© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/13 / 15. Februar 2013

Acht Minuten Rührung
Plagiatsaffäre: Durch den Rücktritt von Bildungsministerin Schavan hat die Kanzlerin eine wichtige Stütze ihres Systems verloren
Paul Rosen

Acht Minuten der Rührung und Menschlichkeit: Annette Schavan, die seit einem Vierteljahrhundert Ministerin in Landes- und Bundeskabinetten war, durfte im Kanzleramt in Gegenwart der Bundeskanzlerin und persönlichen Freundin Angela Merkel ihren Hut nehmen. Während die Deutschen in den Karneval versanken oder vor der Narretei flüchteten, ging in Berlin am letzten Samstag auch eine kleine Ära zu Ende. Die Freundschaft zwischen Merkel und Schavan war so etwas wie das weibliche Gegenstück zu einer Männerfreundschaft alten Schlages: Man geht zusammen durch dick und dünn – jahrzehntelang. Wenn Merkel im Kanzleramt gleich zweimal sagte, sie habe das Rücktrittsgesuch „schweren Herzens” angenommen, dürfte dies der Wahrheit entsprechen.

Das Jahr 2013 hat für die Kanzlerin und ihre Regierung nicht gut begonnen. Mit Niedersachsen ging ein großes Bundesland für die Bürgerlichen verloren. Die FDP ist unberechenbar geworden. Der Erfolg in Niedersachsen hat die Jungmänner-Gruppe um Parteichef Philipp Rösler mit einer Art Todesverachtung erfüllt, die sie weiteres Profil auf Kosten der gemeinsamen Regierung suchen läßt – immer in der Hoffnung, Wähler von der CDU/CSU zu sich herüberzuziehen. So sind sie, die Sirenenklänge der Politik.

Mit Rainer Brüderle, dem FDP-Fraktionschef, ist eine Stütze der Koalition brüchig geworden. Gewiß, viele Zeitgenossen wundern sich über die Berichte des Stern. Der angebliche Sexismus eines älteren Mannes bestand schlimmstenfalls in unpassenden Bemerkungen nach einem oder mehreren Schoppen Wein zuviel. Aber Brüderle hat unter der Wucht der Attacke mehr gelitten, als es zunächst aussah. Er wirkt abgekämpft, blaß, neben der Spur und fällt als Stabilitätsanker in der Koalition aus.

Und jetzt der Rücktritt von Annette Schavan. Ihr Sturz ist anders zu bewerten als der Rauswurf des bei der vorherigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gescheiterten Umweltministers Norbert Röttgen (CDU) oder der Rücktritt des wie Schavan beim Plagiieren erwischten Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Beide Minister hatten sich zu Höherem berufen gefühlt, beide hatten den Eindruck erweckt, auch Kanzler zu können, und waren damit für Merkel zum Risiko geworden. Merkel warf Röttgen eigenhändig aus dem Kabinett als Demonstration ihrer Stärke. Und als die Rücktrittsmeldung von Guttenberg als SMS auf Merkels Handy eintraf, sprach das Grinsen von Merkel Bände – und auch die Miene der neben ihr stehenden Schavan. Die Damen waren froh, den agilen Baron, der ihre Kreise störte, losgeworden zu sein.

Der jüngste Rücktritt ist von einem anderen Kaliber. „Die Patin“, wie Gertrud Höhler ihr jüngstes Buch über Merkel betitelte, hat einen wichtigen, wenn nicht sogar entscheidenden Stützpfeiler ihres Systems verloren. Das Herrschaftssystem Merkel gründet auf wenigen, ihr treu ergebenen Lakaien der zweiten Reihe, die für Ruhe in den Provinzen sorgen. Da sind etwa der Kanzleramtschef Ronald Pofalla und CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, die zusammen mit Wirtschaftsstaatssekretär Peter Hintze die große nordrhein-westfälische CDU in Schach halten. Schavan stand für den nicht weniger wichtigen Südwesten und hielt Merkel dort den Rücken frei. Durch ihr Engagement und ihre Verankerung in der katholischen Kirche war sie zugleich Kanzlerberaterin für die katholische Welt, die der Pastorentochter Merkel naturgemäß fremd ist. Ihre kürzliche Wiederaufstellung als Bundestagskandidatin mit einer Mehrheit weit über 90 Prozent selbst zu einem Zeitpunkt, als die Promotionsaffäre ihre langen Schatten bereits vorauswarf, zeigte Schavans Einfluß in Baden-Württemberg, wo man seit dem eigenen Machtverlust im „Ländle“ eher kritisch gen Berlin blickt.

Die Klammer fällt weg, Schavan gehört nicht mehr zum engen Zirkel. Sie verliert ihre logistische Basis im Ministerium mit großem Büro und Dienstwagen. Es hilft nichts, daß Merkel mit der bisherigen niedersächsischen Bildungsministerin Johanna Wanka (61) eine kompetente Frau ins Kabinett holt, auch wenn dieser der Ruf vorauseilt, in ihrem Politikerleben in Brandenburg und Niedersachsen stets auf sinkende CDU-Schiffe gestiegen zu sein, wie Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin genußvoll anmerkte. Nur Macht hat Frau Wanka nicht und kann dem System Merkel in dieser Hinsicht nicht dienlich sein.

Sicher sorgen der Fasching und auch die überraschende Rücktrittsankündigung von Papst Benedikt XVI. dafür, daß die Causa Schavan schnell unter den Teppich gekehrt werden kann. Allerdings bleibt im Herrschaftssystem der Kanzlerin Erosion sichtbar. Ihre Vertraute war nicht mehr tragbar und mußte gehen. So sind die Gesetze der Macht nun einmal.

„Frau Schavan ist eine hochanständige und kompetente Kollegin, um die es mir außerordentlich leid tut“, tat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel in der Welt am Sonntag kund und bestätigte damit eine alte Weisheit: Lob vom Feind heißt, einen schweren Fehler gemacht zu haben.

Foto: Annette Schavan und Kanzlerin Angela Merkel im Bundeskanzleramt: Erosion des Herrschaftssystems

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