© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/13 / 22. Februar 2013

Alarm in den Städten
Armutseinwanderer liegen den Kommunen auf der Tasche. Das Herumdoktern an Symptomen hilft nichts
Michael Paulwitz

Realität nervt. Ständig kommt sie ungefragt um die Ecke und macht die schönsten Luftschlösser kaputt. Und je näher man dran ist, desto schwieriger läßt sie sich wegdrücken. Die Realität ungesteuerter Masseneinwanderung in die Sozialsysteme erwischt zuerst die Kommunen, die dafür zu bezahlen haben, auch wenn sie selbst schon so gut wie pleite sind. So sehr steht den deutschen Großstädten inzwischen das Wasser bis zum Hals, daß sich der Deutsche Städtetag ein Herz gefaßt und Alarm geschlagen hat. Mit dem Ergebnis, daß wieder mal alle vorsätzlich um den Kern des Problems herumreden.

Alles übertrieben, sagen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Wettlauf der Schönfärber, Beschwichtiger und Vertuscher: Mit ein paar Kriminellen werde man schon fertig, und zur „gezielten Integration“ der Neuankömmlinge sollten sich die Kommunen halt etwas aus dem üblichen Zettelkasten der Symptomheilung heraussuchen.

Immerhin, die Städtetagsvertreter haben die tickende Zeitbombe erkannt, auch wenn sie in ihrem politisch korrekten Eiertanz sogar peinlich vermeiden, die „Armutseinwanderer aus Rumänien und Bulgarien“ als das zu benennen, was sie sind: Zigeuner vom Volk der Roma. Ihre Zahl hat sich zwischen 2007 und 2011 auf zuletzt 147.000 mehr als verdoppelt; allein im ersten Halbjahr 2012 stieg der Zustrom nochmals um 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch dem Bundesinnenminister ist das Problem bekannt, er kann es ja an den allmonatlich von ihm selbst bekanntgegebenen Asylbewerberzahlen ablesen.

Wenn von 2014 an die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa auch für rumänische und bulgarische Staatsbürger gilt, warnt der Städtetag zu Recht, dann droht den Stadt- und Gemeindehaushalten der finanzielle Kollaps. Die fadenscheinige Abwiegelung des Bundesinnenministers, vollen Zugang zu Sozialleistungen hätten ja nur Arbeitnehmer und nicht „Arbeitssuchende“, haben erfahrene Kommunalpolitiker umgehend abgeschmettert: So wie jetzt schon über Schein-Gewerbeanmeldungen Zugangshürden mit Leichtigkeit ausgetrickst werden, wird man vom kommenden Jahr an mit Pro-forma-Arbeitsverhältnissen für die dreimonatige Mindestdauer erst recht den Schlüssel zur Sozial-Bonanza finden.

So treffend die Analyse, so absurd die Vorschläge der kommunalen Funktionäre zum „Gegensteuern“. Sie scheinen als gottgegebenes Schicksal hinzunehmen, daß sich Hunderttausende ohne jede Rechtfertigung aus abgelegenen Winkeln Europas aufmachen, um ihnen auf der Tasche zu liegen. Sie verlangen nicht etwa, daß dieser groteske Mißstand endlich abgestellt werde, sondern lediglich, daß jemand anderes dafür bezahlen möge: der Bund, das Land, die EU, einerlei – Hauptsache, die eigenen klammen Kassen werden geschont.

Daß das Geld, egal aus welchem öffentlichen Topf es fließt, in jedem Fall vom Steuerzahler eingetrieben werden muß, ist dabei anscheinend herzlich egal. Mehr als die Ausplünderung der eigenen Bürger bereitet Bundesministern und Kommunalpolitikern Sorge, daß die Falschen, ominöse „Rechtspopulisten“ oder „Fremdenfeinde“ nämlich, von dem angekündigten Desaster profitieren und die liebgewonnene Machtverteilung durcheinanderbringen könnten. Und schon steht der autochthone Nachbar, der unter der ungefragt aufgezwungenen Konfrontation mit Chaos, Vermüllung, Kriminalität und anderen Kehrseiten eines wieder mal einfach so zugelassenen Kulturimports leidet und sich womöglich sogar beschwert, in der Schmuddelecke und verstummt lieber.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit wollten sie „keinesfalls“ in Frage stellen, beteuern die Städtetagsfunktionäre reflexhaft. Dabei liegt genau da der Kern des Problems, den die Politik den Bürgern so gern verschweigt: Ein einheitlicher Arbeitsmarkt erzwingt über kurz oder lang ein vergemeinschaftetes Sozialsystem. Je größer der Kreis der Zugangsberechtigten, und je krasser das Wohlstandsgefälle zwischen ihnen, desto mehr Umverteilung wird dafür nötig.

Das läßt sich auch nicht hinter rhetorischen Luftballons verstecken wie der weltfremden Beschwichtigungsformel, man müsse, um den Einwanderungsdruck in die deutschen Sozialsysteme zu lindern, die Lebensverhältnisse in den Herkunftsländern der Armutseinwanderer verbessern. Abgesehen davon, daß das nicht von heute auf morgen wirkt: Wenn es denn ernsthaft versucht werden soll, müssen dauerhafte Transfers in so massivem Umfang stattfinden, daß die Wohlstands- einbußen auch für die eigenen Bürger wiederum schmerzhaft spürbar werden.

Die plötzlich entdeckte Armutseinwanderung südosteuropäischer Zigeuner in die deutschen Sozialsysteme zwingt deshalb zur Debatte um die Grenzen der Solidargemeinschaft und zugleich zur Auseinandersetzung über die Tiefe der europäischen Einigung. Mit wem sollen wir Solidarität üben und teilen – nur mit dem eigenen Landsmann in Not oder auch mit jemandem vom fernen Balkan, gleichgültig ob er hierherkommt oder in seinem Dorf bleibt? Unser komplexer Sozialstaat ist auf die Nation als Solidargemeinschaft ausgerichtet; ein Übermaß an Einwanderung und Niederlassungsfreiheit muß ihn ebenso sprengen wie ein Zuviel an europäischer Integration. Wollen wir ihn aufgeben, um ganz „Einwanderungsland“ zu sein und „noch mehr Europa“ zu ermöglichen? Sind wir bereit, dafür unseren Lebensstandard nach unten zu nivellieren? Oder wollen wir unseren eigenen Staat behalten, mit der Konsequenz, daß aus der EU wieder ein Bund souveräner Nationalstaaten werden muß, eine reine Freihandelszone nach britischem Geschmack?

Das sind die Fragen, die sich aus dem Alarmruf des Städtetags ergeben und die die Politik den Bürgern nicht offen zu stellen wagt. Vielleicht, weil sie die Antwort schon ahnt.

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