© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

„Vom Abenteuer gepackt“
1914 erlitten deutsche Soldaten Schiffbruch am Ende der Welt. Um den halben Erdball schlugen sie sich durch, zurück in die Heimat. Jetzt kommt diese unglaubliche Geschichte ins Kino.
Moritz Schwarz

Herr Pfahl, was ist „ein echter Emden“?

Pfahl: Das habe ich mich auch gefragt, als ich das zum ersten Mal gehört habe. Es war Anfang der 2000er Jahre auf Sri Lanka, als ein einheimischer Mitarbeiter über einen dritten zu mir sagte: „That’s a real Emden!“ Also: „Das ist ein echter Emden!“ Als ich nicht verstand und nachfragte, schaute mich mein Mitarbeiter völlig überrascht an, daß gerade ich als Deutscher das Wort nicht kannte.

Emden ist die Hauptstadt Ostfrieslands.

Pfahl: Aber es war auch der Name eines deutschen Kreuzers, der zu Beginn des Ersten Weltkriegs in den Gewässern Südostasiens auf Kaperfahrt war und sich zunächst geschickt und erfolgreich gegenüber dem damaligen, überlegenen Feind bewährte. Und so ging sein Name als Synonym für „listenreich“, „klug“, aber auch für „fair“ in den Sprachgebrauch der Leute dort ein.

Weil ihre Kriegführung so korrekt und mutig war, galten die Männer der „Emden“ selbst der britischen Presse als „Gentlemen of war“, als „Kavaliere des Krieges“, und genossen großen Respekt.

Pfahl: Es ist schon interessant, daß das alles heute in Deutschland fast vollständig vergessen ist.

Fürchten Sie nicht, daß angesichts dieses Desinteresses an positiven Episoden der zudem weit entlegenen Geschichte des Kaiserreichs kaum einer Ihren Film sehen will?

Pfahl: Nein, und ich empfinde die Zeit des Kaiserreichs auch keineswegs als so entlegen, denn damals war das Deutsche Reich damit beschäftigt, an eine globalisierende Entwicklung Anschluß zu finden, ganz wie wir heute. Und ebenso wie heute war es ein Zeitalter, geprägt durch rasanten Fortschritt, durch die Welt verändernde technische Neuerungen und wissenschaftliche Revolutionen.

Vor einigen Monaten erst erschien Christian Krachts für Aufsehen sorgender Roman „Imperium“. Gibt es ein neues Interesse an der deutschen Kolonialgeschichte?

Pfahl: Wenn sich bei Intellektuellen und Kreativen thematische Koinzidenzen ergeben, dann meist nicht zufällig – aber auch nicht, weil sie abgesprochen sind. Vielmehr liegt wohl etwas in der Luft. Und tatsächlich engagiert sich Deutschland heute, nach Jahrzehnten der Begrenzung auf das eigene Land, ja wieder im Ausland: auf dem Balkan, in Afghanistan, in Afrika – jetzt vielleicht bald stärker in Mali. Dabei kommen auch Themen hoch, die damit verwandt sind, etwa: Wie geht es Menschen, die in der Welt unterwegs sind? Mich interessiert überhaupt das Thema „Deutsche im Ausland“, weil Deutsche im Ausland, also in der Fremde, anders gefordert werden, so daß sie sich anders verhalten, anders denken als ihre fremde Umgebung. An der Fremde spiegelt sich ihr Charakter. Dazu kommt, daß unser Bewußtsein für die Zeit des Ersten Weltkrieges, dessen Beginn sich 2014 zum hundertsten Mal jährt, und auch für die Zeit davor, in unserer Wahrnehmung unterbelichtet ist.

Über den Krieg erzählen Sie allerdings nicht viel, es geht vielmehr um eine fast unglaubliche Abenteuergeschichte, die eine Gruppe deutscher Soldaten 1914/15 tatsächlich erlebt hat.

Pfahl: So ist es, das Globalisierungsthema ist ja noch kein Film. Natürlich braucht man eine Geschichte, die das Thema trägt. Und da hat mich die von der Realität geschriebene Dramaturgie dieses Abenteuers förmlich gepackt.

Damals waren Freund wie Feind von den Abenteuern des Kreuzers „Emden“ gleichermaßen begeistert. Die Londoner „Times“ etwa schrieb über diesen „wagemutigen“ und „ritterlichen Gegner“: „Nur wenige Ereignisse der neueren Seekriegsgeschichte sind bemerkenswerter als die glänzende Laufbahn der ‘Emden’“

Pfahl: Die Geschichte der „Emden“ zerfällt in zwei Teile: Zunächst ihr Kaperkrieg in eigentlich von den Briten kontrollierten Gewässern.

Warum fehlt dieser Teil in Ihrem Film fast vollständig?

Pfahl: Seekrieg darstellen, das können sie in Hollywood besser. Aber vor allem: Das, was mich interessiert hat, war der plötzliche Wandel ihrer Situation. Denn im November 1914 wurde die „Emden“ schließlich doch durch einen australischen Kreuzer aufgebracht und vor den weit südlich des heutigen Indonesiens gelegenen Kokosinseln versenkt. Eben noch waren die Männer der „Emden“ mit ihrem schwerbewaffneten Kriegsschiff also mächtig und selbstsicher, und dann plötzlich aller Macht und Herrlichkeit beraubt. Nun waren sie Schiffbrüchige mit nichts als einem kleinen klapprigen, leckenden Segelschoner, den sie auf der Insel fanden, dem Schicksal ausgeliefert. Da beginnt für mich die eigentliche Geschichte der „Emden“.

Das verwundert, denn auch schon der guerillaartige „Gentlemen-Krieg“ des Schiffes hat damals das Publikum fasziniert und gehört mit zum „Emden“-Mythos.

Pfahl: Das stimmt, aber mal ganz abgesehen davon, daß da auch unser Budget nicht ausgereicht hätte – Seekrieg, das hat mich einfach nicht interessiert. Das wären Bilder der Stärke, der Macht und der Gewalt, das wäre ein anderer Film geworden. Mich hat vielmehr die Frage angezogen, wie fünfzig Menschen reagieren, die am Ende der Welt vor einer scheinbar so ausweglosen Situation stehen und die sich einem so unglaublichen Unterfangen stellen, unter größten Entbehrungen und tödlichen Gefahren eine Odyssee um die halbe Welt zu unternehmen, um nach Hause zu kommen. Es war ja eine ganz enorme Leistung des Kapitänleutnants Hellmuth von Mücke, die Überlebenden quer über den Indischen Ozean, durch die feindlichen Linien und die arabische Wüste zurück in die Heimat zu bringen.

Die Besatzung eines anderen deutschen Schiffes, der „Tsingtau“, gelang ein ähnliches Unterfangen nicht, sie ging zugrunde.

Pfahl: Auch die Männer der „Emden“ standen immer wieder vor verzweifelten Situationen, wähnten sich zeitweilig schon gerettet und ahnten nicht, was ihnen tatsächlich noch bevorstand. Was denken und fühlen diese Männer? Was machen sie durch? Und wie verändert sie das? Das ist mein Thema!

Zu Beginn Ihres Films blitzt der Charme der wilhelminischen Ära auf: weiße Uniformen, Offiziere als Kavaliere, der Südsee-Flair der Kolonial- und Weltmachtzeit.

Pfahl: Ja, aber hinter all dem lauert schon das kommende Unheil. Für mich scheint diese Ambivalenz der wilhelminischen Epoche immer durch.

Dennoch ist Ihr Film eine unfreiwillige Würdigung der soldatisch-wilhelminischen Tugenden, denn diese sind es, die den Männern das Überleben ermöglichen.

Pfahl: Ich glaube nicht, daß der Film den Wilhelminismus würdigt. Im Gegenteil, die Schlußszene mit einem von Peter Sodann wunderbar persiflierend gespielten, sabbernden kaiserlichen General zeigt, was für eine korrupte, dekadente und hohle Epoche der Wilhelminismus bereits war.

Also eine Art Rückversicherungsszene, mit der Sie Ihren Film gegen Vorwürfe absichern wollen?

Pfahl: Nein, so denke ich nicht. Es geht mir auch nicht darum, den Wilhelminismus zu diskreditieren, sondern ihn zu zeigen, wie er war. Und drei Jahre später war das Kaiserreich dann ja auch am Ende. Doch was Ihren Verweis auf die soldatischen Tugenden angeht, da haben Sie schon recht. Natürlich sind es diese, die den Männern der „Emden“ das Überleben ermöglichen. Nur muß man klarstellen, daß diese Tugenden nur scheinbar allein soldatisch sind, denn Sie finden diese ebenso auch anderswo: Ich bin selbst Segler und weiß, daß eine Mannschaft im Sturm ganz „militärisch“ arbeiten muß – das heißt gemeinsam in eine Richtung, nämlich die, die der Kapitän ansagt. Es handelt sich also tatsächlich um Tugenden, die sie überall finden können, in einem Operationssaal, einer Fußballmannschaft oder einem Filmteam, wenn die Unternehmung gelingen soll.

Aber impliziert eine solche Argumentation nicht auch eine Rehabilitierung dieser Tugenden eben auch als soldatische Tugenden?

Pfahl: Nein, weil ich sie nicht als genuin soldatisch sehe: Unternehmungsgeist, Wagemut, Disziplin, Kameradschaft sind, wie gesagt, allgemeine Tugenden, und ich glaube, daß sie unserer Gesellschaft auch guttun. Denn sind wir nicht eine Gesellschaft von Zauderern geworden, in der es immer weniger Menschen gibt, die bereit sind, etwas zu wagen? Meist dreht sich unser Denken doch um die Bedenken und um die Rückversicherung. Die Männer der „Emden“ wären mit unserer Einstellung wohl nicht weit gekommen. – Aber noch einmal, allein mit Militärischem hat das nichts zu tun.

Dennoch zeigen Sie deutsche Soldaten als Helden in einem Kriegsfilm. Fürchten Sie da keine Vorwürfe?

Pfahl: Natürlich kann ich meine Protagonisten nicht aus ihrem historischen Zusammenhang befreien, und natürlich habe ich Sympathie für sie. Ich leide, verzweifle, hoffe und juble mit ihnen. Ich werfe ihnen nicht vor, in welche Zeit sie gestellt oder in welches Korsett sie gezwängt worden sind – ja, ich bewundere sie sogar, wie sie allen Widerständen zum Trotz ihr Ziel erreichen. Allerdings sehe ich „Die Männer der Emden“ nicht als Kriegsfilm, sondern eher als Film über die Frage, wie man dem Krieg aus dem Wege geht.

Die Männer der „Emden“ gingen dem Krieg allerdings keineswegs aus dem Wege, dann wären sie desertiert. Aus dem Wege gingen sie als unterlegene Truppe allein dem Feind, um sich als gute Soldaten nach der Flucht sogleich bei der Truppe zurückzumelden.

Pfahl: Das stimmt, und dennoch betrachte ich „Die Männer der Emden“ als Antikriegsfilm, weil der Film am Ende den Wahnsinn des Krieges eindringlich macht, wenn der Zuschauer im Nachspann erfährt, daß die Hälfte der Männer, mit deren Lebenswillen er sich gerade zwei Stunden lang identifiziert, kaum zurück in Deutschland, an der Front gefallen ist.

Wovor wollen Sie also warnen?

Pfahl: Ich will nicht warnen, ich habe keine missionarischen Ambitionen. Ich will zum Nachdenken anregen.

Worüber?

Pfahl: Der historische Kapitänleutnant von Mücke etwa wandelte sich vom kaiserlichen Seeoffizier zum frühen Nationalsozialisten und nach 1945 zum Pazifisten, der gegen die Wiederbewaffnung war und seinem Sohn den Wehrdienst auszureden versuchte.

Warum?

Pfahl: Er starb 1957 und wir können ihn nicht mehr fragen, aber es gibt ja viele Dinge, die vom Dritten Reich mißbraucht wurden und seitdem diskreditiert sind. Das ist mit dem „Emden“-Mythos passiert, der in der Zeit des Nationalsozialismus ausgeschlachtet wurde, ebenso wie etwa mit unseren deutschen Volksliedern. Nicht nur der Nationalismus ist uns – zum Glück – ausgetrieben worden, sondern auch das normale Nationalbewußtsein, wie es alle anderen, Engländer, Italiener, Franzosen, Amerikaner, haben.

Wollen Sie mit Ihrer positiven Darstellung deutscher Soldaten des Ersten Weltkrieges also dazu beitragen, die Deutschen mit ihrem Nationalstolzkomplex zu versöhnen?

Pfahl: Der Film soll ganz sicher nicht zum Patriotismus anstiften, im Gegenteil, dann wäre er falsch verstanden. Ich kann mir auch kaum vorstellen, daß jemand auf diese Idee kommt, denn der Film zeigt ja keine dumpfe Masse, sondern authentische Menschen. Allerdings würde ich mir schon wünschen, daß er allgemein dazu beiträgt, wieder einen normaleren Zugang zu unserem Nationalverständnis zu finden.

Was meinen Sie konkret?

Pfahl: Denken Sie doch nur an das Sommermärchen 2006, als Deutschland einen Patriotismus entdeckt hat, der offen und warmherzig und der auch für Intellektuelle kompatibel war. Ein neuer Patriotismus, der mit dem alten der Ausgrenzung, der Gewalt und des Herabschauens auf andere gebrochen hat. Die Männer der Emden waren sicher Patrioten, aber sie fühlten sich anderen nicht überlegen, ihre Reise hat die meisten demütig gemacht. Denn eine Reise an unsere Grenzen ist letztlich immer auch eine Reise zu uns selbst, aus der wir im Idealfall reifer und mit uns versöhnt hervorgehen. Moritz Schwarz

 

Berengar Pfahl, ist Autor, Regisseur und Produzent von „Die Männer der Emden“ (Plakat rechts), der am 31. Januar in die Kinos kommt. Pfahl, Jahrgang 1946, produzierte zahlreiche Fernsehfilme, Serien und Dokumentationen und wurde mit den TV-Serien „Sterne des Südens“ und „Tanja“ bekannt. Für „Die Männer der Emden“ gelang es ihm, eine hochkarätige Schauspielerriege zu versammeln (Besprechung Seite 15). Der leichte Kreuzer „Emden“ erwarb sich ob seiner gewagten Operationen zu Beginn des Ersten Weltkriegs internationale Berühmtheit. So schrieb etwa der italienische Corriere della Sera, sie habe „der deutschen Marine einen Lorbeerkranz gewunden, den weder Zeiten noch Schicksale verwelken lassen“. Am 9. November 1914 wurde die „Emden“ jedoch gestellt und zusammengeschossen, 136 Mann fielen. Das Wrack strandete auf den Kokosinseln südlich von Sumatra.

www.die-maenner-der-emden.de

Foto: Die Männer der „Emden“ greifen einen englischen Funkposten auf den Kokosinseln an, wenige Augenblicke bevor ihr eigenes Schiff zerstört wird (Szenenfoto aus dem Film): „Ich leide, verzweifle, hoffe und juble mit den Männern (...) Mich hat dieses von der Realität geschriebene Abenteuer einfach gepackt.“ / Historische Aufnahme der Männer der „Emden“ kurz nach der Versenkung ihres Schiffs (Kokosinseln, November 1914)

 

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