© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

Die wahren Auslöser der Eiszeiten
Der Nordatlantik und nicht die Sonne regelte über Jahrtausende unser Klima / Neue Thesen zur Klimadebatte
Christoph Keller

Selbst für den, der die Schule noch mit solidem Erdkundewissen verließ, ist die Eiszeit beinahe ins Mythologische entrückt. Abrufbar ist wohl noch, daß es sich um eine Kälteperiode handelte, die vor gut 12.000 Jahren in Europa zu Ende ging, die überdies die Oberflächenstruktur des alten Kontinents so formte, wie sie uns heute als Lebensraum von den Alpen bis zu Norwegens Fjorden vertraut ist. Aber wann begann „die“ Eiszeit? Und auf welche Ursachen läßt sie sich zurückführen? Welche Faktoren bestimmten ihr Ende, warum also wurde es um 10.000 vor Christus auf der Nordhalbkugel des Planeten merklich wärmer?

Wer sich gleich Goethe „nur“ über dreitausend Jahre Rechenschaft will geben, um nicht „im Dunkel unerfahren“ zu bleiben, den müssen diese Fragen nicht beunruhigen. Aber Forscher wie der Freiberger Geowissenschaftler Jürgen Meier drängen aktuelle Probleme des Klimawandels, darauf Antworten zu finden und dafür in Erdzeitalter zurückzugehen, die den Menschen nicht kannten. Meier beschäftigt sich seit langem intensiv mit den Ursachen pleistozäner Eiszeiten, also mit einem 500.000 Jahre umfassenden Zeitraum (Zeitschrift für geologische Wissenschaften, 2-3/12).

Im Plural „Eiszeiten“ steckt bereits eine scharfe Korrektur unseres Schulwissens. Denn es gab, wie die Eiszeitforschung, die den Begriff 1837 kreierte, schon im 19. Jahrhundert herausfand, im Verlauf einer halben Million Jahre deren drei. Die chronologische Fixierung der ersten Eiszeit im Mittelpleistozän schwankt zwischen 720.000 und 350.000 Jahren vor unserer Zeitrechnung, wobei sich die meisten Schätzungen auf die Zeit zwischen 500.000 und 400.000 konzentrieren. Da die anschließende nordeuropäische Warmperiode („Holstein-Interglazial“) mit Hilfe von Uran-Thorium-Altersbestimmungen an marinen Mollusken ebenso ungenau zu datieren ist, wird der Auftakt der zweiten Eiszeit um 270.000 vermutet, ihr Ende um 130.000. Die Eisvorstöße der dritten Eiszeit traten im norddeutschen Raum um 64.000 auf, und um 10.000 befand sich dieser bis zur Linie London-Lemberg reichende Eispanzer auf dem Rückzug.

Nicht nur halb Europa lag bis dahin unter dem Fennoskandischen Eisschild begraben, sondern auch die Hälfte Nordamerikas, auf dem von der kanadischen Hudsonbay bis nach Kansas der Laurentische Eisschild lastete, dem westlich der Rocky Mountains noch der Kordilleren-Eisschild benachbart war. Noch heute, so klagt Meier, werde über den „Erklärungsnotstand“, der eigentlich bei der Frage nach den auslösenden Faktoren dieser drei Eiszeiten herrsche, mit der Floskel, sie seien „hinlänglich bekannt“, hinweggegangen. Bekannt sind indes nur Hypothesen, denen Meier aber nicht traut.

Zu den beliebtesten Erklärungen für das Auftreten dieser Klimaextreme zählt der Verweis auf kosmische oder orbitale Ursachen wie Schwankungen der Erdachse, periodische Veränderungen der Sonnenintensität, Asteroideneinschläge, zyklische Veränderungen des Abstandes der Erde von der Sonne, der Zu- und Abnahme von Sonnenflecken. Auch im gegenwärtig so leidenschaftlich geführten Klimadiskurs stellt die Sonne bekanntlich für „Klimaleugner“ alle anthropogenen Einflüsse im wahrsten Sinne des Wortes in den Schatten.

Für Meier jedoch stimmen orbitale Zyklen, zuerst 1920 von dem 1904 in Wien promovierten serbischen Geophysiker Milutin Milanković berechnet, mit den geologischen und meteorologischen Befunden nicht überein. Auch größtmögliche Änderungen der Sonneneinstrahlung münden nicht in Eiszeiten und erklären nicht das Aufwachsen von Eispanzern mit Mächtigkeiten bis zu 3.000 Metern. Voraussetzung dafür sei zudem nicht Kälte, sondern Verdunstung, die „Schnee und abermals Schnee brachte“, der sich dann zu Gletschereis umbildete. Der Schlüssel, um die Herkunft dieser „unvorstellbaren Schneemengen“ plausibel zu deuten, liegt für den Freiberger Geologen statt in kosmischen in tektonischen Ereignissen. Für die gegenwärtige Debatte kündigt sich damit ein erstaunlicher Paradigmenwechsel an, der den „Klimaskeptikern“ widerspricht, ohne die dominierende Theorie von der menschlich induzierten Klimaerwärmung zu stützen.

Meiers „tektonischer These“ liegen aufwendige Studien über die unterschiedlichen geomorphologischen Auswirkungen der Glaziale und ihrer gestaffelten Vorstöße im Sachsen-Brandenburg zugrunde, wo, als Resultat des intensiven Braunkohleabbaus zu DDR-Zeiten, sich eines „der am besten erforschten geologischen Bruchsysteme der Erde“ wie ein Archiv zum Studium der Eiszeiten anbietet. Dort ist ablesbar, daß jede der drei Eiszeiten von einer mehrphasigen Rhythmik mit insgesamt abnehmender Tendenz der Eismächtigkeit und Ausdehnung geprägt ist. Dabei erreicht die zweite nicht die Ausdehnung der ersten, die dritte Eiszeit nicht die der zweiten. Auch ist eine nach Norden gerichtete Verlagerung des gesamten Prozesses in Europa wie in Nordamerika zu erkennen.

Was Meier an der Lausitzer Grabenzone abgelesen hat, dient ihm zum Vorbild für sein tektonisches Modell über die Ursprungsherde der Eiszeiten. Demnach sanken infolge eines erdbebenartigen Bruchs im Nordatlantik Teile des Meeresbodens um Hunderte von Metern. Und mit ihm auch das kältere Tiefenwasser des Nordpolarmeeres. Dadurch strömte wärmeres Meerwasser aus dem südlichen Nordatlantik in arktische Gefilde, was in dieser Zone niedriger Lufttemperaturen die Verdunstungsrate explosionsartig erhöhte. Über lange Zeiträume waren daher hohe Niederschlagsraten garantiert, die über Kanada, Grönland und Skandinavien als Schnee niedergingen und mächtige Eisschilde aufbauten. Im Seegebiet vor Islands Ostküste hätten sich diese endogen-tektonischen Brüche mit abnehmender Intensität dreimal ereignet, wobei vom ersten bis dritten Einbruch eine nordöstliche Linie entlang des Grönlandbeckens zu ziehen ist, was im Vergleich der Glaziale die abnehmende Tendenz bei Niederschlagsmengen, Eisbildung und Ausdehnung erklärt.

Ein schwerwiegendes Problem löst Meiers Klimageschichte indes nicht: Riefen ähnliche, wenn auch erheblich schwächere tektonische Verwerfungen im Nordatlantik im frühen 14. Jahrhundert, als im Winter 1322/23 sogar der Atlantik zugefroren war, auch die „Kleine Eiszeit“ hervor, die erst Mitte des 19. Jahrhunderts endete? Meier kann dies nur vermuten und zur Klärung der Frage größere Forschungsanstrengungen vor allem bei Geobotanikern anmahnen.

Weitere bebenartige Einsenkungen im Nordatlantik hält Meier auch mit Blick auf die beiden jüngsten asiatischen Tsunamis für „wahrscheinlich“. Doch der Verlauf der Eiszeiten lehre, daß nur Senkungen im Meterbereich zu erwarten seien. Wir leben daher nicht in der Klimaphase einer Zwischeneiszeit. Trotzdem könnten auch geringfügige tektonische Entwicklungen unter gegenwärtigen Zivilisationsbedingungen für den Norden Amerikas, Asiens und Europas „erhebliche Belastungen“ zur Folge haben.

Jürgen Meier: Die Ursachen der pleistozänen Eiszeiten, in der „Zeitschrift für Geologische Wissenschaften“, Band 40, Ausgabe 2-3/12:

www.zgw-online.de

Foto: Eiszeit durch tektonische Brüche im Nordatlantik: Neue Munition für die Debatte um die dominierende Theorie von der menschlich induzierten Klimaerwärmung

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