© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/13 / 22. Februar 2013

Das Tamagotchi
Politneulinge: Die etablierten Medien haben die Piraten erst hochgeschrieben, jetzt lassen sie sie fallen
Christian Schreiber

Vor zwei Jahren war die Piraten-Partei kaum mehr als ein Geheimtip unter den „Sonstigen“. Seit ihren spektakulären Wahlerfolgen bei vier Landtagswahlen war sie ab 2011 plötzlich in aller Munde. Umfrageinstitute sagten ihr bundesweit sensationelle zwölf Prozent voraus. Ihre führenden Vertreter waren gerngesehene Gäste in Talkshows, die politischen Neueinsteiger wurden zum Medienthema.

Ein weiteres Jahr danach hat die Partei es geschafft, mittlerweile sogar die FDP als mediales Feindbild Nummer eins abgelöst zu haben. Höhepunkt dieser Entwicklung war ein Artikel der Reporterin von Spiegel Online Annett Meiritz im Januar. Die Journalistin galt über Monate als bestens informiert über die Zustände innerhalb der Partei, wurde zum Anlaufpunkt für jene, die Interna lancieren wollten.

Kritiker innerhalb der Piraten werfen ihr auch vor, sie habe munter an internen Ränkespielen teilgenommen. Der Berliner Abgeordnete Gerwald Claus-Brunner deutete einmal bei Twitter an, sie habe jemanden (ihn?) um fünf Uhr morgens an eine Tankstelle bestellt und sei dann nicht erschienen. Mit einem anderen Abgeordneten hat sich Meiritz öffentlich bei Twitter zum Tête-à-tête in dessen Abgeordnetenbüro verabredet. Sie war nah dran und zelebrierte das.

Jetzt der Umschwung. Am 14. Januar wechselte Meiritz schließlich die Front und veröffentlichte eine Abrechnung mit den Piraten. Ihr Artikel beginnt mit dem Satz: „Am Tag, als ich im Internet zur Prostituierten gemacht wurde.“

Gemessen an den Reaktionen im Fall des FDP-Fraktionsvorsitzenden Rainer Brüderle hätte der Aufschrei immens sein müssen. Ein Sturm der Entrüstung hätte die Folge sein müssen. Daß es nur bei einem lauen Lüftchen blieb, ist bezeichnend für die sinkende Bedeutung der Partei.

Neun Monate vorher hatte sich das noch ganz anders angehört. „Sie sind das wahrscheinlich interessanteste politische Experiment seit Jahren, ein Experiment, dem man live beim Wachsen und Wuchern zusehen kann“, schrieb Annett Meiritz im April 2012. Damals forderte sie die Parteiführung auf, stärker gegen „rechtsextreme Auswüchse“ vorzugehen und unterstellte ihr ein schlechtes Krisenmanagement.

Wenige Wochen zuvor hatte sie gemeinsam mit ihrem Redaktionskollegen Philipp Wittrock die Partei einem „Realitätstest“ unterzogen. Doch der Artikel war wohlwollend-kritisch. „Es sieht so aus, als habe der Siegeszug erst seinen Anfang genommen“, lautet ein Fazit.

Heute ist nicht mehr viel von positiver Begleitung zu spüren. Die Piraten gelten innerhalb des Berliner Medienzirkus als ausgebrannt, uninteressant und als erledigt. Schon bei der Berichterstattung vor der Niedersachsen-Wahl spielte die Partei so gut wie keine Rolle mehr.

Zeiten, wie im Vorfeld der Berlin-Wahl 2011, als die junge Formation mittels einer medialen Massiv-Unterstützung in den Preußischen Landtag einzog, scheinen Ewigkeiten zurückzuliegen. Und irgendwo drängt sich der Eindruck auf, daß auch enttäuschte Hoffnungen eine Rolle spielen. Hoffnungen einiger Journalisten, in der Partei eine Art Tamagotchi gefunden zu haben, das man sich nach Belieben zurechtstutzen könne. Standen die Piraten doch zumindest in ihrer Anfangsphase in dem Ruf, Transparenz ganz groß zu schreiben und beispielsweise alle Protokolle von Vorstandssitzungen offen ins Internet zu stellen. Schon Ende April 2012 schwenkte beispielsweise Die Welt auf offenen Konfrontationskurs mit der Partei um. In einem Artikel mit der Überschrift „Spannungen zwischen Piraten und Journalisten“ wurde der jungen Partei ausgerechnet ein Mangel an Transparenz vorgeworfen. „Offenkundig hat aber für viele Piraten der Transparenz-Begriff dort seine Grenzen, wo es um die eigene Durchsichtigkeit und das Einstehen für Überzeugungen geht“, heißt es.

In der Folge setzten sich weite Teile der Medien mit der Partei höchst negativ auseinander: „Eine große Empfindlichkeit zeigten viele der Mitglieder auch im Umgang mit Medien. In einem Fall führte das fast zu Handgreiflichkeiten. Eine längere Debatte gab es auch darüber, ob bei geheimen Abstimmungen grundsätzlich alle Fernsehteams den Saal verlassen müßten.“ Zu nennen wären auch noch skurrile No-go-Areas für Journalisten auf Piratenparteitagen und die wiederholte Nichtakkreditierung des JF-Reporters.

Zwar mühte sich der Parteichef Bernd Schlömer, die Wogen zu glätten („Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut“), doch das konnte nicht verhindern, daß fast alle großen Medien in der Folge den Daumen senkten. Erstmals wies die Welt in diesem Artikel auf ein Umfragetief der Partei hin, ein Trend, der bis heute anhalten sollte. Zum Verhängnis wurde den Piraten auch die Tatsache, daß sie ihr Führungspersonal in beachtlicher Geschwindigkeit austauschten. Journalisten lieben stabile Netzwerke, die ihnen die Partei zu liefern außerstande war.

Stattdessen liefern sich Funktionäre in sozialen Netzwerken öffentliche Scharmützel, die von Medien genüßlich ausgeschlachtet werden. Jüngstes Beispiel: Der Geschäftsführer der Piraten, Johannes Ponader, veröffentlichte einen heiklen SMS-Verkehr. Darin fordert ihn der Berliner Fraktionschef Christopher Lauer mit einer Drohung zum Rücktritt auf. Das Ganze endet mit der Feststellung Lauers: „Alter, wie verstrahlt bist Du denn? Du merkst ja gar nichts mehr.“ Autorin des Spiegel-Online-Artikels war Annett Meiritz. Ihr Fazit: „Wer dachte, der Tiefpunkt der innerparteilichen Streitigkeiten bei den Piraten sei erreicht, hat sich getäuscht.“ Wenige Tage später legte sie nach: Niemand rechne mehr damit, daß die Partei in den Bundestag einziehen werde.

Foto: Piratenparteitag: Die Parteikonvente wie hier in Bochum stießen auf ein gewaltiges Medieninteresse, inzwischen dominiert jedoch gegenseitiges Mißtrauen

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