© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

Abenteuerliches Herz
Billy Six: Mehrfach berichtete der Reporter für diese Zeitung über die Bürgerkriege in Arabien. Nach Monaten in syrischer Haft ist er wieder frei
Henning Hoffgaard

Funkstille. Seit Tagen schon hat Billy Six auf keine E-Mail mehr reagiert. Am 26. Dezember 2012 schafft dann eine Nachricht des Zeit-Reporters Wolfgang Bauer schreckliche Gewißheit. Der Syrien-Reporter der JUNGEN FREIHEIT wird vermißt. Bei Facebook taucht auf Rebellenseiten ein Foto seines Personalausweises auf mit dem Hinweis, er sei von Regierungstruppen festgenommen worden.

Seine Spur in Syrien verliert sich am 17. Dezember nahe der umkämpften Stadt Hama. Ausgerechnet am Weihnachtsfeiertag erfahren die Eltern von deutschen Behörden vom Verschwinden ihres Sohnes, es ist zugleich sein Geburtstag. Im ersten Moment? Entsetzen, Ratlosigkeit, Bestürzung. Nach einer schnell einberufenen Krisensitzung bildet die Redaktion ein Krisenteam und verhängt auf Anraten von Behörden und Journalisten eine Nachrichtensperre.

Zu diesem Zeitpunkt gibt es von Billy Six bereits seit mehr als zwei Wochen keine Nachricht. Auf der anderen Seite melden sich immer mehr Syrien-Reporter und bieten ihre Hilfe bei der Suche an. Nach einigen Tagen gelingt es der JUNGEN FREIHEIT, über Facebook Kontakt zu Syrern aufzunehmen, die Six längere Zeit begleitet hatte. Der Nebel beginnt sich zu lichten. Etwas zumindest.

Nachdem die Kommunikation auf englisch an ihre Grenzen stößt, wird ein Dolmetscher hinzugezogen. Ort und Datum können eingegrenzt werden. Alle Mitglieder der syrischen Opposition erzählen dieselbe Geschichte: Six, heißt es, sei auf dem Weg zur kleinen Stadt Tremseh an einem Checkpoint von der Regierung festgenommen worden. Einige bestehen darauf, es seien reguläre Truppen gewesen, andere betonen, es seien mehr oder weniger eigenständige Shabiah-Milizen. Nur, wem kann man trauen? Der Bürgerkrieg ist längst eskaliert, täglich gibt es neue Meldungen über Massaker beider Seiten. Die Wahrheit ist dort unten längst gestorben.

Während das JF-Krisenteam langsam Fortschritte macht, melden sich auch die deutschen Behörden in der Redaktion. Es gibt Klärungsbedarf. Treffen werden vereinbart. Kontaktdaten ausgetauscht, der weitere Ablauf besprochen. Über den genauen Inhalt der Gespräche wird Geheimhaltung vereinbart. Eine Frage drängt sich allen Beteiligten auf. Ist Billy Six überhaupt noch am Leben? Niemand weiß es. Die syrische Regierung hüllt sich in Schweigen.

Anfang Januar, noch immer kein Lebenszeichen. Mit den Eltern steht die JF in ständigem Kontakt. Man tauscht sich aus, versucht sich Mut zu machen. Hysterie hilft niemandem. Der Vater ist zuversichtlich: „Wenn es jemanden gibt, der in Haft gut zurechtkommt, dann ist es Billy.“

Six hatte vor einigen Jahren den halben afrikanischen Kontinent innerhalb weniger Wochen auf eigene Faust bereist und darüber berichtet. Anfang 2011 nimmt er als Journalist sogar an einer Kurzausbildung bei der französischen Fremdenlegion teil. Als in Ägypten der „arabische Frühling“ ausbricht, ist der junge Journalist schon früh dabei. Er berichtet vor allem über die Muslimbrüder. Schnell wird deutlich, Six ist niemand für Hintergrundgespräche mit Politikern und Beamten. Er ist nahe bei den einfachen Menschen. Kontaktfreudig und weltoffen.

Dann Libyen. Kein ziviler Protest. Hier herrscht echter Krieg. Der damals 25jährige begleitet oppositionelle Truppen, die gegen Gaddafi kämpfen. Wochenlang berichtet er von der Front, Laptop und Kamera werden ihm gestohlen und schnell ersetzt. Nach dem Sieg der Rebellen kehrt er zurück nach Deutschland. Nicht mit dem Flugzeug, er nimmt den gefährlichen Weg über das Mittelmeer. Auf einem kleinen Flüchtlingsboot. Zurück in Berlin schildert er vor der Redaktion seine Erfahrungen und zeigt leere Munitionshülsen.

Um ihn noch besser auf künftige Auslandsreportagen vorzubereiten, organisiert die JF ihm ein Intensivtraining für Journalisten in Krisengebieten bei der Bundeswehr. Dann Syrien. Der Bürgerkrieg tobt bereits einige Monate, als Six mit einem Touristenvisum über die türkische Grenze einreist. Der Norden des Landes ist zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend in Rebellenhand.

Six schildert den Kriegsalltag und knüpft Kontakte zur Opposition. Nach einigen Wochen dann eine E-Mail, die es in sich hat. Er schildert, wie er für einige Tage von islamistischen Rebellen festgehalten wird, die ihn für einen westlichen Spion halten. Six kommt frei. Zu diesem Zeitpunkt ist die Weltpresse voll von Berichten über Regierungsmassaker. Der 26jährige will einem davon auf die Spur kommen und verschwindet. Angesichts der immer weiter voranschreitenden Zeit nimmt die Redaktion Kontakt zu mehreren Hilfsorganisationen für gefangene Journalisten auf. Einige können sofort helfen, andere winken ab. Die zentrale Frage: War er bei seiner Verhaftung allein? Die JF macht einen Dolmetscher ausfindig, mit dem Six unterwegs gewesen sein soll. Über einen Kontaktmann in der Türkei erhält das Krisenteam eine Telefonnummer und ruft an. Es ist ein kurzes Gespräch. Der Mann gibt zu, Six zu kennen und behauptet, er sei nach Jordanien verschleppt worden. Er legt auf. Die Nummer ist danach nie wieder erreichbar. Eine Sackgasse.

Die Gespräche mit Rebellenkommandeuren bringen mehr. Die sind vor allem über den Telefon- und Videodienst Skype erreichbar. Der Name „Billy Six“ ist fast allen vor Ort bekannt. Die Freie Syrische Armee (FSA) verspricht, die Augen offenzuhalten, kann hier und dort ein weiteres Indiz liefern. Klar ist jedoch auch: Die Rebellen führen einen Krieg. Verschleppte Journalisten haben keine große Priorität. Und, sie werden Six nicht aus den Händen der Regierung befreien können. Alles hängt an der Regierung in Damaskus. Hat sie überhaupt noch die Kontrolle über alle ihre Truppen und Gefängnisse?

Immer mehr tritt die Frage in den Vordergrund, ob ein Gang an die Öffentlichkeit vorbereitet werden soll, um eventuell Druck auf Damaskus auszuüben. Die Eltern entscheiden sich nach einem intensiven zweistündigen Gespräch dagegen. Alle diplomatischen Kanäle sollen ausgeschöpft werden. Alle Hoffnungen liegen nun bei der Bundesregierung und dem russischen Außenministerium.

5. März, kurz nach elf Uhr. Das Telefon klingelt. Wolfgang Bauer, wieder ist es der Zeit-Journalist, der uns auch während der Entführung stets beraten hatte. Six ist frei. Auf Bitten der von Deutschland eingeschalteten russischen Regierung wird er entlassen. Es geht ihm gut. Er meldet sich aus Damaskus bei seinen Eltern. Er steckt auf dem Weg in den Libanon im Stau. Bald soll er wieder in Deutschland sein. Es ist vorbei.

Das „Syrische Kriegstagebuch“ von Billy Six: QR-Code für Smartphone (mit entsprechender App scannen)

 

Chronik

21. August 2012

Billy Six reist über die Türkei in den Norden Syriens ein. Seine erste Station ist die Stadt Telmenes.

Anfang September 2012

Six wird in der Nähe des Stadt Maarat an-Numan von offenbar al-Qaida nahestehenden Rebellen festgenommen und verhört.

14. September 2012

Interview mit einem führenden Dschihadisten.

27. September 2012

Bericht über die Schlacht von Abu Duhur.

Mitte Oktober 2012

Six berichtet über eine bei Maarat an-Numan eingeschlossene Einheit der syrischen Regierungstruppen.

31. Oktober 2012

In der Stadt Kafr-Rambel demonstrieren Gegner des Assad-Regimes gegen den Papst, der eine Friedensbotschaft an alle Bürgerkriegsparteien gerichtet hatte. Billy Six berichtet von dieser Demonstration.

19. November 2012

Die JUNGE FREIHEIT veröffentlicht den vorerst letzten Text von Billy Six – über die Bombardierung der Stadt Kafr-Rambel.

10. Dezember 2012

Letzter E-Mail-Kontakt der Redaktion mit unserem Reporter.

17. Dezember 2012

Festnahme Billy Six’ durch syrische Regierungstruppen in der Nähe der Stadt Hama.

24. Dezember 2012

Auf Facebook taucht ein Bild vom Personalausweis von Six auf.

23. Januar 2013

Ein erstes Lebenszeichen. Zeugen sehen Six in einem syrischen Gefängnis.

Foto: Billy Six in den Trümmern der nordsyrischen Stadt Abu Duhur: Der 26jährige Journalist verschwand für zehn Wochen in syrischen Gefängnissen

Der Vater spricht
Moritz Schwarz

Monatelang haben die Eltern Edward und Ute Six um das Leben ihres Sohnes gebangt. Zuletzt standen sie vor der schweren Frage, ob sie den Fall öffentlich machen sollen.

Herr Six, Sie haben eben erstmals mit Billy telefoniert. Wie geht es Ihrem Sohn?

Six: Ich weiß ja nicht, wie offen er sprechen konnte, aber er macht einen guten Eindruck: stabil und frohen Mutes.

Wie haben Sie von seiner Freilassung erfahren?

Six: Durch einen Anruf Ihres Kollegen Henning Hoffgaard. Von deutschen Behörden habe ich letzte Woche eine vertrauliche Information bekommen, daß sich in den kommenden Tagen etwas tun würde. Daß Billy aber gleich freigelassen werden würde, damit haben wir nicht gerechnet. Es ist eine große Freude!

Haben Sie sich von den deutschen Behörden gut betreut gefühlt?

Six: Auf jeden Fall, die hatten zu Weihnachten, als unser Sohn verschwand, in nicht mal 24 Stunden einen Krisenstab auf die Beine gestellt. Mein Lob und tiefen Dank an Bundeskriminalamt und das Auswärtige Amt!

Wie kam es nach Ihrer Ansicht jetzt zur Freilassung Billys?

Six: Das weiß ich nicht wirklich, aber offensichtlich hat Rußland eine große Rolle gespielt. Das zeigt, daß Billy in Damaskus vor laufenden Kameras an russische Diplomaten übergeben wurde.

Warum sind Sie mit dem Fall nicht an die Öffentlichkeit gegangen?

Six: Um Billy nicht in Gefahr zu bringen. Wir haben uns natürlich beraten lassen: Es hieß, solange man nicht wisse, wer ihn habe, berge das unkalkulierbare Risiken. Und als dann klar wurde, daß es die Syrer sind, die ihn hatten, und nicht Rebellen, Islamisten oder Kriminelle, war es besser, eine diplomatische Lösung im stillen zu verfolgen. An dieser Stelle meinen Dank an die Medien, die, obwohl etliche Journalisten informiert waren, dennoch nichts veröffentlicht haben.

Was machen Sie, wenn Sie Billy morgen wiederhaben?

Six: In den Keller sperren, mit Bratwurst füttern und ihn nie, nie wieder herauslassen.

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