Und bevor die Krempe angenäht wird, wird der Kopfteil bespannt“, erklärt Jülg. Ebenfalls aus Satin, da Seide viel zu empfindlich sei. Sowohl wegen des Klappmechanismus als auch wegen der Witterungseinflüsse.

Wer denkt, Zylinder seien nicht allzu oft gefragt, allenfalls ein paar Hüte würde er verkaufen können, irrt. Die Auftragsbücher sind kontinuierlich voll, bestätigt Jülg. Und auf dem Weg in die Werkstatt zeugen stapelweise Kisten mit fertigen Klappzylindern darin, daß hier emsig Aufträge abgearbeitet werden. Ob Johannes Heesters, wohl einer der bekanntesten Zylinderträger der vergangenen Jahre, einen Aleisa-Hut trug, weiß er nicht. „Solche Personen bestellen nicht selbst bei mir“, sagt Jülg: „Aber das Haus Thurn und Taxis hat beispielsweise bestimmt auch Hüte von uns.“ Von anderen Prominenten weiß er es genauer: So waren Thomas Gottschalk und Harald Schmidt einmal mit seinen Klappzylindern auf dem Stern-Titel. In der alten Werkstatt in Achern hing noch ein Bild von Prinz Philip und seinem Aleisa-Hut. Und auch schon früher zählte Prominenz zur Kundschaft: Winston Churchill, Marlene Dietrich und Harald Juhnke waren ebenso Aleisa-Träger.

„Wir liefern heute ins umliegende Ausland, aber insgesamt von Island bis Thailand“, gibt er Einblicke. „In Deutschland gibt es unsere Hüte so gut wie in jeder Großstadt, natürlich auch in Berlin.“ Die Handarbeit von Jülg und seinen Mitarbeitern kostet auch: Rund 400 Euro muß man schon hinlegen für einen echten Klappzylinder von Aleisa. 60 bis 100 Euro kommen für die passende Hutschachtel hinzu. Deutsche Wertarbeit: Chapeau!