© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/13 / 08. Februar 2013

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Tauber und Täubin
Paul Rosen

Berlin, Bahnhof Friedrichstraße, Bahnhofsvorplatz: Ein Tauber dreht sich im Kreis vor einer Täubin, gurrt wie verrückt. Immer wieder plustert er sich auf und dreht Kreise.

„Sie denken doch nicht etwa ...“, ist eine Stimme zu vernehmen. „Doch“, so die Antwort des Journalisten: „An Brüderle.“ Der altgediente Fraktionsmitarbeiter der Union, gestählt durch jahrzehntelange Erfahrung mit Polit-akteuren verschiedenen Geschlechts, kann sich ein Lachen nicht verkneifen. „Wir sind ‘Zeuge eines Anfalls von öffentlichem Irrsinn’“, zitiert er Michael Naumann (SPD), den früheren Kulturstaatsminister aus Gerhard Schröders Zeiten. „Ach ja, der Schröder, wenn der abends seine Witze riß und die Journalistinnen regelrecht auf ihn lauerten, kam niemand auf die Idee, von Sexismus zu reden.“ Man solle, so sein Rat, einmal die Ergebnisse des Kennenlernens von Politikern und Journalisten zusammenfassen: „Wie viele haben geheiratet, und wie viele haben gemeinsame Kinder? Sie werden sich wundern, wie Presse und Politik privat verbunden sind.“

Und irgendwo hätten sie sich schließlich kennenlernen müssen. Da Politiker und Politikerinnen selten in Selbsthilfegruppen oder Diskussionszirkeln auf dem Prenzlberg anzutreffen seien, bleibe fast nur die Hotelbar am Abend eines Parteitages. Aber Brüderle sei das falsche Objekt für eine Sexismus-Debatte. Unser väterlicher Bekannter verweist auf einen Artikel von Michael Spreng im Berliner Kurier: „Rainer Brüderle ist nur ein harmloser älterer Mann.“ Auch Naumann habe sich gewundert, wie einem „offenkundig beschwipsten Politiker mit eingeschränktem Anstandsgefühl“ so viel Aufmerksamkeit zuteil werde.

Apropos Aufmerksamkeit. Kürzlich habe er bei der FDP-Fraktion was abgeben müssen und sei dabei an dem Sitzungszimmer vorbeigegangen, wo Brüderle sein regelmäßiges Pressefrühstück gibt. „Sie glauben nicht, was da los war. 70 Journalisten, fünf Kameras, und diese Stern-Reporterin Himmelreich war auch da.“ Sogar Politikerinnen würden sich als Opfer des Sexismus fühlen. Er zieht die aktuelle Ausgabe des Stern aus der Tasche und liest ein Zitat von Dagmar Enkelmann (Linke) vor: „1990 wurde mir von (natürlich männlichen!) Journalisten der zweifelhafte Titel ‘Miss Bundestag’ verliehen, nicht wegen meiner Positionen, denn die waren oder sind links, sondern allein wegen meines Äußeren.“ Er lacht: „Und der Peter Ramsauer von der CSU war Mr. Bundestag, ohne daß das jemand als sexistisch angesehen hätte.“ „Ja, ja, und wenn das so weitergeht, wird der Horst Seehofer noch als Opfer seiner außerehelichen Kindsmutter hingestellt“, so unser Versuch, ihn zu reizen. Doch so einfach ist das nicht. Der Konter folgt mit einem Zitat aus dem Tagesspiegel, wo Hatice Akyün die Dinge auf den (weiblichen) Punkt gebracht habe: „Ich gewinne langsam die Erkenntnis, daß die Urtriebe des Mannes, Jagen, Sammeln und Fortpflanzen, sich als Relikte aus der Steinzeit nicht fortentwickelt haben.“

Der Tauber dreht immer noch seine Kreise. Die Täubin ist noch da.

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