© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

Lockerungsübungen
Liberale sind mehrheitsfähig
Karl Heinzen

Entgegen allen Prognosen ist die FDP mit nahezu zehn Prozent der Stimmen souverän in den niedersächsischen Landtag eingezogen. Diejenigen, die diese Partei über Monate hinweg verhöhnten, sollten nun in sich gehen und endlich Ruhe geben. Ihre Abneigung gegen die Liberalen ist jedoch so übermächtig, daß sie lieber mit weiterem Spott nachkarten. Die FDP, so die neue Latrinenparole, verdanke ihren Triumph doch nur Bürgern, die viel lieber der CDU ihre Stimme gegeben hätten, aber meinten, dieser einen größeren Dienst zu erweisen, indem sie ihrem präferierten Koalitionspartner den Sprung über die Fünfprozent-hürde ermöglichen.

Damit ist ein Wählerverhalten beschrieben, das in einer modernen Demokratie als vorbildlich angesehen werden sollte. Wenn Bürger ernsthaft prüfen, bei welcher Partei ihre Interessen am besten aufgehoben sind, können sie nicht zu einem eindeutigen Ergebnis kommen. Viele versprechen ihnen dasselbe, bei einigen finden sie dieses, das ihnen zusagt, bei anderen anderes. Das Bild des mündigen Bürgers, der sich Gedanken über seine Stimmgabe macht, deckt sich daher nicht mit jenem des Stammwählers. Der mündige Bürger entscheidet sich von Wahl zu Wahl neu; er folgt dabei bloß dem rationalen Kalkül, das kleinstmögliche Übel für sich zu identifizieren.

Je mehr mündige Bürger es gibt, desto größer sind wiederum die Chancen der FDP, eine dominierende Rolle zu spielen. Dies könnte sich schon bei der anstehenden Bundestagswahl erweisen. Auch bei ihr werden zahlreiche Bürger, die eigentlich der Union näherstehen, der FDP ihre Stimme geben, um sie sicher in den Bundestag zu bringen. Anhänger der Piraten dürften erkennen, daß deren Zeit bereits vorbei ist, ihre Ideale aber von den Liberalen fortgetragen werden. Sympathisanten der SPD könnten sich zu der Auffassung durchringen, statt Steinbrück doch lieber gleich das Original zu wählen. Den Grünen zuneigende Wähler wiederum werden erkennen, daß Schwarz-Gelb in Berlin nicht zu verhindern ist und daher in dieser Koalition wenigstens das gutbürgerliche Element gestärkt werden sollte. Selbst für Linke gibt es nach Marx einen Grund, FDP zu wählen: Solange der Kapitalismus nicht voll entwickelt ist, kann es keinen Sozialismus geben. Wer will unter diesen Umständen noch leugnen, daß sogar eine absolute Mehrheit der FDP möglich ist?

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