© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/13 / 22. Februar 2013

Der Duft der Sylter Rosen
Redakteure und ihre Heimat: Der Berliner Matthias Seegrün fühlt sich in Norddeutschland aufgehoben / JF-Serie, Teil 8
Matthias Seegrün

Geboren im innerstädtischen Berliner Norden, einer heute stark überfremdeten Gegend, hatte ich das Glück, nach einem Umzug ins Grüne ab meinem zweiten Lebensjahr im Berliner Südwesten aufzuwachsen, der für mich Heimat im engeren Sinn bedeutet. An die Stadtteile Moabit und Wedding habe ich keinerlei eigene Erinnerung. Um so mehr verbindet mich mit dem märkischen Landstrich auf der eiszeitlichen Hochfläche des Teltow mit seinem sandigen Boden, dem sich vor allem aus Kiefern und Eichen zusammensetzenden Wald und seinen Gewässern.

Der Grunewald und die ihn durchziehende Seenkette, die Havel und der Wannsee, einige besonders vertraute Straßenzüge, Häuser und Plätze, der alte Schulweg, die schöne Kirche über dem kleinen Niederungsfließ bilden für mich das Zentrum meiner Heimat. Ihr Herz ist jedoch ein kleines Waldareal, die Abenteuer- und Traumlandschaft meiner Kindheit. Und mitten in ihm dieser besondere See mit der Angelstelle meines Großvaters und meiner Lieblingsbadestelle, die ihr gegenüberliegt.

Es gibt aber auch die umfassendere Heimat im Sinne sich erweiternder Kreise, die mich zu meinem Selbstverständnis als Berliner und Norddeutscher führt. Daß ich mich nicht stärker als Brandenburger/Märker verstehe, hat sicherlich mit dem Sog und der Strahlkraft der Großstadt zu tun. Prägend war aber zweifellos auch die deutsche Teilung, die meine Eltern und mich als West-Berliner vom nordöstlich Berlins lebenden Teil der Verwandtschaft trennte und uns bis zum Mauerfall 1989 auf die Insel West-Berlin beschränkte.

Eine besondere Verbundenheit mit dem nordostdeutschen Raum hat ebenfalls familiengeschichtliche Ursachen. Die Großeltern mütterlicherseits und meine Mutter waren gebürtige Berliner mit Wurzeln in Pommern und im neumärkisch-niederschlesischen Übergangsbereich. Väterlicherseits liegen die Wurzeln in West- und Ostpreußen. Meine aus Graudenz stammenden Großeltern wurden Opfer der polnischen Verdrängungspolitik nach dem Ersten Weltkrieg und gehörten somit zu den ersten Vertriebenen des deutschen Ostens. Meinen noch in Königsberg geborenen Vater führten Umzüge in der Vorkriegszeit, Kriegs- und Nachkriegswirren über Chemnitz und Umgebung nach Potsdam und schließlich nach Berlin.

Die heimatlichen Gefühle für den norddeutschen Raum insgesamt dürften zum Teil aus dem Bewußtsein der Besiedlungsgeschichte des deutschen Nordostens (deutsche Ostsiedlung im Mittelalter) herrühren und somit auf einem Gefühl engerer Verwandtschaft beruhen, das sich im Umgang mit Nordwestdeutschen im wesentlichen immer wieder bestätigte.

Hinzu kommt die besondere, wiederum mit Kindheitserinnerungen verbundene Vertrautheit nordwestdeutscher Landschaften – ob nun Teutoburger Wald, niedersächsisches Moor, Reinhardswald oder nordfriesische Insel. Als ich letzten Sommer, knapp anderthalb Jahre nach dem Tod meiner Mutter, nach langer Zeit wieder die von ihr so geliebte Nordseeinsel besuchte und hinter den Dünen den Duft der Sylter Rosen in der Nase hatte, war auch dies eine Art Nachhausekommen.

Heimat im weitesten Sinne, in europäischer und globaler Perspektive, ist jedoch für mich der gesamte deutsche Kultur- und Sprachraum. Dort, wo deutsche Menschen leben, einem deutsche Gesichter begegnen und die deutsche Sprache gesprochen wird.

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