© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/13 / 08. Februar 2013

Sitzverbot in Dresden
Geschichtspolitik: Wie in jedem Jahr droht das Gedenken an die Opfer der Zerstörung der sächsischen Landeshauptstadt von Krawallen überschattet zu werden
Paul Leonhard

Dresden wird auch in diesem Jahr am 13. Februar nicht zur Ruhe kommen. Den 68. Jahrestag der angloamerikanischen Bombenangriffe, die das historische Zentrum der Großstadt an der Elbe komplett zerstörten und mindestens 100.000 Menschen töteten, wollen erneut Gruppierungen aus dem links- und rechtsradikalen Spektrum für ihre Zwecke nutzen. Sieben Anmeldungen für Veranstaltungen an diesem Gedenktag sind bisher im Rathaus eingegangen. Einschließlich der Menschenkette, die zu bilden Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) „alle Bürger und auch die Gäste der Stadt“ aufgerufen hat. Es sei wichtig, daß wieder Tausende Menschen unter dem Motto „Mit Mut, Respekt und Toleranz – Dresden bekennt Farbe“ ein sichtbares Zeichen setzen, so die Christdemokratin, die, im niederschlesischen Görlitz geboren, keinen familiären Bezug zu Dresden hat.

Daß Orosz mit ihrem Aufruf ausreichend Dresdner mobilisieren kann, wird offenbar sogar von den Bürgermeistern der Umlandgemeinden angezweifelt. Jedenfalls haben die Stadtoberhäupter von Heidenau, Freital und Radebeul mitgeteilt, die Menschenkette unterstützen zu wollen.

Außen vor bleibt diesmal das linke Bündnis „Nazifrei! Dresden stellt sich quer“. Dessen Aktivisten sind offenbar nicht bereit, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu akzeptieren. Der lautet: keine Gewalt, keine Blockaden. „Ziviler Ungehorsam gegen Nazis ist unser Recht“, heißt es in einer Mitteilung des Bündnisses. Vor allem der angemeldete Trauermarsch „Die Seele brennt“ des NPD-nahen „Aktionsbündnisses gegen das Vergessen“ wollen die selbsternannten Antifaschisten „effektiv verhindern“. Auf der linksextremistischen Internetseite Indymedia rufen sie auf, die Demonstration des politischen Gegners „mit vielfältigen Aktionen zu einer Lachnummer“ zu machen.

Die Dresdner Rathausführung und die von dem ehemaligen Pfarrer und heutigen Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, geführte „AG 13. Februar“ haben sich seit Monaten vergeblich bemüht, das Bündnis „Dresden nazifrei“ in die eigenen Aktivitäten zu integrieren. Die Gespräche seien harmonisch verlaufen und man stimme darin überein, sich gegen Rechtsextremisten und den Mißbrauch des 13. Februar zu wenden, sagt Richter. Und Orosz betonte, daß „die destruktive Debatte über richtiges und falsches Gedenken“ zur Geschichte gehöre.

Ganz andere Töne schlägt die Antifa selbst an: „Die Staatsveranstaltung Helma Orosz’ mit dem Namen Menschenkette ist nur eine weitere geschichtsrevisionistische Inszenierung, welche die Nazis nicht am Laufen hindern wird“, heißt es bei Indymedia. Am Heidefriedhof werde, wie die Jahre zuvor, die „politische Mitte gemeinsam mit Neonazis um tote Deutsche weinen“. Und weiter heißt es: Die Kampagne „Keine Ruhe“ sei „an ergebnisorientierten Blockade- und Störaktionen“ interessiert.

Ebenfalls ins Visier der Antifa ist die sächsische Justiz geraten. „Die Dresdner haben diese Krawalle satt, irgendwann ist es genug“, hatte der Vorsitzende eines Schöffengerichts gesagt und einen linken Blockierer der genehmigten Demonstration vom 19. Februar 2011 wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung und Beleidigung zu einer Gefängnisstrafe von 22 Monaten verurteilt. Im Gegensatz zu Staatsanwaltschaft und Amtsgericht ist die Antifa der Meinung, es hätten keine konkreten Beweise gegen den Berliner Mitarbeiter der Linkspartei vorgelegen.

Blindgänger sorgt fast für eine Katastrophe

Infolge des Urteils untersagte die Stadt ein für vergangenen Sonnabend geplantes Blockadetraining. Dieses hatte die Europaabgeordnete der Linken, Cornelia Ernst, als „Probesitzen“ angemeldet. Das Verwaltungsgericht bestätigte das Verbot. Statt dessen gab es eine Protestdemo mit sechzig Teilnehmern, zu der das Bündnis „Nazifrei! Dresden stellt sich quer“ aufgerufen hatte. Bündnis-Sprecher Silvio Lang klagte: „Es wird darauf hinauslaufen, daß weder die Bewerbung von Blockadetrainings gestattet ist, noch die szenische Darstellung von Blockaden. Wir dürfen uns wohl noch nicht einmal hinsetzen.“

Auch an der Technischen Universität Dresden wird die sächsische Demokratie in Anführungsstrichen geschrieben, wenn es um die alljährlichen Krawalle rund um den Jahrestag der Zerstörung der Stadt geht. Beispielsweise auf einer gemeinsamen Veranstaltung Ende Januar des „Forums 13. Februar“ und des Studentenrates unter der Fragestellung „Warum wird Protest kriminalisiert?“ Während die Studenten noch diskutierten, zeigte der Zweite Weltkrieg noch einmal im Stadtzentrum seine mörderische Fratze. Für mehrere Stunden mußten 2.500 Dresdner evakuiert und ein Teil der Innenstadt komplett gesperrt werden. Ein Baggerfahrer war in anderthalb Metern Tiefe auf eine scharfe amerikanische Fünf-Zentner-Bombe gestoßen. Um ein Haar wäre es zu einer Katastrophe mit vielen Toten gekommen. 51 Minuten brauchte der Kampfmittelspezialist, bis die auch nach 68 Jahren voll intakte Bombe entschärft war.

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