© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/13 / 08. Februar 2013

Grüße aus Santiago de Cuba
Der ganz große Sog
Alessandra Garcia

Ein Hämmern stört die sonntägliche Mittagsruhe. Neugierig schaue ich nach, woher der Lärm kommt. Es ist der Nachbar. Genauer, jener Nachbar, der sich vor Jahren auf dem Dach des kolonialen Gebäudes illegal eine kleine Hütte gebaut hat. Diese hatte der Hurrikan „Sandy“ im vergangenen Oktober weggeweht. Jetzt errichtet er sie neu, wieder schwarz.

Dabei stehen überall Häuser zum Verkauf. Schilder machen in fast jeder Straße darauf aufmerksam, daß diese oder jene Wohnung mit oder ohne antike Möbel, Kühlschrank und Fernsehgerät, einen neuen Besitzer sucht. „Se vende“: Ausverkauf in Santiago de Cuba.

Die Menschen wollen weg. Viele sehen in der Heldenstadt im Osten Kubas keine Perspektive mehr. Aber sie wollen nicht etwa in die USA oder nach Spanien, sie wollen nur in die Hauptstadt. Im 700 Kilometer entfernt liegenden Havanna erhoffen sie sich die Erfüllung ihrer Träume: eine Arbeit, die schnelles Geld verspricht. Denn Havanna ist nicht Kuba, sondern eben Havanna, eine Großstadt, von der die Santiagueros träumen.

„Überall in Santiago stehen Häuser zum Verkauf. Die Menschen wollen weg.“

Die Regierung hat mit dem neuen Reisegesetz nicht nur – theoretisch zumindest – die Grenzen in die große, weite Welt geöffnet, sie hat zuvor bereits alle innerkubanischen Reisebeschränkungen aufgehoben. Und diese Chance läßt sich ganz praktisch, ohne das zwingende Vorhandensein irgendwelcher Devisen für Visa und Flugscheine, nutzen. Gerade einmal zwei Euro kostet die Reise mit dem Zug oder Fernbus nach Havanna. Das ist für den kubanischen Normalverdiener zwar immer noch viel Geld, aber machbar. Und so reisen Tausende zu Verwandten und Freunden.

Und wer in der Hauptstadt Fuß gefaßt hat, holt weitere Angehörige nach. Aber die Hauptstadt ist teuer, und so soll der eigene Immobilienbesitz verkauft oder zumindest getauscht werden. Allerdings ist das schwierig, denn Preise wie in Havanna üblich lassen sich in Santiago längst nicht erzielen. Dazu kommt der häufig katastrophale Zustand der Häuser. Und selbst wenn das Geld für eine Sanierung vorhanden ist, fehlt die behördliche Genehmigung dafür. Und ist diese da, fehlt es an Baumaterial. Das gibt es zwar auf dem Schwarzmarkt, aber die Behörde kontrolliert, läßt sich die Einkaufsquittungen zeigen.

Auf das wacklige Dach des Kolonialhauses nebenan werden sich die Kontrolleure aber gewiß nicht wagen. Als ich den Nachbarn frage, woher er denn das Wellblech für das neue Dach habe, grinst der nur und macht – wie einst in der DDR – eine verschwörerische Geste.

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