© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

Grüße aus Moskau
Unmut in Pillau
Thomas Fasbender

Es gibt nur wenige Stellen in Pillau, heute die westlichste Stadt der Russischen Föderation, wo der Grabende nicht auf verblichene Knochen stößt, Zeugen von Krieg, Flucht und Vertreibung. Schon beim Bau der orthodoxen Alexander-Newskij-Kirche vor einigen Jahren stellte sich heraus, daß dort ein aufgelassener deutscher Friedhof lag. Die Gebeine wurden eingesammelt und in der Krypta der neuen Kirche beigesetzt.

Bei Rohrarbeiten in der Moskauer Straße vor zwei Jahren fand man im aufgerissenen Erdreich die Überreste französischer und belgischer Kriegsgefangener, ebenso deutscher Flüchtlinge, alle im Januar 1945 in Eile bestattet.

In diesen Tagen sorgt der Kindergarten Nummer eins in der Senjawinstraße für Schlagzeilen. Dort entsteht ein Neubau für 240 Kinder, mit einem Schwimmbad und direkter Anbindung an den Pillauer Stadtpark. Schon im Herbst schwirrten erste Gerüchte durchs Internet: Bäume aus dem Bestand des Stadtparks würden gefällt, und unter dem Gelände liege angeblich ein alter deutscher Friedhof. Totenschändung und das Fällen von Parkbäumen sind auch in Rußland Reizthemen.

Hatten die Bürokraten, die noch im Dezember alles eifrig dementierten, nun Wind davon bekommen oder nicht? Jedenfalls bewies Anfang Januar der Chef der lokalen Baufirma Avanport, Walerij Kulischkin, daß er etwas von Öffentlichkeitsarbeit versteht. Er gestand der Presse gegenüber nicht nur ein, daß man auf dem Gelände des Kindergartens die Überreste von mehr als 150 Toten gefunden habe, er gab auch bekannt, daß sein Unternehmen bereits dabei sei, deren Überreste mit Hilfe von Freiwilligen in geweihte Erde umzubetten – so wie es aussieht ebenfalls in die Grablege der Alexander-Newskij-Kirche.

Kulischkin hat Erfahrung – und die für Umbettungen erforderliche Lizenz. Schon um das Jahr 2000 herum war Avanport an der Fertigstellung der Pillauer Kriegsgräberstätte Nordmole beteiligt.

Unklar ist weiterhin, ob sich auf dem Kindergarten-Gelände wirklich ein offizieller Friedhof aus der Vorkriegszeit befand. Kaum irgendwo in Deutschland haben Krieg und Tod im Winter 1945 so grausam gewütet wie in Ostpreußen. Wer hat gezählt, wie viele da begraben wurden, und wo. Da ist es tröstlich, daß die Enkel der Gegner und Sieger an unsere Toten denken. Und sei es nur, um zu verhindern, daß eine neue Generation auf deren Überresten spielt.

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