© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/13 / 01. März 2013

Joachim Gaucks Protestantismus
Die Banalität des Guten
Herbert Ammon

Eine Kolumne über den Zustand der Evangelischen Kirche in Deutschland? Gedanken zuhauf: Mitgliederschwund trotz einiger Wiedereintritte und Neuzugänge aus der gebeutelten Kirche des nicht von allen geliebten Benedikt XVI., Auflösung der kirchlich gebundenen Milieus in Kleinstadt und Land, das Auseinanderklaffen des von ökologischen Windmühlen bewegten Liberalprotestantismus und des von Bibelkritik unangefochtenen Kirchenvolks, kurz: die Zukunft des protestantischen Christentums im Zeichen des europaweit fortschreitenden Transzendenzverlustes, der Banalität des Guten. Das „heilige Jahr“ 2017 mit seinem Reformationsjubiläum dürfte so wenig ändern wie dessen Vorgeschmack, der in letzter Minute abgewendete Preis der Luther-Städte für das „freie Wort“ für die Tussis von „Pussy Riot“.

In derlei Besinnung fallen die erbaulichen Worte unseres Bundespräsidenten Joachim Gauck. Beim Zuhören vernehme ich das die deutsche Gemeinschaft stiftende nostra culpa: „War es doch unser Land, von dem aus alles Europäische, alle universellen Werte zunichte gemacht werden sollten.“ Sodann das Wort der Gnade: „War es doch unser Land, dem die westlichen Siegermächte trotzdem gleich nach dem Krieg Hilfe und Solidarität zuteil werden ließen.“

Ja nun, der Ex-Pastor, ob nun subjektiv sündhaft (NSDAP-Mitgliedschaft des Vaters) oder nicht, geht mit historischen Fakten homiletisch um. „Gleich nach dem Krieg“ wurde unser Land in Potsdam um knapp ein Drittel reduziert, wurden rund 15 Millionen Deutsche vertrieben. Den nach Maßgabe der Menschenrechte in den Westzonen Gelandeten kam dann erst ab 1947 der Kalte Krieg zu Hilfe. Der Marshallplan fiel mit drei Milliarden Dollar für den trotz Bomben und Demontagen industriell gerüsteten Weststaat eher bescheiden aus, richtig aufwärts ging es erst seit dem Koreakrieg.

Last but not least: Als Churchill „in seiner berühmten Rede“ 1946 von einem vereinigten Europa sprach, gedachte er Großbritannien dank seiner special relationship mit den USA draußen zu halten. Beckmesserei? Es geht „dem Europäer Gauck“ um die großen Werte: „Erkenne deine Gestaltungskraft!“ Meinte er die Töpfer- und Sprachkurse für die Betuchteren unter den Nord-Rentnern im „sonnigen Süden Europas“?

 

Herbert Ammon lebt als Historiker und Publizist in Berlin.

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