© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/13 / 15. Februar 2013

Theoretische Ungewißheit
Die „Pille danach“ im Spannungsfeld zwischen Medizin und Moral / Offene medizinische Fragen
Hans-Bernhard Wuermling

Im Auftrag von Lebensschützern versuchten im November 2012 angeblich vergewaltigte Frauen nach der „Methode Wallraff“ in Kölner katholischen Krankenhäusern Rezepte für die „Pille danach“ zu erhalten. Sie bekamen dafür im Erfolgsfall 50 Euro. Ärzte in diesen Krankenhäusern sollten so als Übertreter des katholischen Verbots künstlicher Empfängnisverhütung und Abtreibung vorgeführt werden (JF 7/13).

Die Kirche reagierte mit erneuter Verurteilung solcher Missetaten. In katholischen Krankenhäusern wurde man vorsichtig, zu vorsichtig. Deshalb – und vielleicht weil eine erneute Provokation befürchtet wurde – ist kürzlich in Kölner katholischen Krankenhäusern die Aufnahme einer vergewaltigten Frau abgelehnt worden. Das rief eine allgemeine Empörung hervor. Der Kölner Kardinal Meisner hat dann eine Erklärung abgegeben, die die übereifrigen Lebensschützer ebenso wie weite Teile der Öffentlichkeit in Erstaunen versetzte: Unter Umständen sei die Anwendung einer „Pille danach“ nach einer Vergewaltigung gerechtfertigt, nämlich wenn diese nicht abtreibend wirke. Letzteres sei eine medizinische Frage. Doch welche Antwort kann die Medizin darauf geben?

Levonorgestrel, das in den gängigen Präparaten Duofem (in Österreich Vikela) und Levogynon enthalten ist, hemmt die Ausschüttung des luteinisierenden Hormons aus der Hirnanhangdrüse und verhindert oder verzögert damit den Eisprung, also die Freigabe einer Eizelle zur Befruchtung. Daneben soll es die Beweglichkeit der Spermien und ihr Eindringen in Gebärmutter, Eileiter und Bauchhöhle der Frau beschränken. Wenn auf diese Weise kein Spermium auf eine Eizelle treffen kann, findet keine Befruchtung statt, eine Empfängnis ist verhütet.

Dennoch kann es auch nach Anwendung der „Pille danach“ zu einer Schwangerschaft kommen, und zwar um so häufiger, je später nach dem Geschlechtsverkehr das Medikament eingenommen wird. Geschieht das etwa erst am zweiten oder dritten Tag, dann ist das in bis zu 42 Prozent der (nach dem Zyklus der Frau jeweils zu erwartenden) Schwangerschaften der Fall. Grund dafür dürfte entweder eine vorbestehende Schwangerschaft oder ein Eisprung vor Einnahme der Pille oder vor dem Eintritt ihrer konzeptionsverhindernden Wirkung sein.

Dieses „Versagen“ der „Pille danach“ beweist aber, daß ihre Anwendung jedenfalls nicht zwingend den frühen Embryo tötet oder an der Einnistung hindert, im Falle des Mißerfolgs der Empfängnisverhütung also nicht unbedingt abtreibend wirkt. Ob es aber darüber hinaus unerkannt eine solche abtreibende Wirkung auf dennoch entstandene Embryonen gibt, weiß man nicht. Darüber kann man nur spekulieren. Es gibt aber dafür nicht einmal Anhaltspunkte.

Dieser – zweifellos ungewisse – medizinische Sachverhalt wirft nun die moralische Frage auf, ob eine theoretisch nicht ganz ausgeschlossene, eher aber unwahrscheinliche abtreibende Wirkung der „Pille danach“ in Kauf genommen werden darf, wenn ihre Anwendung eine Empfängnis nach Vergewaltigung verhindern soll. Diese Frage ist aus katholischer Sicht aber längst implizit beantwortet: Als seinerzeit in Afrika angesichts von Gewaltexzessen Nonnen in der Gefahr schwebten, vergewaltigt zu werden, hat man die prophylaktische Anwendung von Ovulationshemmern, damals der „Anti-Baby-Pille“, für gerechtfertigt gehalten, um im Falle eines Falles eine Empfängnis zu verhüten.

Dieser „Anti-Baby-Pille“ hat man aber nachgesagt, daß sie, wenn die Hemmung der Ovulation versagt und ein Embryo entsteht, dessen Einnistung in die Gebärmutterschleimhaut verhindere und insofern abtreibend wirke. Das aber wurde damals ohne große Diskussion angesichts der durch die Umstände gerechtfertigten Empfängnisverhütung in Kauf genommen. Es drohte ja akut die Gefahr von Vergewaltigungen. In gleicher Weise wäre nach einer Vergewaltigung eine theoretisch nicht ganz auszuschließende abtreibende Wirkung der „Pille danach“ in Kauf zu nehmen.

Wenn also von katholischer Seite an die Medizin die Frage gestellt wird, ob die „Pille danach“ nur eine Empfängnis verhindert oder darüber hinaus abtreibend wirkt, dann muß medizinisch geantwortet werden, daß man dessen ungewiß sei, wenngleich belastbare Argumente dafür fehlen. Angesichts dieser Ungewißheit geht die Frage aber wiederum zurück an die Kirche: Darf man bei aus wichtigem Grunde gerechtfertigter Empfängnisverhütung eine ungewisse abtreibende Wirkung einer „Pille danach“ in Kauf nehmen? Trägt die Analogie zum Fall der afrikanischen Nonnen? Es wäre logisch.

Wer in die Erklärungen des Erzbischofs von Köln eine Aufweichung katholischer Prinzipien hineinlesen will, der verkennt, daß diese unverändert hart vertreten werden: keine künstliche Empfängnisverhütung, es sei denn, daß schwerwiegende Umstände wie drohende oder erfolgte Vergewaltigung sie rechtfertigen. Keine Abtreibung, auch nicht von Frühembryonen, es sei denn, diese sei eine unbeabsichtigte Nebenfolge gerechtfertigter Empfängnisverhütung. Wenn die häßlichen Kölner Ereignisse zu diesen Klärungen geführt haben, dann waren sie dazu jedenfalls nützlich.

 

Prof. Dr. med. Hans-Bernhard Wuermeling war bis zu seiner Emeritierung Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg. Zuletzt schrieb er auf dem Forum über Hirntod und Organentnahme („Die letzte Scheu“, JF 23/12)

 

Abtreibungspille RU 486

Nicht zu verwechseln sind Empfängnisverhütung (Kontrazeption) und Abtreibung (Abort). Die erstere verhindert die Entstehung eines neuen Menschen, während bei der letzteren ein bereits entstandener Mensch getötet wird. Nicht zu verwechseln ist auch die „Pille danach“ mit einer Abtreibungspille. Erstere dient in Ausnahmefällen – etwa nach Vergewaltigung – zur Notkontrazeption und ist nicht zur Daueranwendung geeignet. Die Abtreibungspille (RU 486) mit dem Wirkstoff Mifepriston hemmt die hormonale Erhaltung einer Schwangerschaft, öffnet den Muttermund und führt innerhalb von zwei Tagen zum Abgang der Frucht. Sie ist ein Abtreibungsmittel und wird vorzugsweise bis zum 49. bis 63. Tag einer Schwangerschaft eingesetzt. Die Anti-Baby-Pille ist ein Präparat aus weiblichen Hormonen, mit dem die Freisetzung einer Eizelle (Ovulation) unterdrückt wird, so daß eine Empfängnis verhütet wird. Derzeit ist die „Pille“ das zur Daueranwendung meistgebrauchte empfängnisverhütende Mittel. Eine frühabortive Wirkung ist im Falle des Versagens der Ovulationshemmung nicht auszuschließen.

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