© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/13 / 01. März 2013

Betreuungsgeld als Wendepunkt
Familienpolitik: In der Frage der Kinderbetreuung hat Familienministerin Kristina Schröder einen Paradigmenwechsel eingeleitet
Jürgen Liminski

Fast mechanisch forderte Renate Künast jüngst wieder einmal einen Paradigmenwechsel in der Familienpolitik. Was die Fraktionschefin der Grünen offenbar nicht bemerkt hat: Dieser Wechsel findet gerade statt, allerdings in eine Richtung, die ihr kaum passen wird. Denn die Bundesregierung wendet sich vom Doppelverdienermodell – beide Eltern sind vollzeitig erwerbstätig –, das Rot-Grün propagiert, ab und wieder hin zur Wahlfreiheit für Eltern.

Auch die CDU hing mehr als ein Jahrzehnt in der Kinderbetreuung diesem ökonomistischen Leitbild an. Beide Eltern sollten der Wirtschaft dienen. Dafür hatte die frühere Familienministerin Ursula von der Leyen die Idee des Elterngelds von ihrer Vorgängerin Renate Schmidt (SPD) übernommen und eins zu eins umgesetzt. Nur der Widerstand der Sozialverbände in der Union führte dazu, daß auch nichterwerbstätige Mütter einen Sockelbetrag bekommen. Noch unter von der Leyen hat das Ministerium begonnen, eine großangelegte Evaluation der familienpolitischen Leistungen vorzunehmen, um zu prüfen, welche Leistungen man umschichten könnte, um die „Infrastruktur“ (sprich: mehr Krippenplätze) zu fördern, damit beide Eltern vollzeitig erwerbstätig sein können und dennoch nicht auf Kinder verzichten.

Jetzt kommt Familienministerin Kristina Schröder (CDU) wieder zu dem vorherigen Leitbild der Wahlfreiheit zurück. Das ist eine Wende, die man durchaus als Paradigmenwechsel bezeichnen kann. Dies hat die Grünen-Fraktionschefin, die bisher nicht mit originellen familienpolitischen Ideen hervorgetreten ist, wohl verpaßt. Oder hat sie das ganze Jahrzehnt zuvor verschlafen?

Rückblende: Zu Beginn des Jahrzehnts herrschte Verwirrung im Lager der Union. Man wollte in der Familienpolitik moderner werden; man suchte den urbanen Wechselwähler; man vermutete, daß dieser weiblich sei und ungebunden; und daß er nicht mehr Ehe und Familie als Leitbild sehe, schon gar nicht die Hausfrauenehe, daß aber der Kinderwunsch immer noch vorhanden sei. Man schielte nach links. Dort brach gerade die Familienministerin Renate Schmidt mit dem Tabu, wonach man nicht über Natalität sprechen dürfe. „SOS Familie“ hieß ihr Buch. Auch andere Autorinnen beklagten den Kindermangel und die Kinderunfreundlichkeit im Land. Man ersonn das Elterngeld, und als 2005 die rot-grüne Regierung von der großen Koalition abgelöst wurde, übernahm die neue Familienministerin von der Leyen das Programm ihrer Vorgängerin. Das Elterngeld wurde eingeführt, das Erziehungsgeld dafür abgeschafft. Mit der Folge, daß die niedrigen Einkommen fortan das Elterngeld der Doppelverdiener finanzierten.

Das war Teil eins des Wechsels weg von der familienorientierten Politik hin zu einer arbeitsmarkt- und wirtschaftsorientierten Politik. Familie sollte im Dienst der wirtschaftlichen Produktion stehen. Nicht mehr der Mensch, schon gar nicht als Kind, stand im Mittelpunkt, sondern die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.

Dazu gehörte auch ein Schuldenabbau – die Euro-Krise zog herauf – oder zumindest eine Umschichtung der familienpolitischen Leistungen hin zu mehr Marktorientierung. Dafür mußten alle Transferleistungen auf den Prüfstand. Das mit dem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) angestoßene Vorhaben wurde noch vor Ende der Evaluation teilweise umgesetzt: Man kürzte das Kindergeld, genauer die Bezugsdauer von 27 auf 25 Jahre.

Man strich die Eigenheimförderung, die für viele Familien die einzige Möglichkeit war, gleichzeitig momentane, tägliche Notwendigkeiten (Wohnraum für Eltern und Kinder) zu befriedigen, als auch Vorsorge für das Alter zu treffen. Und man strich die Pendlerpauschale, die es vielen Familien erst ermöglichte, den preiswerten Wohnraum außerhalb der Stadt zu erwerben.

Nur dem Widerstand aus der CSU und seitens einiger beherzter Familienpolitiker ist es zu verdanken, daß die Pendlerpauschale lediglich gekürzt und nicht ganz gestrichen wurde. Mit der Evaluation sollte dann auch das Ehegattensplitting gekippt oder verändert werden, und natürlich sollte weiter am Kindergeld, an der Witwen- und Waisenrente und anderen Maßnahmen geschraubt werden. In der Zwischenzeit wurde mit einer „Krippenoffensive“ schon mal der Weg für die Vollzeitig-Doppelverdiener-Lösung weiter geebnet.

In diese ideologische Denkrichtung – alles in die Infrastruktur zum Wohle der Wirtschaft – paßte natürlich eine Leistung wie das Betreuungsgeld nicht. Deshalb wurde und wird es auch so heftig und leidenschaftlich bekämpft. Deshalb hat es auch über den eigentlich nur symbolischen Betrag hinaus eine so grundsätzliche Bedeutung. Es garantiert die Wahlfreiheit, und es ist das Verdienst einiger weniger – wie etwa der bayerischen Familienministerin Christine Haderthauer –, daß die Union nicht ganz ins Fahrwasser von SPD, Grünen, Linkspartei sowie das der kapitalistischen Funktionäre wie Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt geriet.

In einem Aufsatz für die FAZ stellte Kristina Schröder kürzlich klar: „Natürlich kann man Familienpolitik als Instrument der Arbeitsmarktpolitik begreifen. Nur: Was die Familien eigentlich selbst wollen, das spielt dann keine Rolle mehr.“ Und alle diejenigen Familien, die einfach nicht so leben wollten, wie SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und Renate Künast das gerne hätten, für deren Lebensmodell werde es dann eben keine oder kaum noch Förderung geben. Sie gehe „tatsächlich einen anderen Weg. Familien sind keine ökonomische Verfügungsmasse. Es ist richtig: Die Hausfrau ist nicht mehr das alleinige Leitbild christlich-liberaler Familienpolitik. Aber eben auch nicht das Feindbild“.

Schröder plädiert für die Wahlfreiheit. Es gebe in Deutschland genauso viele Familien, die ihre ein- und zweijährigen Kinder zu Hause betreuen wollen, wie es Familien gebe, die einen Kita-Platz brauchten. „Ich empfinde es als eine Frechheit, den einen zu sagen, ihr macht es richtig, und den anderen, ihr macht es falsch. Für mich zählt, daß Familien so leben können, wie sie selbst leben wollen (…) Und dementsprechend halte ich es auch für falsch, der gesamten Familienpolitik nur ein einziges politisches Ziel vorzugeben, anstatt andersherum die Familienpolitik an den Zielen und Wünschen der Familien auszurichten.“ Hier wird also das Ruder herumgerissen. Man kann nun darüber spekulieren, ob dies dem Wahlkampf beziehungsweise der Mobilisierung der früheren, mittlerweile frustrierten und deshalb fernbleibenden Stammwähler geschuldet ist. Sicher ist: Diese Politik ist freiheitlicher und familienfreundlicher als das doktrinäre Arbeitsmarktmodell von Rot-Grün. Und in diesem Sinn muß man die Gesamtevaluation ehe- und familienpolitischer Leistungen sehen.

Für Frau Künast dagegen gilt schon jetzt, daß die Familienpolitik „fehlgesteuert“ sei. Sie wiederholt die Behauptungen des Spiegel, redet von den 200 Milliarden Transferleistungen, ohne zu fragen, ob die Zahl überhaupt stimmt und mit welchem Ziel die Leistungen eingeführt wurden. Auch der Kanzlerkandidat der SPD schlägt kritik- und besinnungslos in diese Kerbe.

Tatsache aber ist: Es handelt sich nicht um 200 Milliarden, sondern allenfalls um 55 Milliarden, wie im neuen Familienreport nachzulesen ist. Und es sind auch keine Leistungen gratis. Es geht hier um Leistungsgerechtigkeit, so wie das Bundesverfassungsgericht es seit Jahren anmahnt. Die Phantomzahlen stammen noch aus der Zeit von der Leyens. Damals wurde, um die angestrebte Umverteilung wissenschaftlich zu legitimieren, die Zahl von 180 Milliarden Euro Familienleistungen in die Welt gesetzt.

Zustande kam diese Zahl, schreibt der Familienforscher Stefan Fuchs, „durch eine uferlos weite Definition von Familienleistungen, zu denen sogar die Kinderfreibeträge im Steuerrecht zählen sollten. Nach dieser Logik müßten dann auch Freibeträge für Kinderlose als ‘Single-Subvention’ gelten. Solche Ungereimtheiten hinderten die meisten Medien nicht, die Zahl in unzähligen Meldungen bis heute zu verbreiten. Der Legende tut es auch keinen Abbruch, daß das Familienministerium seine Angaben längst korrigieren mußte.“

Im neuen Familienreport ist von 125 Milliarden Euro „familienbezogener Leistungen“ die Rede, von denen nur 55 Milliarden als Familienförderung im engeren Sinne zu bezeichnen seien. Interessanter noch als die Zahlen zur Familienförderung ist die veränderte Tonlage in dem Report: Auch unter „schwierigen materiellen Voraussetzungen“, so wird betont, bemühten sich Eltern, „gute Bedingungen für die Entfaltung ihrer Kinder zu schaffen“. Insbesondere Mütter verzichteten dafür oft auf die „Realisierung eigener Wünsche“. Aus dieser Perspektive eines grundsätzlichen Vertrauens in Eltern erscheinen nun auch wieder Leistungen wie das Kindergeld als sinnvolle Instrumente eines Lastenausgleichs als zentrale Aufgabe der Familienpolitik. Das ist das Erfreuliche des zweiten Paradigmenwechsels in der Familienpolitik: Der Mensch rückt wieder in den Mittelpunkt.

 

Jürgen Liminski ist Publizist und Mitbegründer des Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie und widmet sich besonders der Gesellschafts- und Familienpolitik.

www.i-daf.org

Foto: Häusliche Betreuung und Kindergartengruppe: Ist der Kurswechsel nur dem Wahlkampf geschuldet?

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