© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

Orientierungslos
Piraten: Der Mißerfolg in Niedersachsen hat die Partei in eine tiefe Krise gestürzt
Christian Schreiber

In Politik und Sport gilt gleichermaßen ein altes Sprichwort: „Erfolge zu bewahren, ist schwerer als sie zu erzielen.“ Die Piratenpartei liefert in diesen Tagen einen eindrucksvollen Beweis für die Gültigkeit dieses Satzes. Vor eineinhalb Jahren zog sie mit fast neun Prozent in das Berliner Abgeordnetenhaus ein, im Frühjahr 2012 eilten sie dann von Sieg zu Sieg. Sowohl im Saarland als auch in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zogen die Piraten in die Parlamente ein.

Doch seitdem läuft es nicht mehr rund, die Umfragewerte sind seit Monaten im Keller, und bei der Landtagswahl in Niedersachsen setzte es vor zwei Wochen eine krachende Niederlage. Gerade einmal 2,1 Prozent machten ihr Kreuz bei der Partei, bei der man bis heute nicht richtig weiß, wo sie politisch einzuordnen ist. Das größte Problem dürfte dabei sein, daß Funktionäre und Basis selbst orientierungslos sind. Der Parteivorsitzende Bernd Schlömer ist das beste Beispiel dafür. Als er im April 2012 sein Amt antrat, hieß es noch regelmäßig: „Wir haben dazu keine Meinung“, oder: „Wir wollen erst einmal die richtigen Fragen stellen.“ Er und der Bundesvorstand wollten nur moderieren, was die allmächtige Basis so tut. Der Vorsitzende verstand sich nicht als Frontmann, sondern nur als Erster unter Gleichen.

Doch die eigenwillige Basis entwickelte ein seltsames Eigenleben. Neid und Mißgunst regieren in der Partei der Transparenz, interne Zwistigkeiten werden zum Vergnügen der Internetgemeinde gerne öffentlich via Twitter und Facebook ausgetragen. Jeder Funktionär, dem es gelingt, sich öffentlich einigermaßen gut zu verkaufen, wird als angepaßt, etabliert und parteischädigend beschimpft. Ein „Shitstorm“, wie es neudeutsch im Netz heißt. Attraktiv für breite Wählerschichten ist dies ganz offensichtlich nicht.

Schon gar nicht bei einem Lagerwahlkampf wie in Niedersachsen und wie er voraussichtlich auch bei der Bundestagswahl zu erwarten ist. Die Piraten, die nach eigener Aussage gar nicht regieren wollen, stellen keinen Machtfaktor dar, und als Oppositionspartei haben sie ihren Zenit schon überschritten. In Niedersachsen sind sie selbst in der linksalternativ geprägten Studentenstadt Göttingen oder in der Innenstadt Hannovers nicht einmal in die Nähe von vier Prozent gekommen. Landesweit haben sie im Vergleich zur Bundestagswahl 2009 sogar über 10.000 Stimmen verloren.

Doch von Selbstkritik keine Spur. Funktionäre, die es fertiggebracht haben, für die Aufstellung einer Landesliste drei Anläufe zu brauchen, sprachen am Abend des Debakels davon, daß das schlechte Wetter ursächlich für den Mißerfolg sei. Der Berliner Politologe Oskar Niedermayer hält dies für absurd. Eine Partei, die auf Online-Wahlkampf setzt, könne sich nicht mit dem Wetter entschuldigen. „Die Piraten sind an der negativen Berichterstattung selbst schuld“, sagte der Wissenschaftler tagesschau.de.

Bei wichtigen Debatten habe man von ihnen nichts gehört, obwohl sich die Themen für Piratenthesen anboten. Niedermayer verweist auf die Aufregung um Peer Steinbrücks Vortragshonorare. „Da ging es um Transparenz, ein echtes Piratenthema. Aber gehört hat man von ihnen nichts.“ Dies ist ein zentrales Problem der Partei, vor allem ihrer vier Landtagsfraktionen. Meist zerstritten, bestenfalls unauffällig. „Ich dachte, daß die ordentlich Betrieb machen. Aber eigentlich fallen die im Landtag gar nicht auf“, sagte beispielsweise der Fraktionschef der Saar-Grünen Hubert Ulrich dem Saarländischen Rundfunk. In Nordrhein-Westfalen und Berlin sind sie dagegen aufgefallen, allerdings in eher abstoßender Art und Weise. Einmal twitterte eine Düsseldorfer Abgeordnete ihre Gedanken zu One-Night-Stands und zerrissenen Kondomen, ein anderes Mal stellte sich ein Berliner Kollege offen die Frage, ob ihm Politik überhaupt noch Spaß mache. Kein Wunder in einer Partei, die in einem Jahr drei Vorsitzende verschliß.

Nach dem Niedersachsen-Debakel ist Ratlosigkeit eingekehrt. Es mangelt zwar nicht an den berühmt-berüchtigten Internet-Blogs mit allerlei Analysen, doch konkrete Vorschläge sind Mangelware. Wohl auch, weil es an qualifiziertem Personal fehlt. Die Aufstellungen der Landeslisten für die Bundestagswahl werden zunehmend zum Himmelfahrtskommando. In Sachsen gab es eine monatelange Schlammschlacht um einen Bewerber, juristische Drohungen inklusive. In Nordrhein-Westfalen ist die Liste am vergangenen Wochenende aufgestellt worden – alleine die Wahl des Tagungsortes sorgte für wochenlange Diskussionen.

Könnte man dies noch als Wachstumsschwierigkeiten in Regionalstrukturen abtun, so sorgte in der vergangenen Woche Bundesgeschäftsführer Johannes Ponader für den nächsten Zoff. Lautstark forderte er einen vorgezogenen Bundesparteitag und kritisierte Parteichef Schlömer sowie dessen Stellvertreter Sebastian Nerz, Schlömers Vorgänger auf dem Chefsessel. Die gaben sich wenig versöhnlich. Angeschlagen sind beide noch dazu, auch weil sie zuletzt den Wahlkampf in Niedersachsen torpedierten, indem sie bereits eine Woche vor der Wahl eine Fehleranalyse präsentierten. Die Aussichten, daß die Piraten im Jahr 2013 Erfolge erzielen werden, dürften somit sehr gering sein.

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