© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/13 / 08. Februar 2013

Umwertung von Werten
Im Kampf gegen das absolut Böse: Antifaschismus ist der neue Faschismus
Thorsten Hinz

Das Amtsgericht Dresden hat kürzlich den 36jährigen Tim H. zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Es hält für erwiesen, daß der Mitarbeiter der Linkspartei im Februar 2011 die Teilnehmer einer illegalen Straßenblockade per Megaphon dazu angestachelt hat, gewaltsam eine Polizeikette zu durchbrechen. Der Trauermarsch galt dem Dresden-Bombardement vom 13./14. Februar 1945.

Das Urteil – über dessen Belastbarkeit eine Berufungsinstanz befinden wird – hat linke Politiker und Medien in Aufregung versetzt, allen voran die Bundestagsvizepräsidenten Petra Pau (Die Linke) und Wolfgang Thierse (SPD). Die Zeitung Neues Deutschland hält es für einen „Sieg der Zivilgesellschaft“, „daß Neonazis am Jahrestag der Dresdner Bombennacht seit drei Jahren praktisch nicht mehr marschieren“. Der Sieg beruht auf Rechtsbrüchen, was der Zeitung keine Erwähnung wert ist. Vielmehr rügte sie, daß „Teile der sächsischen Justiz (...) das offenbar anders“ sehen. In den Internetkommentaren war der Ton noch aggressiver.

Aus sämtlichen Äußerungen spricht ein Gefühl der Selbstermächtigung, das von keinen Zweifeln angekränkelt wird. Die Blockierer und ihre Unterstützer fühlen sich im Besitz einer übergesetzlichen Exekutivgewalt, die es ihnen erlaubt, mit physischen Mitteln die Grenzen der Demonstrations- und Meinungsfreiheit zu bestimmen.

Prinzipieller Widerspruch wird kaum einmal laut, weder bei dieser noch bei anderen Gelegenheiten. Kritik kommt unter Entschuldigungen und als halbes Einverständnis daher. Das Motiv der Blockierer sei gut, heißt es, um so mehr müßten sie aufpassen, ihr Anliegen nicht durch Gewalt zu diskreditieren. Vor diesem Hintergrund ist die Konsequenz des Dresdner Gerichts bemerkenswert. Doch kann das Urteil mehr sein als ein hoffnungsloses Rückzugsgefecht?

Seit November 2009 kann die Gegenseite sich durch die „Wunsiedel-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts, mit der das Verbot des Rudolf-Heß-Gedenkmarsches bestätigt wurde, gestärkt fühlen. In der Urteilsbegründung heißt es nämlich: „Das Grundgesetz kann weithin geradezu als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes gedeutet werden.“ Dieser Satz gestattet es jedem militanten Antifaschisten, sich als Schützer der Verfassung und Vollstrecker eines ihr immanenten Auftrags zu fühlen.

Den Richtern war bei der Entscheidung offenbar unwohl. Wie sonst ist die schwammige Formulierung: „kann (…) gedeutet werden“ zu verstehen, welche die Auslegung des Grundgesetzes in den Bereich aktueller Zweckmäßig- und Wünschbarkeiten verlegt und diese gleichzeitig relativiert?

In seinem Urteil zum Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR von 1973 war Karlsruhe vorsichtiger und zugleich souveräner gewesen, als es schlicht feststellte: „Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert.“ Hinzuzufügen wäre: Organisiert unter freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, die logischerweise jede totalitäre oder anderweitig diktatorische Herrschaftsform ausschließen.

Das Gericht fokussierte sich 2009 jedoch ausschließlich auf den Nationalsozialismus mit der Konsequenz, daß andere antidemokratische Strömungen sich indirekt legitimiert fühlen dürfen, solange sie sich auf den Antifaschismus berufen. Es verdient Beachtung, daß die Richter ihre Entscheidung unter dem Eindruck einer – wie es in der Begründung heißt – „geschichtlich begründeten Sonderkonstellation“ sowie in der Annahme fällten, daß ein anderslautendes Urteil „nicht zuletzt auch im Ausland tiefgreifende Beunruhigung auslösen“ würde.

Die „Sonderkonstellation“, welche die Verfassungsrichter in juristische Formen faßten, wird durch die Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg und durch die Geschichtsinterpretation der Sieger geprägt. Die Sieger-Interpretation deutet den Nationalsozialismus nicht als Reaktion und Erscheinung im universalgeschichtlichen Kontext (zu dem der Bolschewismus und der Versailler Vertrag gehören), sondern als Folge einer tiefgreifenden Fehldisposition der Deutschen. Der Streit um den „kausalen Nexus‘“ (Ernst Nolte) ist also nicht bloß akademischer, sondern auch hochpolitischer Natur.

Der staatsideologische Rahmen, den die Wundsiedel-Entscheidung zog, war von Medien, Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Kirchen und natürlich von der militanten Antifa-Szene längst vorweggenommen worden. Die antifaschistische Theorie und Praxis läßt sich in zwei Sätzen zusammenfassen: „Der Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.“ Und: „Nie wieder!“

Der erste Satz ist – zumal in dieser Absolutheit – blanker Unsinn. Gemeint ist in aller Regel der Nationalsozialismus, der innerhalb des faschistischen Spektrums eine besonders radikale Qualität verkörpert und während des Weltkriegs einen zusätzlichen Radikalisierungsschub erhielt. Davon abgesehen ist der Faschismus, wie Ernst Nolte 1963 feststellte, die „schwerste Krise der liberalen Gesellschaft, da er auf ihrem eigenen Boden zur Herrschaft gelangt und in seiner Radikalform ihr Wesen auf die vollständigste und wirksamste Weise verneint“. Er ist eine Potenz, eine Möglichkeit, die der Moderne und der Demokratie innewohnt – auch in der Gegenwart!

Nichts spricht dafür, daß ein Faschismus, der an den Nationalsozialismus anknüpft, heute den Hauch einer Chance hätte. Relevantes faschistisches Potential liegt viel eher in einem entfesselten Antifaschismus oder im radikalen Islamismus. Die wahrscheinlichste Variante aber ist ein bürokratisierter Faschismus, der sich aus dem Zusammenwirken einer anonymisierten Verwaltung à la Brüssel mit transnationalen Banken, Konzernen, Medienkartellen, wirtschaftsnahen Stiftungen, Denkfabriken und globalistischen Lobbygruppen ergäbe, deren gemeinsames Ziel der Multi-Colour-Mensch und -Konsument ist.

Diese Variante hätte den Vorteil, daß sie die Rhetorik und Institutionen der liberalen Gesellschaft nicht einmal verneinen müßte. Den Antifaschismus könnte sie als ideologisches und physisches Machtmittel integrieren, während der Druck, den die Islamisten ausüben, sich als Argument für die Einschränkung individueller Freiheiten eignet.

Solche Denkmöglichkeiten übersteigen den Horizont des staatlich gehätschelten Antifaschismus. Dessen Durchschlagskraft, Verführung und Benutzbarkeit liegt ja gerade in der Primitivität, mit der er die Realitäten ordnet. Der Kampf gegen den Faschismus ist eine Halluzination, welche die eigene Ohnmacht gegenüber einer außer Kontrolle geratenen Realität – Stichwort Währungskrise – in ein eingebildetes Machtgefühl überführt. Er ist eine Art Weltformel, die das Tor aufschließt zu einem großen, universalistischen Einverständnis. Denn auch auf internationaler Ebene ist der seinem historischen Kontext entkleidete, zum außergeschichtlich-absolut Bösen erklärte Nationalsozialismus zum zentralen ideologischen Bezugspunkt dekretiert geworden.

Wer das absolut Böse bekämpft, darf sich einbilden, das absolut Gute zu vertreten. Der Antifaschismus wird damit zur transzendentalen Chiffre, die das spirituelle Vakuum füllt und Sicherheit verleiht. Die will man sich nicht nehmen lassen! Schon gar nicht durch ein alternatives Totengedenken, das den Bombenkrieg in den Kontext einer wechselseitigen Radikalisierung der Kriegsführung stellt und damit klarstellt, daß Kriegsverbrechen kein exklusives Merkmal der Nationalsozialisten waren. Die binäre Projektion des „absolut Bösen“ und des eigenen „absolut Guten“ wäre dann nämlich hinfällig.

Der Antifaschismus, der sich selbst ermächtigt, geht mit einer Entwicklung einher, die Ortega y Gasset als Siegeszug der „Inferiorität“ in der Massengesellschaft beschreibt: Ein grober Menschentypus, der „an seiner Gott-ähnlichkeit“ keinen Zweifel hegt, ergreift die Möglichkeit, „das Recht auf Gewöhnlichkeit und die Gewöhnlichkeit als Recht“ zu proklamieren und durchzusetzen. Gewöhnlichkeit heißt: Mangel an Disziplin, Selbstzucht, Differenzierungsvermögen, an ihrer Stelle der Drang, seine Instinkte auf kürzestem Weg zu befriedigen, und die Praktizierung des Lynchrechts.

Indem der Staat den Antifaschismus duldet und fördert, eröffnet er der Inferiorität ein offizielles Betätigungsfeld und macht sie durch eine Umwertung der Werte herrschaftstechnisch nutzbar: Denunziation, Spitzelei, physische und psychische Gewalt, die stets aus der Position eigener Gefahrlosigkeit begangen werden – Verhaltensweisen also, die gemeinhin als verächtlich gelten – werden zur „Zivilcourage“ veredelt. Mangel an Wissen und Kultur wird durch politisch korrektes Bewußtsein kompensiert und gibt keinen Hinderungsgrund ab, zum staatlich finanzierten Experten aufzusteigen. Tim H. ist die neueste, flüchtige Ikone einer neuen Ordnung, vor der jedem anständigen Menschen grausen muß.

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