© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/13 / 15. Februar 2013

Halali der Plagiatsjäger
Unsaubere Doktorarbeiten: Gerade vor wichtigen Landtags- und Bundestagswahlen hat die Suche nach schwarzen Schafen Hochkonjunktur
Christian Schreiber

Es liest sich wie ein moderner Pranger. 41 Namen listet die Internetseite „VroniPlag“ mittlerweile auf, an erster Stelle findet sich die Namensgeberin, die auf so viel Aufmerksamkeit wohl gerne verzichtet hätte. Veronica Saß, Tochter des langjährigen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und überführte Schummlerin. Sie war das zweite Opfer der sogenannten Plagiatsjäger, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Doktorarbeiten von Politikern und sonstigen Personen des öffentlichen Lebens auf ihre wissenschaftliche Redlichkeit hin zu überprüfen.

Dabei waren die Anfänge eher zufällig. Es ist rund zwei Jahre her, da machte sich der Verfassungsrechtler Andreas Fischer-Lescano daran, die Doktorarbeit des damaligen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) einer kritischen Rezension zu unterziehen. Dabei entdeckte er 24 Plagiatsstellen. Die Doktorarbeit sei an mehreren Stellen „ein dreistes Plagiat“ und „eine Täuschung“, sagte der Bremer Juraprofessor.

Damit war die Jagd eröffnet. Wissenschaftler und IT-Experten machten sich in Foren, Chats und Blogs daran, die Arbeit Guttenbergs auf den Kopf zu stellen. Bundesweit bekannt wurde die Internetseite „GuttenPlag“, auf der die Doktorarbeit des CSU-Politikers auseinandergenommen wurde.

„Wiki“ ist der Fachbegriff für diese Form der Internetarbeit. Dabei handelt es sich um eine spezielle Software, mit der Besucher neben dem Lesen der Inhalte auch neue Inhalte einstellen können: „Wiki“ ist ein hawaiianisches Wort und bedeutet übersetzt nichts anderes als „schnell“. Im Endeffekt ist es ein Nachschlagewerk, an dem jeder Internetnutzer mitwirken kann.

Am Anfang spielte sich alles anonym ab. So ist der Gründer von „GuttenPlag“, ein Nutzer namens „plagdoc“, bisher immer noch unbekannt. Anonym traf sich der mittlerweile 32jährige Doktorand vor zwei Jahren mit Journalisten von Spiegel Online. Doch öffentlich bekennen will er sich nicht.

Großen Bekanntheitsgrad hat dagegen Martin Heidingsfelder erlangt. Und mittlerweile gefällt ihm das Spiel mit der Öffentlichkeit. Vor allem, weil er damit Geld verdienen kann. Der 47jährige hat eine schillernde Vergangenheit, er wurde mit der deutschen Nationalmannschaft Vizeeuropameister im American Football. Beruflich verdiente er sein Geld über Jahre im Bereich der Online-Forschung. Im Internet nennt er sich „Goalgetter“. Er war einer der ersten, die die Treibjagd auf Guttenberg im Netz durchzogen. Und er gab im Gespräch mit Spiegel Online durchaus politische Motive an. Guttenberg fand er schon länger unangenehm, weil der sich mit Johannes B. Kerner in Afghanistan inszeniert hatte. Als dann herauskam, daß er bei seiner Doktorarbeit abgeschrieben hatte, schaute sich Goalgetter das GuttenPlag-Wiki an. Auf Guttenberg habe er eine große Wut verspürt, weil er nicht zu seinen Fehlern stand. „Das Ziel war, daß er zurücktritt“, sagte Heidingsfelder gegenüber Spiegel Online.

„Goalgetter“ ist durchaus streitbar. Er überwarf sich mit einstigen Mitstreitern, mit denen er „VroniPlag“ gründete. Und er machte vor allem Jagd auf Politiker des bürgerlichen Lagers. Der Durchbruch gelang, als Wiki-Nutzer neben der FDP-Politiker Silvana Koch-Mehrin und Jorgo Chatzimarkakis als Abschreiber entlarvten. Die Gründer sprachen damals davon, daß sie keine finanziellen und politischen Interessen hätten.

Doch zumindest bei Heidingsfelder stimmt das nicht ganz. Er war jahrelang Mitglied der SPD, seit einiger Zeit engagiert er sich bei der Piratenpartei, kandidiert gar zu Wahlen. In der Netzgemeinde, beziehungsweise dem „Schwarm“, wie sie sich selbst bezeichnen, ist er nicht mehr sonderlich beliebt. Ende 2011 wurde ihm die Administratoren-Erlaubnis für „VroniPlag“ entzogen, seitdem ermittelt er auf eigene Faust. Über seinen „SchavanPlag“ brachte er schließlich auch die Bundesbildungsministerin Annette Schavan zu Fall.

Die Aktivitäten im Netz haben ein Eigenleben entwickelt. „Vroniplag“ gibt an, im Sinne der Wissenschaft zu handeln, andere wie Heidingsfelder wittern mittlerweile ein lukratives Geschäft. Neben Guttenberg und Schavan mußten insgesamt acht Personen nach Recherchen von „VroniPlag“ ihre Titel abgegeben. Bei fünf Personen hielt die Dissertation einer Überprüfung stand, unter anderem beim CDU-Bundestagsabgeordneten Patrick Sensburg oder dem Forster Bürgermeister Jürgen Goldschmidt (FDP). Dieser beklagte sich anschließend über eine moderne Form der Hexenjagd, und FDP-Mann Chatzimarkakis sprach gar von einer Bedrohung der Demokratie. „Gegen Anonymität kann man sich nicht wehren.“

Dabei sind die Überprüfungsmethoden mittlerweile verfeinert worden. Die Plagiatsjäger gehen systematisch vor. Die jeweils untersuchte Arbeit und die jeweiligen Quellen werden zumindest teilweise gescannt. Mit einem Buchstabenerkennungsprogramm wird aus den Bildern der Text gewonnen. Ein weiteres Programm sucht dann wörtliche Übereinstimmungen zwischen untersuchter Arbeit und einzelnen Quellen, zum Beispiel ab fünf bis sechs aufeinanderfolgende Wörter. Nach diesem automatisierten Textvergleich werden die angezeigten Stellen einer genaueren Überprüfung unterzogen. Abschließend wird zusammengestellt, wie viele Seiten insgesamt Plagiatsstellen enthalten.

Von dieser Prozentzahl ist unter anderem abhängig, ob eine gesamte Arbeit als Plagiat, sprich geistiger Diebstahl, zu werten ist. Bei Silvana Koch-Mehrin fanden sich auf mehr als der Hälfte der Seiten beanstandete Fälle, beim „freigesprochenen“ CDU-Mann Sensburg waren es nur knapp 25 Prozent.

Innerhalb der Netzgemeinde spricht man davon, daß mittlerweile tagtäglich neue Arbeiten eingereicht werden, die überprüft werden sollen. Der Kampf um die Ehre der Wissenschaft ist längst zu einem politischen Kampf geworden. Martin Heidingsfelder geht damit ganz offen um. Er kündigte an, das Werk „Lösung von Kontakt- und Steuerproblemen mit potentialtheoretischen Mitteln“ von der promovierten Mathematikerin Johanna Wanka zu prüfen. Sie ist die Nachfolgerin Schavans.

„Goalgetter“ hat eine eigene Firma für Plagiatsermittlungen gegründet. Rechtzeitig zur Bundestagswahl wurde ein „Plagiatometer“ gestartet, auf dem jeder die Abschlußarbeit seines Abgeordneten testen lassen kann – gegen ein Mindestgebot. Politiker, die ein öffentliches Amt anstreben, werben mit ihrem Doktortitel, der ihnen einen „Vertrauens- und Kompetenzvorschuß“ gewährt. Deshalb müsse ein Doktortitel ordentlich erlangt sein, so der Plagiatsjäger, dem mit seinem „PolitPlag“ offenbar das große Geld winkt. Auf seiner Liste zu prüfender Doktorarbeiten steht nämlich auch die von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). In einem Interview mit der Hamburger Morgenpost gibt Heidingsfelder zu, daß ihm Geld geboten wurde, falls er dort Fehler findet. Die Süddeutsche Zeitung spricht von einem fünfstelligen Betrag. Die Aufträge kommen von Privatpersonen, großen Medienhäusern, aber auch aus dem „politischen Umfeld“, sagt Heidingsfelder. Das Wahljahr verspricht spannend zu werden.

www.de.vroniplag.wikia.co 

http://politplag.de

http://schavanplag.wordpress.com

 

Titeljagd mit Hilfe von „Ghostwritern“

Wem ein Plagiat nachgewiesen wurde, der wurde faktisch des Abschreibens überführt. Dies bedeutet freilich nicht, daß die betreffende Person ihre Arbeit nicht selbst geschrieben hat, im Gegenteil. Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat bei seinem Rücktritt zugegeben, daß ihm bei der Erstellung seiner Doktorarbeit die Zeit davongelaufen sei und als Grund für das Kopieren fremder Textstellen „Überforderung“ genannt. Es gab nicht wenige Personen, die sich gefragt haben, warum der CSU-Politiker keinen „Ghostwriter“ – einen Auftragsschreiber – beauftragt habe. Denn diese erstellen die Arbeiten selbst, kassieren dafür jede Menge Geld und haben selbst ein Interesse daran, anonym zu bleiben. Im Internet finden sich Anzeigen einschlägiger Agenturen, inklusive Rechtsberatung und Preistabelle. Der Grundpreis für eine Doktorarbeit beträgt 3.000 Euro zuzüglich 75 Euro pro Seite. Bei Dissertationen von mehreren hundert Seiten können die Kosten am Ende mehr als 40.000 Euro betragen. Experten schätzen, daß in Deutschland Ghostwriter jährlich Millionen Euro umsetzen.

Foto: Plagiatsjäger Martin Heidingsfelder (o.) und die bekanntesten Protagonisten der Plagiatsaffären: FDP-Europapolitiker Jorgo Chatzimarkakis (l.), Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Annette Schavan (CDU) und die EU-Politikerin Silvana Koch-Mehrin (FDP)

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