© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/13 / 15. Februar 2013

Lockerungsübungen
Verharmlosung des Unrechts
Karl Heinzen

Bis 1976 gingen unsere Bundeskanzler im Palais Schaumburg in Bonn ihren Dienstgeschäften nach. Noch heute kann Angela Merkel das schloßähnliche Gebäude zu Repräsentationszwecken nutzen, auch einige Mitarbeiter ihres Amtes sind dort tätig. Jahr für Jahr finden sich dort zahlreiche Besucher ein, um die Atmosphäre eines Ortes zu erspüren, in dem wesentliche Teile der Erfolgsgeschichte unserer Republik geschrieben wurden. Sie sollen nun in Zukunft vom Anblick eines Schandflecks verschont werden, den man ihnen lange Zeit aus Gedankenlosigkeit zumutete.

Auf öffentlichen Druck hat das Bundeskanzleramt endlich veranlaßt, einen Perserteppich aus dem Gebäude zu entfernen, der der Sammlung Hermann Görings zugerechnet wird. Immerhin soll es sich bei ihm nicht um Beutekunst handeln. Göring scheint den Teppich legal erworben zu haben. Allenfalls könnte man von einer Beute der Bundesrepublik sprechen, die sich an seinem Eigentum wie an dem manch anderer NS-Größe schadlos hielt.

Die Entfernung des Teppichs kann als ermutigende Bestätigung gelten, daß es doch nicht vergeblich ist, vor einem sorglosen Umgang mit unserer Geschichte zu warnen. Mehr als ein bescheidener Anfang ist damit jedoch nicht gemacht. So beherbergte das Palais Schaumburg zwischen November 1939 und Mai 1940 das Armeekommando 2 der Wehrmacht. Damit muß es insgesamt als kontaminiert gelten, da niemand mit Sicherheit ausschließen kann, daß nicht auch in ihm irgendein Angriffskrieg geplant wurde. Würde sich das Bundeskanzleramt mit ganzer Konsequenz der Verantwortung für unsere Geschichte stellen, müßte es das Gebäude daher entweder abreißen oder wenigstens in eine NS-Gedenkstätte umwandeln.

Im ganzen Bundesgebiet nutzt die öffentliche Hand Liegenschaften, Inventar und Kunstgegenstände, die ihr aus der Hinterlassenschaft des NS-Reichs zufielen. Als ein besonders eklatantes Beispiel mag das unter Görings Ägide errichtete Reichsluftfahrtministerium in der Berliner Wilhelmstraße gelten, das heute das Finanzministerium beherbergt. Wie soll eine Abkehr vom Ungeist der Vergangenheit glaubwürdig sein, wenn man sein materielles Erbe nicht ausschlägt? Wer hier mit pragmatischen Ausflüchten zu beschwichtigen versucht, macht sich der Verharmlosung des Unrechts schuldig.

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