© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

Spalter im Hradschin
Präsidentschaftswahl in Tschechien: Propagandaschlacht um Beneš-Dekrete setzt Schwarzenberg schachmatt
Gernot Facius

Kurz vor der Stichwahl hatte sich noch der Prager Kardinal Miloslav Vlk (81), ein über Parteigrenzen hinweg geachteter Mann, für den liberal-konservativen Außenminister Karl Fürst Schwarzenberg (75) in die Bresche geworfen, aber aus der ersten Direktwahl des tschechischen Präsidenten ging dann doch der Linkspopulist Miloš Zeman (68) als Sieger hervor und darf nun in die Prager Burg, den Hradschin, ziehen.

Zeman, der nichts dabei fand, fast 24 Jahre nach der samtenen Revolution noch einmal die nationalistische Karte zu ziehen und seinen Mitbewerber wegen kritischer Worte über die Beneš-Dekrete, die 1945 die Grundlage für die Entrechtung der Sudetendeutschen (und Ungarn) in der Nachkriegstschechoslowakei bildeten, als Staatsfeind in die Ecke zu stellen, gewann 55 Prozent der Stimmen, zehn Prozentpunkte mehr als der Konkurrent aus altem böhmischem Adelsgeschlecht.

Die Wertegemeinschaft EU muß nun mit einem Hausherrn auf der Prager Burg leben, der sich zwar europafreundlicher gibt als der amtierende „bürgerliche“ Präsident Václav Klaus (71), jedoch wie dieser die kollektive Entrechtung und Vertreibung der Sudetendeutschen mit Zähnen und Klauen verteidigt. Zur Erinnerung: Als sozialdemokratischer Ministerpräsident hatte er einst von den Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien als der „fünften Kolonne Hitlers“ gesprochen, was selbst beim damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) nicht gut ankam; Schröder verschob einen Besuch bei seinem Genossen.

Immerhin, der ehemalige Kanzleichef von Václav Havel, Karl Schwarzenberg, hat in der Hauptstadt und weiteren Großstädten mehr Stimmen als der Ex-Regierungschef und Ex-Sozialdemokrat Zeman auf sich vereinen können. Das zeigt, daß zumindest urbane und intellektuelle Wählerschichten sich nicht mehr ohne weiteres instrumentalisieren ließen. Hingegen hatte Zeman in den ländlichen Gebieten die Nase vorn.

Ein deutliches Zeichen, wie gespalten die tschechische Gesellschaft ist. Bemerkenswert auch dies: Die Jüngeren haben den älteren der beiden Kandidaten gewählt. Die Älteren entschieden sich für den sieben Jahre jüngeren Zeman.

Vorübergehend hatte es danach ausgesehen, als dominierten die aktuellen Probleme des Landes den Wahlkampf: das Versagen der regierenden Parteien, die Dauerskandale um ihre Repräsentanten, die Finanzbetrügereien, die wuchernde Korruption, die umstrittene Massenamnestie von Häftlingen durch Präsident Klaus, von der auch Wirtschaftskriminelle profitierten.

Dies änderte sich, als Schwarzenberg in einer Fernsehdebatte darauf hinwies, daß er die Vertreibung der Sudetendeutschen als Unrecht qualifizierte. Sie sei „ein Schandfleck, für den wir uns schämen sollten“. Da rückte plötzlich die Vergangenheit in den Vordergrund. Der Fürst hatte zwar, anders als von Zeman behauptet, den Begriff „Kriegsverbrecher“ für Beneš nicht direkt verwendet, aber gesagt, daß Vertreibungen heutzutage vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sehr streng beurteilt würden. Dort würde sich heute die CSR-Regierung von damals verantworten müssen.

Parallel dazu verurteilte Schwarzenberg den Kollektivschuldgedanken mit aller Schärfe. Woraufhin Zeman, sekundiert von Klaus, Schwarzenberg vorwarf, wie ein Sudetendeutscher, nicht wie ein denkbarer tschechischer Präsident, zu sprechen. Klaus sah darüber hinaus durch den Fürsten die Nachkriegsordnung in Frage gestellt, er werde ihm dessen Äußerungen „nie verzeihen“.

Es formierte sich, wie die Zeitung Hospodarske noviny formulierte, eine „nationale politische Front“ – sie reichte von ganz rechts bis weit links. „All die vergessenen nationalistischen Vorurteile und die Minderwertigkeitskomplexe werden wiederbelebt, nur um sie in den politischen Kampf gegen Schwarzenberg zu werfen“, schrieb Mladá fronta Dnes. Und damit war der Ausgang der Wahl praktisch entschieden.

Es sprach für die Ehrlichkeit des Außenministers, daß er von seiner Meinung keine Abstriche machte: „Ich werde Dinge sagen, die wahr sind, auch wenn sie Aversionen hervorrufen“, erklärte Schwarzenberg und unterstrich: „Hätte ich wegen der Reaktion der Öffentlichkeit die Hose voll vor Angst, wäre das eine schreckliche Niederlage für mich.“

Zum Erstaunen vieler Beobachter wurde gegen Ende des Wahlkampfes wieder über die Beneš-Dekrete diskutiert. Auch der slowakische Regierungs-chef Robert Fico schaltete sich in die Debatte ein. Sein Land fühle sich durch Schwarzenberg-Äußerungen zu den Dekreten „beunruhigt“, erklärte Fico.

In diesem Punkt mußte sich der Fürst korrigieren. Zunächst hatte er nämlich gesagt, die Dekrete seien mit dem Inkrafttreten der neuen tschechischen Verfassung von 1992 und der Charta der Grundrechte und -freiheiten, die einen Bestandteil dieser Verfassung bildet, „erloschen“. Später revidierte er diese Aussage. Die Dekrete hätten ihre Wirkung verloren. Was allerdings mit Recht bezweifelt werden kann, wenn man die tschechische Rechtsprechung betrachtet. Genützt hat Schwarzenberg diese Wortakrobatik letztlich nicht. Um es drastisch auszudrücken: Miloš Zeman hat mit Edvard Beneš und dessen Hinterlassenschaft gesiegt.

Jedes Mittel war den Schwarzenberg-Gegnern recht, um es gegen den Adeligen einzusetzen. Er sei – weil er während der Herrschaft der Kommunisten im Exil in Deutschland und Österreich lebte – „kein richtiger Tscheche“. Höhepunkt der Kampagne war eine ganzseitige Anzeige in der meistgelesenen Zeitung Blesk. Ein Präsident Schwarzenberg, hieß es darin, wolle die Sudetendeutschen entschädigen, er bereite „den Boden für die Rückgabe des Eigentums an die Nachfahren der Kriegsverbrecher“. Auftraggeber war ein Prager Anwalt, der als Offizier der tschechischen Stasi an der Unterdrückung von KP-Gegnern beteiligt war. Wie sich herausstellte, steht er dem Zeman-Lager nahe. Der Anzeigentext sagt mit anderen Worten, was schon Václav Klaus mit seiner Warnung vor Schwarzenberg andeutete: Die Tschechen müßten wieder um ihr Häuschen fürchten.

Die Propagandaschlacht um die Vergangenheit, in deren Verlauf sich Schwarzenberg mit Kontern auffallend zurückhielt, fiel vor allem in den Grenzgebieten auf fruchtbaren Boden. Zerknirscht mußte der Fürst seine Niederlage hinnehmen.

Während der neue Präsident nun viel damit zu tun haben wird, die aufgerissenen Gräben zuzuschütten, rückt für Deutschlands Bundespräsidenten Joachim Gauck die Stunde der Wahrheit näher. Gauck hatte bei seinem ersten Besuch in Tschechien eine konkrete Aussage zur Vertreibung vermieden. Er werde sich bei anderer Gelegenheit äußern, ließ er verlauten. Die „Gelegenheit“ kann schnell kommen: spätestens, wenn er erstmals mit Zeman zusammentrifft.

Foto: Linkspopulist Miloš Zeman (l.) und der liberal-konservative Karl Fürst Schwarzenberg: Heißer Disput über die Vertreibung der Deutschen

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