© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/13 / 01. März 2013

Solange es Papier gibt
Experten diskutieren die Zeitungskrise: Wie sieht die Zeitung von morgen aus, und wie wird mit ihr Geld verdient?
Christian Dorn

Erleben wir „nur“ eine Zeitungskrise oder ist sogar der Journalismus selbst in seiner Existenz gefährdet? Es fehlt dieser Tage nicht an Hiobsbotschaften und Horrorszenarien, was den Zustand der Zeitungslandschaft angeht. Bei zwei Branchentreffen in der vergangengen Woche (einer Anhörung in der SPD-Bundestagsfraktion und dem Mainzer Mediendisput) widmeten sich Experten der Frage, ob die Zeitung überhaupt noch eine Zukunft hat.

Gibt es überhaupt eine Krise? Der Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger, Helmut Heinen, schilderte den sanften Abstieg seines Wirtschaftszweiges: Im Unterschied zum Jahr 2000, dem stärksten Jahr des deutschen Pressemarktes, arbeiteten heute 2.400 Redakteure weniger. Der Auflagenrückgang in der Presse habe aber bereits zehn Jahre vor dem Internet begonnen. Seit Ende der achtziger Jahre sei die Auflagenhöhe jährlich um etwa ein Prozent gesunken. Vor allem sei das klassische Modell der Zeitung als „Wundertüte“ überholt, da ein Großteil der relevanten Informationen heute über andere Medien bezogen wird.

Wie reagieren Arbeitnehmervertreter? Wenngleich jüngste Entlassungswellen, etwa bei der Westfälischen Rundschau, die sämtliche 120 Redakteure entließ (JF 4/13), eine Zeitungskrise zweifelsfrei nahelegen, trifft dies – ausgerechnet aus Gewerkschaftssicht – gar nicht zu. Entsprechend verneinte der Verdi-Vertreter Ulrich Janßen das allseits zitierte „Zeitungssterben“. Selbst der Begriff „Krise“ passe nicht. Das wäre, als betrachte man den Grappa nach dem Essen als „Drogenproblem“.

Schließlich erwirtschafteten lokale und regionale Medien in Deutschland eine durchschnittliche Rendite von zehn Prozent. Tatsächlich sollen einzelne Medienhäuser deutlich mehr Profit machen, die Saarbrücker Zeitung 17 Prozent, die Sächsische Zeitung gar 20 Prozent pro Jahr. Sinkende Anzeigenerlöse würden durch steigende Vertriebserlöse aufgefangen.

Eine Einzelmeinung selbst im Arbeitnehmerlager: Anders als Verdi-Mann Janßen sah die Betriebsrätin vom Gruner+Jahr-Verlag und Ex-FTD-Redakteurin Maike Rademaker sehr wohl eine nachhaltige Zeitungskrise.

Verdienen Verlage gar zuviel Geld? Der Staatssekretär für Medien in NRW, Marc Jan Eumann, sieht das vermutlich so. Jedenfalls bezeichnete er es als „unbefriedigend“, daß die Erben des WAZ-Konzerns, dem auch die Westfälische Rundschau gehört und der im vergangenen Jahr angeblich 14 Prozent Rendite erzielt hat, nicht zehn Prozent ihres Kapitals an eine Stiftung überführen. Wo doch die Drucklizenz damals ein Geschenk der Alliierten gewesen sei.

Was ist zu tun? Eine oft genannte und bei den Sozialdemokraten heißdiskutierte Medizin heißt „staatliche Subventionen“, die unter dem wohlklingenden Namen „neue Finanzierungsmodelle für den Journalismus“ firmieren. Qualitätsjournalismus, so die häufig geäußerte These, dürfe als „Gut öffentlicher Daseinsvorsorge“ nicht dem bösen Markt ausgesetzt werden.

Als Rechtfertigung für diese Form der Pressesubventionierung werden oft Erfolgsmodelle aus dem Ausland angeführt: Dort sei die staatliche Förderung des Journalismus nicht ungewöhnlich, berichtete bei der SPD-Anhörung der Medienwissenschaftler Stephan Weichert. Österreich, das seine Presse dauerhaft subventioniere, diskutiere derzeit sogar über eine Verdreifachung des betreffenden Betrages. Dänemark weitet sie gerade auf den Onlinebereich aus.

Behindert der Staat die Verlage? Das tut er. So nannte Verbandspräsident Heinen beispielsweise Reglementierungen und Werbeverbote – etwa beim Tabak. Ihm sekundierte die sozialdemokratische EU-Abgeordnete Petra Kammerevert. Ihr zufolge schütte das „politische Gutmenschentum“ das Kind mit dem Bade aus und verhindere so die Grundlagen für eine vielfältige Presse. Leider sei sie in Brüssel eine „einsame Ruferin in der Wüste“.

Hat die Zeitung noch eine Zukunft? Für Thierry Chervel, Geschäftsführer des Onlineportals Perlentaucher, ist die Zeitungskrise nur die Teilmenge eines viel größeren Problems: des Strukturwandels der Öffentlichkeit. Sein Fazit lautet: „Die Zeitung ist tot, es lebe die Information.“ Überhaupt repräsentiere sich im Netz die neue Struktur unserer Öffentlichkeit. So verwunderte auch nicht seine Kritik am überdimensionierten Apparat der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.

Der Publizist Anton Hunger, einst Pressesprecher von Porsche und Autor des dieser Tage erscheinenden Buches „Blattkritik“, einer radikalen Abrechnung mit dem auf „Ritualschlachtungen“ ausgerichteten Journalismus von heute, sieht die Zukunft der Zeitung positiv. Sie werde solange existieren, solange es Papier gebe, allein schon aufgrund ästhetischer Faktoren. Freilich werde sich ihr Charakter nachhaltig veränderen, da sie ihren bisherigen Nutzwert-Charakter einbüßen werde.

Bei aller Ungewißheit blieb so nur ein gemeinsamer Befund: Nach dem Ende der Financial Times Deutschland werde auch die Frankfurter Rundschau definitiv von der Bildfläche verschwinden, da sie – wie es die ehemalige FR-Literaturredakteurin Ina Hartwig ausdrückte – „falsche Vorstellungen von der politischen Landschaft“ gemacht habe.

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