© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

13.000 Kilometer bis Berlin
Heldenepos: „Die Männer der Emden“ erzählt eine wahre Geschichte
Sebastian Hennig

Der Spielfilm „Die Männer der Emden“ von Regisseur Berengar Pfahl (siehe Interview auf Seite 3) führt in eine unvorstellbar ferne Welt. Fern in Zeit und Raum. In Tsingtau wird einheimisches Gebräu ausgeschenkt, die Streicher spielen auf, und chinesische Kellner zeichnen sich durch exakte Eilfertigkeit aus. Doch ist es eine zerbrechliche, exklusive und exterritoriale Kultiviertheit. Darin gleicht die Szenerie unserer gegenwärtigen Lage in der Mitte Europas. Man glaubt die eigene Situation inmitten eines sich zunehmend entgrenzenden Vaterlandes um hundert Jahre zurückgespiegelt zu sehen.

Zur Hochzeitsfeier eines Kameraden präsentieren sich die deutschen Offiziere in Uniformen, die sich seit der Zeit Scharnhorsts nicht verändert zu haben scheinen. Am Vorabend der Mobilmachung findet für die Truppen ein Kameradschaftsabend mit den Engländern statt. Das Sportfest am nächsten Tag muß bereits kriegsbedingt ausfallen. Aber der Krieg wird zunächst voller Sportsgeist geführt. Der kleine Kreuzer „Emden“ ist bald mehr noch berühmt als berüchtigt durch seine wirkungsvollen Attacken. Tapferkeit und Fairneß prägen den Kampf. Britische Zeitungen feiern die Männer der „Emden“ als „Gentlemen of war“.

Doch die ahnen nicht, daß sie längst nicht mehr angreifen, sondern einen Abzug decken, denn das Ostasiengeschwader der Kaiserlichen Marine unter dem Kommandanten Maximilian Graf von Spee hat Tsingtau bereits preisgegeben. Ein Landungskommando der „Emden“ kappt auf der Kokosinsel einen Telegraphen-Knotenpunkt. Dabei werden sie zu hilflosen Augenzeugen der Versenkung ihres Schiffs. Kapitänleutnant Mücke, gespielt von Sebastian Blomberg, entscheidet gegen die Gefangenschaft, um sich mit fünfzig Männern zum Heimathafen durchzuschlagen. Der abgewrackte Schoner „Ayesha“ wird notdürftig ertüchtigt. Daß die britische Besatzung der Station wohl Lebensmittel zur Verfügung stellte, aber zugleich heimlich die Dichtungen der Seeventile entfernte, wird in der Filmerzählung nobel unterschlagen.

Mehr schlecht als recht ereichen die Männer das niederländische Sumatra. Dort erfahren sie die Hiobsbotschaft der japanischen Besetzung von Tsingtau. Für das folgende Abenteuer ist Breitwand-Kino gerade recht. 13.000 Kilometer bis Berlin sind zurückzulegen. Denn von Mücke faßt nun Konstantinopel als neues Ziel ins Auge. Ungefähr um die Zeit, da das deutsche Ostasiengeschwader von einer Übermacht der Royal Navy vor den Falklandinseln aufgebracht wird, besteigen Mückes Leute einen deutschen Frachter. Der wird sogleich requiriert, um auf hoher See zum Italiener umgestrichen zu werden.

Die Soldaten erreichen endlich in einem Gewaltmarsch durch die Arabische Wüste die Hedschas-Bahn. Und fahren durch Syrien nach Konstantinopel. Dort meldet Kapitänleutnant von Mücke am 23. Mai dem deutschen Marinebefehlshaber: „Euer Exzellenz, melde gehorsamst, Landungszug SMS Emden in Stärke von 5 Offizieren, 7 Unteroffizieren und 37 Mann zur Stelle!“

Eine Aufgabe zu erfüllen, kann gerade in ausweglosen Situationen überlebenswichtig werden. Zur Ordnung gehört auch die von der halb gesunkenen „Emden“ gerettete Reichskriegsflagge, welche die Männer durch Ozean und Wüste mit sich führten. Wenn der Offizier zuletzt seinen Kameraden, den er auf Sumatra aus dem Lotterbett einer schwarzen Venus zurück zur Truppe führte, dennoch Tausende Meilen weit von der Heimat enden sieht und dagegen aufbegehrt, so hat er ihm wenn nicht das Leben, so doch die Würde bewahrt.

Die spätere propagandistische Verwertung durch die Nationalsozialisten hält Produzent, Regisseur und Autor Berengar Pfahl nicht davon ab, hier ein großes Heldenepos in Szene zu setzen – auch wenn er mit dem Begriff „Helden“ Schwierigkeiten haben mag, wie er im Presseheft bekennt. Die Anteilnahme am menschlichen Schicksal vermag jedenfalls wirklich zu fesseln.

Ein Band von Liebe, Berechnung und Eifersucht verknüpft die Geschichte der Soldaten kintoppgerecht mit der Odyssee der zivilen Flüchtlinge aus Tsingtau. Zwei Offiziere (Ken Duken als Karl Overbeck, Jan Henrik Stahlberg als Friedrich von Schulau) sind in die schöne Kaufmannstochter Maria von Plettenberg (Felicitas Woll) verliebt. Deren Familie muß ihrerseits eine gefahrvolle Rückreise aus Tsingtau bestehen. Der Film als Medium hat heutzutage eben seine eigenen Gesetze.

Sebastian Blomberg als Kapitänleutnant Hellmuth von Mücke läßt auf verdeckte Weise das Temperament und die Nachgeschichte dieses Helden durchscheinen. Als sächsischer NSDAP-Landtagsabgeordneter trat er 1929 im Streit aus der Partei aus und zog sich auf die Insel Föhr zurück. Von Mücke, der den Tod seines Sohnes im Zweiten Weltkrieg nicht verkraftete, wendete sich in den fünfziger Jahren gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik.

Die Nachkommen der weitgereisten Heimkehrer treffen sich noch heute jährlich. Die „Emden-Familie“ bezeichnet eine ungezwungene Gemeinschaft ohne Vereinsmeierei. Hier vermochte die Wucht des Schicksals über hundert Jahre hinweg Menschen zu vereinen.

Foto: Seemänner in der Wüste: „Euer Exzellenz, melde gehorsamst, Landungszug SMS Emden zur Stelle!“

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