© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/13 / 22. Februar 2013

Unerwarteter Tiefschlag
Der Ruf, Ringen aus dem olympischen Programm zu nehmen, offenbart das Traditionsdefizit des IOC
Fabian Flecken

Es ist doch immer wieder eindrucksvoll, in welche Sphären hochrangige Funktionäre den Sport zu hieven verstehen. Man denke nur an die weise Vergabe der Fußball-WM an das wohltemperierte Emirat Katar für das Jahr 2022 als Zeichen globaler Teilhabe. Und so sind selbstredend auch die unerschrockenen Herren des IOC immer wieder für fortschrittliche, ja fast schon ,,hippe“ Neuerungen zu haben. Nach dem überraschenden Rücktritt des Papstes zum Rosenmontag folgte am Faschingsdienstag ein unerwarteter Traditionsbruch in der Welt des Sports.

Die IOC-Kommission unterrichtete die Öffentlichkeit in Lausanne, daß sie gedenke, das in der griechischen Antike wurzelnde Ringen ab dem Jahr 2020 aus dem olympischen Programm zu streichen. Zuvor war eher mit einem olympischen Ende des Modernen Fünfkampfs gerechnet worden. Eine finale Entscheidung wird zwar erst im September auf dem IOC-Kongreß fallen, es ist allerdings sehr wahrscheinlich, daß der Beschluß der Kommission durchgewinkt wird.

Sollte der Vorschlag nun umgesetzt werden, droht also die seit Beginn der modernen Olympischen Spiele im Jahre 1896 – der erste Sieger war übrigens der Berliner Carl Schumann – durchgehend olympische Sportart, von der Antike ganz zu schweigen, in Rio de Janeiro 2016 zum letzten Mal zum Kampf auf die Matte zu bitten. Und das, obwohl in Athen 2004 Ringen zum ersten Mal, ganz geschlechtergerecht, auch bei den Frauen Einzug hielt. Begründet wird die Entscheidung mit der sinkenden Popularität des Sports und der Komplexität des Regelwerks, insbesondere beim griechisch-römischen Stil.

Während der erste Punkt vom Präsidenten des DRB (Deutscher-Ringer-Bund) in einem offenen Brief an den deutschen IOC-Vizepräsidenten Thomas Bach mit dem Hinweis gekontert wurde, daß die Ringer-Wettkämpfe bei den Olympischen Spielen bisher stets ausverkauft waren und eine fehlende mediale Präsenz bei vielen olympischen Sportarten in ähnlichem und größerem Ausmaße zu konstatieren ist, ist der zweite Kritikpunkt, die schwierigen Regeln, nicht ganz von der Hand zu weisen. Hier haben oft auch interessierte Beobachter des Geschehens Probleme, jeden Kampfausgang nachzuvollziehen. Dies konstatiert auch der DRB, der in dem offenen Brief davon spricht, daß „nicht jeder sofort mitreden kann“. Auch wenn der Sport dem Zuschauer durchaus eine gewisse Geduld und die Mühe des Kompetenzaufbaus abverlangt, wird man allerdings durch urplötzliche, spektakuläre Situationen entschädigt.

Die Live-Atmosphäre bei den entscheidenden Partien der Ringer-Bundesliga spricht hier Bände. Gegen Reformen und Vereinfachungen hat man auch in den Ringer-Hochburgen im Südwesten Deutschlands, in denen bis zu 10.000 Zuschauer zu den Finalkämpfen der Ringer-Bundesligamannschaften pilgern, nichts einzuwenden – eine glatte Streichung der antiken Sportart gilt jedoch als Unding. Auch der globale Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. Von Rußland über diverse Kaukasus-Republiken, den Iran und Europa bis zu den USA reichen die Proteste. Diverse Unterschriftenaktionen, auch in Deutschland, wurden schon gestartet. Besonders drastisch brachte es der Präsident des griechischen Ringer-Verbandes, Kostas Thanos, zum Ausdruck: „Die Herren des IOC töten den olympischen Geist“, und er fügte bissig hinzu, daß Ringen im Text der Olympia-Hymne vorkomme und die Olympischen Spiele dann doch konsequenterweise als „Business-Games“ vermarktet werden könnten.

Nebenbei: Spielen vielleicht auch die fehlenden zu vertreibenden Utensilien der Sportart eine Rolle? Als potentieller Ersatz für das olympische Kernelement Ringen stehen übrigens vermeintlich mundgerechtere, funkige Disziplinen wie Baseball, Klettern, Wushu, Rollschuhsport und die Fun-Sportart Wake-boarden in den Startlöchern.

www.ringen.de

Foto: Historischer Ringermoment bei den Olympischen Spielen 1972 in München: Der Deutsche Wilfried Dietrich (u.) schultert den 200 Kilogramm schweren US-Amerikaner Chris Taylor im griechisch-römischen Stil

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