© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

Bundeswehr im Visier
Verteidigung: Die Armee soll vielleicht nach Mali und muß ganz bestimmt noch mehr sparen
Paul Rosen

Zwischen dem Verhältnis der Berliner Politik und dem der Deutschen zu ihrer Armee liegen Welten. Während die Bundeswehr und Auslandseinsätze für Politiker offenbar nur noch Teil des medialen Unterhaltungsprogramms und Steinbruch für Haushaltseinsparungen sind, haben die Bundesbürger noch ein klassisches Verhältnis zu den Fachleuten für Landesverteidigung. Auf die Frage, welche Gefühle sie mit der Bundeswehr verbinden, erklärte eine große Mehrheit in einer Umfrage: Vertrauen, Hochachtung, Stolz und Dankbarkeit.

In der Politik geht es um andere Dinge. Da sorgt sich etwa Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin auf Spiegel Online, ein Ankauf von unbemanntem waffenfähigem Fluggerät (Drohnen) werde die Schwelle für den Einsatz militärischer Mittel senken und damit zu einer weiteren Entgrenzung militärischer Gewalt führen. Dem Wehrbeauftragtem Hellmut Königshaus fiel auf, daß Soldaten zu wenig Schlaf bekommen. Er monierte das Wecken um 4.30 Uhr als zu früh (siehe unten).

Im Finanzministerium sorgt man sich um die Einhaltung der Schuldenbremse und blickt genußvoll auf den Militäretat, wo die größten Brocken zu holen sind. Derweil ärgern sich viele Kommentatoren in den Medien, daß die Bundeswehr nicht in Mali mit den Franzosen in den Krieg zieht, während ein Angriff von Nationalisten auf deutsche Soldaten in der Türkei zeigt, daß die dort stationierten deutschen Patriot-Batterien offenbar doch nicht so willkommen sind, wie bisher angenommen. Es ist wohl so, daß die sich selbst als „Zivilgesellschaft“ bezeichnenden Politiker und Medienschaffenden ihrem Namen alle Ehre und sich selbst lächerlich machen. Auf Drohnenkritiker wie Trittin antwortete etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Anhänger der Selbstabschreckung sollten dann aber auch konsequent die Abschaffung von Schützenpanzern und Stahlhelmen fordern“. Auf eine höhere Ebene versuchte der frühere Generalinspekteur und Militärhistoriker Klaus Naumann die Debatte zu heben: „Die existentielle Klammer zwischen Gesellschaft und Armee, die im Verteidigungsfall besteht, gibt es nicht mehr“, sagte Naumann dem Tagesspiegel. Die Konflikte, um die es gehe, seien für die Gesellschaft nicht existentiell: „Auch wenn der Einsatz in Afghanistan schiefgeht, wird dies unsere Lebensweise nicht beeinträchtigen.“

Daher führen Kürzungen im Bundeswehretat nicht zu öffentlichen Protesten, während es bei der Drohnen-Debatte hoch hergeht, obwohl die Finanzierung dieses Fluggeräts völlig in den Sternen steht. Wobei Diskutanten wie Trittin natürlich auch gerne ausblenden, daß der Friedensnobelpreisträger und amerikanische Präsident Barack Obama schon seit Jahren sehr erfolgreich Terroristen aller Art von Drohnen bekämpfen läßt.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat vor diesem Hintergrund und angesichts des nur schwachen Verteidigungsministers Thomas de Maizière (CDU) leichtes Spiel, um erneut an den noch 32 Milliarden Euro betragenden Verteidigungsetat zu gehen. Dazu muß man wissen, daß nach Schließung vieler Standorte und Abschaffung großer Teile des Materials (Flugzeuge, Kampfpanzer) etwa zwei Drittel des Betrages aus Personalkosten (auch Pensionen) und anderen aus gesetzlichen Gründen nicht kürzbaren Ausgaben besteht. Es bleiben etwa zehn Milliarden Euro für Beschaffungen sowie Materialhaltung und Infrastruktur.

Hier könnte wieder der Rotstift angesetzt werden nach dem Motto: Wir schaffen dann noch weniger neue Schützenpanzer „Puma“ an und kaufen weniger Flugzeuge. Und dann wird alles noch auf der Zeitachse nach hinten geschoben und das Finanzproblem für spätere Regierungen reserviert. So ging es der Bundeswehr seit Jahren. Sämtliche Neudefinitionen der Verteidigungspolitik und alle Reformen haben einen gemeinsamen Nenner: Das zum Beispiel für die plötzlich am Hindukusch stattfindende Verteidigung Deutschlands erforderliche Material wurde nie beschafft.

Die Folge: Die Einsatzfähigkeit der Truppe und ihre Ausrüstung stehen im eklatanten Widerspruch zu Aussagen und zum Handeln der Politiker. Eine Randnotiz aus dem Mali-Geschehen macht das deutlich: Dort sollte die Bundeswehr mit Transportflugzeugen helfen, Truppen aus Westafrika in die malische Wüste zu fliegen. Die etwa 50 Jahre alten Bundeswehr-Maschinen vom Typ „Transall“ kamen wegen technischer Probleme nur mit Verspätung in Mali an. Die bestellten neuen Transportflugzeuge vom Typ Airbus sind nicht funktionsfähig; ihre Stückzahl wurde überdies schon verringert. Forderungen nach einer Zwischenlösung mit geleasten amerikanischen Maschinen, die auch in anderen europäischen Armeen im Einsatz sind, wurden gleich von mehreren Verteidigungsministern strikt abgelehnt. Beim Heer fehlt es nach wie vor an einsatzfähigen Fahrzeugen, auch die Puma-Stückzahlen wurden bereits verringert. Auf Druck der Werften-Lobby hat die Bundeswehr U-Boote in ausreichender Zahl. Das ist aber genau die Waffengattung, die derzeit am wenigsten gebraucht wird.

Die Abschaffung der Wehrpflicht hat zudem zu Personalsorgen geführt. Vor einem Jahr hängten 27,7 Prozent aller neuen Soldaten die Uniform an den Nagel; inzwischen sind es 30,4 Prozent. Und das, obwohl das Verteidigungsministerium angeordnet hat, daß die nächtliche Ruhezeit grundsätzlich acht Stunden betragen soll. Die Rekruten sollen „vom ersten Tag an einen guten Eindruck vom Heer“ bekommen. Natürlich sollte die Ausbildung nicht so hart sein wie in Kubricks Film „Full Metal Jacket“ dargestellt, aber eine Kuschel-Armee, die erst den Feind fragt, ob sie schießen darf, kann auch nicht sein. Vorsichtig näherte sich der Historiker Michael Wolffsohn einer inzwischen verdrängten Wahrheit des Soldatenhandwerks an: „Freiwillig sterben wollte und will kaum jemand, und das Todesrisiko ist im Militär erheblich größer als bei jedem privaten Arbeitgeber.“

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