© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/13 / 08. Februar 2013

Dresden lebt!
Wiederaufbau: Das Wunder wird wahr – die sächsische Metropole erhält zusehends ihr historisches Gesicht zurück
Paul Leonhard

Der Dresdner, der vom Bahnhof Neustadt zum Hauptbahnhof fährt, sieht automatisch nach links, wenn der Zug die Elbe quert. Schaut auf die Silhouette der Stadt, läßt sich einnehmen vom Blickfang, zählt die sieben großen Türme und Kuppeln, freut sich am Dom. Ja, das Wunder ist Wirklichkeit. Der helle Sandstein der mächtigen Kuppel der Frauenkirche blinkt herüber. Das Herz der Stadt wieder komplett. Ein faszinierender Anblick immer noch.

Jede Dresdner Generation nach der so totalen, überraschenden, schockierenden Bombardierung der Stadt in der Nacht zum 14. Februar 1945 ist aufgewachsen mit den Narben des Krieges, von denen noch Ruinen im Zentrum zeugen. Ist aufgewachsen mit Fritz Löfflers Sehnsuchtsbuch „Das alte Dresden“ und Richard Peters „Dresden, eine Kamera klagt an“, jenen erschütternden, hoffnungslosen Fotos einer Ruinenlandschaft. In vielen Wohnzimmern hängen Drucke der Canaletto-Bilder vom Altmarkt mit der Kreuzkirche, von der Frauenkirche mit dem Neumarkt. Die Großväter konnten noch die historischen Gassen benennen, die die Enkel lange vergeblich suchten und die jetzt wieder nach und nach entstehen oder schon entstanden sind.

Unterschwelliger Konservatismus der Bürger

„Man geht hindurch, als liefe man im Traum durch Sodom und Gomorra“, notierte der in Dresden geborene Schriftsteller Erich Kästner bei Kriegsende. „Getroffen wurde eine Stadt, die bis dahin für Kultur und Kunst stand, für barocke Architektur, für prächtige Villen in ausgewogener Landschaft“, formuliert es Matthias Lerm, der in seinem Buch „Abschied vom alten Dresden“ akribisch die Verluste historischer Bausubstanz nach 1945 aufgelistet hat: „In weiten Teilen verschwunden war innerhalb einer Nacht ein Ort, der für Baukultur in hoher und reiner Form stand, ein Ort, der unterschiedliche Stile verschiedener Epochen vereinigte.“

Unter großen Opfern entstand aus dem Trümmerfeld das scheinbar für immer Verlorene neu, zumindest das Allerwichtigste, was Dresden weit über den deutschen Sprachraum als Barockstadt bekannt gemacht hatte. Daß einiges fehlt, wie die auf persönliche Weisung von SED-Chef Walter Ulbricht 1963 abgerissene Sophienkirche, wird dem ausländischen Städtereisenden kaum auffallen. Auch nicht, daß die Bauten um die Frauenkirche, wie diese selbst, erst in jüngster Zeit nach alten Plänen und in historischen Fluchten wiedererstanden sind. Als „Disneyland“ verunglimpfen das einige zugezogene Architekten und Politiker, aber etwas Besseres als die Rekonstruktion haben sie nicht zu bieten. Die nach 1990 erfolgte Neubebauung des Altmarktes und des Postplatzes beweisen das.

Das von Touristen durchquerte Dresden ist klein: der Zwinger Pöppelmanns, die Hofkirche Chiaveris, die Frauenkirche Bährs, das Opernhaus Sempers, das einstige Residenzschloß der Wettiner. Der Fremde wird über die Brühlsche Terrasse, den „Balkon Europas“, schlendern, auf die Anlegestellen der Oldtimer-Dampfer schauen und hinüber zu den mächtigen Verwaltungsgebäuden der Staatskanzlei und des Finanzministeriums auf der anderen Elbseite. Am Albertinum und dem Kurländer Palais, als Ruine bekannt durch den in seinen Kellern beheimateten Jazzclub „Tonne“, endet das alte Dresden. Zurück über die Rampische Gasse, Neumarkt und Schloßstraße wird er über die Augustusbrücke laufen und vor dem vergoldeten Reiterstandbild Augusts des Starken verweilen, jenes sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs, der die Architektur Dresdens und ihren Reichtum an Kunstschätzen wie kein anderer geprägt hat. Zwischen Hauptstraße und Königsstraße stehen, aufwendig saniert, die wenigen barocken Wohn- und Handelshäuser, die den Flächenabriß zu DDR-Zeiten überstanden haben.

Stadtplanung und Neubebauungen waren in Dresden immer kompliziert. Angesichts der dichten Bebauung fragte sich schon 1924 der als Begründer der modernen Denkmalpflege geltende Cornelius Gurlitt, ob es überhaupt möglich sei, die Altstadt zu modernisieren: „Die Frage lautet also: Erhaltung oder Beseitigung! Änderungen nur insoweit, als sie sich der Gesamtgestaltung einordnen.“

Nach der Zerstörung der Stadt stellte sich diese Frage auf einmal ganz anders: Was sollte aus dem Trümmerfeld werden? Die neuen Herrscher wollten eine sozialistische Großstadt errichten. Wenigstens sparte die Flächenenttrümmerung die wichtigsten Kulturbauten(ruinen) aus. Aber die berühmte Einkaufsmagistrale Prager Straße verschwand komplett und erstand in der modernen Formensprache der Nachkriegsarchitektur wieder. Es war kein kompletter Entwurf, noch immer wird hier verdichtet und experimentiert, noch immer gähnt mit dem „Wiener Loch“ eine gewaltige Brache.

In den fünfziger Jahren entstand die Bebauung an der Wilsdruffer Straße, eine stark abgemilderte Form der Berliner Stalinallee. Das Hochhaus gegenüber dem Altmarkt blieb den Dresdnern erspart, an seiner Stelle entstand Jahrzehnte später der Kulturpalast mit einem inzwischen unter Denkmalschutz stehenden Wandmosaik „Der Weg der roten Fahne“.

Dem geschickten Taktieren und der Hartnäckigkeit der Denkmalpfleger sowie dem unterschwelligen Konservatismus der Dresdner ist es zu verdanken, daß die wichtigsten Ruinen nach 1945 so konserviert wurden, daß sie die ersten Nachkriegsjahrzehnte überstanden. In den frühen achtziger Jahren konnte bürgerlicher Widerstand das letzte Barockhaus an der Großen Meißner Straße retten. 1985 begann sogar der Wiederaufbau des Stadtschlosses.

Bald wieder einer der schönsten Plätze Europas

Nach der friedlichen Revolution fehlt es nicht mehr an finanziellen Mitteln zur Neubebauung, aber an akzeptablen Ideen. Was entstand, erschütterte in seiner Mittelmäßigkeit nicht nur die Bürgerschaft, sondern teilweise auch die Auftraggeber. Angesichts dieser Architektur konnte der Bürgerverein Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden den weitgehend historisch getreuen Wiederaufbau des berühmten Platzes um die Frauenkirche durchsetzen.

In der Innenstadt wird inzwischen nicht mehr über Abrisse gestritten, sondern über das Aussehen von Neubebauungen. Andererseits sind große Flächen nach wie vor Brachen. Zur Zeit soll ein neues Wohngebiet an der Wallstraße, südlich des Postplatzes, entstehen. Um Investoren anzulocken, hat die Stadtverwaltung den Bebauungsplan gelockert. Lediglich die Höhe der Neubauten bleibt auf maximal 23 Meter begrenzt.

Als wegweisende Mischung aus Tradition und Moderne gilt der Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden der derzeitige Wiederaufbau des Neumarktes. Das einst belebte Quartier um die Frauenkirche wurde in der Bombennacht komplett zerstört, die Trümmer in den ersten Nachkriegsjahren weitgehend beräumt und die Fläche auch – abgesehen von einem inzwischen abgerissenen Anbau an das Polizeipräsidium und einem Hotel – nicht bebaut. Lediglich Johanneum, Stallhof, Ständehaus sowie Kunstakademie wurden wieder aufgebaut. Und die Ruine der Frauenkirche blieb als Mahnmal gegen den Krieg erhalten.

Jetzt werden die hier einst stehenden 250 Häuser in ihrer Kleinteiligkeit wieder aufgebaut und mit ihnen kehren verschwundene Plätze wie der Jüdenhof, der Neumarkt und „An der Frauenkirche“ zurück. Damit wird der Frauenkirche nicht nur ihr einstiges barockes Umfeld zurückgegeben, sondern die Dresdner liegen auch voll im Trend. Denn nach einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Allensbach von 2012 wünschen sich 84 Prozent der Deutschen bei Innenstadtsanierungen die Restaurierung alter Gebäude statt Neubauten.

Natürlich sind die Gebäude am Neumarkt Neubauten, aber immerhin 60 Häuser werden als sogenannte Leitbauten originalgetreu errichtet, teilweise unter der Verwendung kunsthistorisch wertvoller Fragmente, die in den fünfziger Jahren aus dem Schutt gerettet worden waren. Endgültig verloren gingen bei den Bauarbeiten der vergangenen Jahre allerdings die vorhandenen historischen Kelleranlagen. Sie mußten Tiefgaragen weichen. Gegenüber dem Residenzschloß ist das Fünf-Sterne-Hotel „Am Schloß“ entstanden, das nach außen zwölf verschiedene Fassaden aufweist. Schon jetzt zeichnet sich ab, daß der Neumarkt mit seinen Wohn- und Geschäftshäusern und der Straßengastronomie bald wieder einer der schönsten Plätze Europas sein wird.

Erich Kästner schrieb in seinen Erinnerungen („Als ich ein kleiner Junge war“) voller Trauer eine Hymne auf die sächsische Metropole: „Dresden war eine wunderbare Stadt, voller Kunst und Geschichte und trotzdem kein von sechshundertfünfzigtausend Dresdnern zufällig bewohntes Museum. Die Vergangenheit und die Gegenwart lebten miteinander im Einklang. Eigentlich müßte es heißen: im Zweiklang. Und mit der Landschaft zusammen, mit der Elbe, den Brücken, den Hügelhängen, den Wäldern und mit den Gebirgen am Horizont ergab sich sogar ein Dreiklang. Geschichte, Kunst und Natur schwebten über Stadt und Tal (...) wie ein von seiner eignen Harmonie bezauberter Akkord.“ Was Kästner im Präteritum formulierte, kann heute getrost ins Präsens gesetzt werden. Selbst die Zahl der Einwohner nimmt wieder zu.

 

Der Untergang am 13./14. Februar 1945

Drei Angriffe flogen britische und amerikanische Bomberverbände in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 auf Dresden. Eine Op-ferzahl von mindestens 100.000 Toten gilt als wahrscheinlich, offizielle Stellen sprechen von 25.000 Todesopfern. Da die Stadt mit ihren historischen Baudenkmälern keine militärische (oder industrielle) Relevanz hatte, gilt Dresden als Synonym für das sogenannte „Moral Bombing“, das auf die Zermürbung der Zivilbevölkerung abzielte.

 

Literatur-Empfehlungen

Dietrich Höllhuber: Dresden. Reisehandbuch mit vielen praktischen Tipps. Michael Müller Verlag, Erlangen 2011, brosch., 264 Seiten, 14,90 Euro

Matthias Stresow: Dresden entdecken. Stadtführer für Kinder. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 2011, gebunden, 79 Seiten, 14,90 Euro

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