© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/13 / 15. Februar 2013

„Dreister Angriff“
Bremen: Rot-Grüne Landesregierung beschließt Ausländerwahlrecht
Thorsten Brückner

Ein rot-grünes Herzensanliegen ist auf die politische Agenda zurückgekehrt. Die Bremische Bürgerschaft hat sich jetzt in erster Lesung für die Einführung eines Ausländerwahlrechts auf Kommunalebene ausgesprochen. Gleichzeitig beschloß eine rot-rot-grüne Mehrheit, EU-Bürgern das Wahlrecht auch auf Landesebene einzuräumen. Die CDU enthielt sich bei der Abstimmung geschlossen. Nur Jan Timke, einziger Abgeordneter der Partei Bürger in Wut in dem Landesparlament, stimmte dagegen.

Nach dem Scheitern entsprechender Anträge von Grünen und Linkspartei auf Bundesebene im Jahr 2007 und einer versandeten Bundesratsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz im gleichen Jahr wagt der Stadtstaat in der Frage also nun im Alleingang einen neuen Anlauf.

Die Akteure sind sich der rechtlichen Brisanz bewußt: Das Gesetz soll, anstatt in die nächsten Lesungen zu gehen, dem bremischen Staatsgerichtshof zur verfassungsrechtlichen Prüfung vorgelegt werden. Wenn dieser das Gesetz für verfassungskonform hält, ist es wahrscheinlich, daß sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Fall beschäftigen muß. Zuletzt urteilte das Gericht über die Frage 1990, als Schleswig-Holstein ein Ausländerwahlrecht einführen wollte. Damals stellte Karlsruhe klar, daß auch auf kommunaler Ebene nur deutsche Staatsbürger wahlberechtigt sind.

Die rot-grüne Regierung in Bremen setzt jedoch darauf, daß das Gericht nun in neuer Besetzung und unter anderen Rahmenbedingungen zu einem abweichenden Urteil gelangen könnte. Sie argumentiert, daß nach der Einführung des kommunalen Wahlrechts für EU-Bürger infolge des Maastricht- Vertrags 1992 ein Ausschluß von Nicht- EU-Ausländern auf der Basis der Rechtsprechung des Gerichts unhaltbar sei, da ja nach nun geltendem Recht ohnehin Nichtdeutsche abstimmen dürften.

Gleichzeitig versprechen sich die Initiatoren damit eine verbesserte Integration. Wenn es Ausländern erlaubt sei, über Entscheidungen, die ihren eigenen Wohnort betreffen, mitentscheiden zu können, würde es auch mit Eingliederung und Identifikation besser funktionieren, so ihre Argumentation. Timke widerspricht dieser Auffassung scharf: „Es ist eine Lebenslüge der Linken, daß ein Ausländerwahlrecht zur Integration beiträgt“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Ein staatsbürgerliches Recht wie das Wahlrecht müsse am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses stehen, nicht an dessen Anfang.

Die Frage des Ausländerwahlrechts auf Kommunalebene spaltet Europa. In 15 von 27 EU-Staaten dürfen auch Nicht-EU-Ausländer an Kommunalwahlen teilnehmen, darunter auch in Großbritannien, Spanien, Portugal und den Niederlanden. Die Gesetzgebungen in Deutschland und Österreich zählen in dieser Frage zu den restriktivsten in der EU.

Verfassungsrechtlich sogar noch problematischer scheint das Wahlrecht für Unionsbürger auf Landesebene. Timke wies im Januar in seiner Rede vor der Bürgerschaft darauf hin, daß das Bundesverfassungsgericht erst 2009 in seinem Lissabon-Urteil bestätigt hat, daß zumindest auf Landes- und Bundesebene nur deutsche Staatsbürger berechtigt sind, das aktive und passive Wahlrecht auszuüben. Timke wirft daher dem rot-grünen Senat einen „dreisten Angriff auf den unveräußerlichen Kernbestand des Grundgesetzes“ vor. Solche Sachfragen waren in der Debatte jedoch vor allem von den Entgleisungen des SPD-Abgeordneten Björn Tschöpe überschattet. Dieser warf Timke in seiner Rede Rechtspopulismus vor: „Bekennen Sie doch, daß Sie das aus völkischen Gründen nicht wollen. Es geht gar nicht um Juristerei, sondern es geht Ihnen um die Reinerhaltung des deutschen Volkes“, sagte Tschöpe.

Während er dafür von seiner Partei, den Grünen und der Linkspartei Applaus erntete, reagierte neben Timke auch die CDU mit Empörung. Fraktionschef Thomas Röwekamp verwahrte sich dagegen, daß Abgeordnete in einen Zusammenhang „mit einem der traurigsten Kapitel der deutschen Geschichte“ gebracht würden. Auch die Beteuerung Tschöpes, die völkischen Absichten unterstelle er nur den Bürgern in Wut, konnte die Wogen nicht glätten. Timke kommentierte Tschöpes Einlassungen mit Unverständnis. „Herrn Tschöpes verbale Entgleisungen sind für mich nur noch medizinisch erklärbar“, sagte er der JF. „Ihm sind einfach die Argumente ausgegangen.“

Nach Ansicht der Bürger in Wut steht ihr Modell einer gesteuerten Zuwanderung, das die offensive Integration von Ausländern beinhaltet, zwischen den Extremen des völkischen Nationalismus und dem linken Multikulturalismus. Die Partei repräsentiere daher in der Ausländerpolitik den pragmatischen Mittelweg der Vernunft, sagte Timke.

www.buerger-in-wut.de

Foto: Ausländer könnten in Bremen bald wahlberechtigt sein: Hitzige Diskussion in der Bürgerschaft

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