© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

Hanseatischer Größenwahn
Hamburgs Elbphilharmonie: Streit um Bauverzögerungen, Kostensteigerungen und die „weltbeste Akustik“
Sverre Schacht

Die besten Plätze für 10 Euro bei allen Elbphilharmoniekonzerten für alle bis 27 Jahre“, wirbt gerade Hamburgs Elbphilharmonie für sich und junges Publikum, denn der Musentempel steht im Ruf, ein Spleen älterer stadttypischer Jazz-Fankreise zu sein. Seit Jahren klagen private Konzertveranstalter, mit solchen Preisen ruiniere das Projekt den Konzertmarkt. Auch dieses Frühjahr wird es wieder elbphilharmonische Konzerte geben – und zwar ohne daß der Bau fertig ist.

Dabei läßt die Hanseaten das Kostenchaos um den aufgestockten Ziegelspeicher in ihrem Hafen erstaunlich kühl. Die Lage auf dem angespannten Wohnungsmarkt der wohlhabenden Stadt drängt mehr. Hierzu können die in der Philharmonie geplanten 43 Luxuswohnungen zu rund 25.000 Euro pro Quadratmeter kaum Positives beitragen. Wie der ganze Musentempel verzögert sich jetzt auch der Einzug dieser Mieter. Forderungen nach Schadenersatz an die Stadt werden laut.

Dort, in der hanseatischen Politik, ist längst unterkühlte Routine eingekehrt: Mehr als vierzigmal tagte der inzwischen zweite Parlamentarische Untersuchungsausschuß zur Verzögerung und Kostenexplosion beim Bau des Konzerthauses. Allein dieser Ausschuß verschlingt 2,6 Millionen Euro. Als letzter Zeuge sagte dort am 14. Februar der vom Wohlklangprojekt berauschte Ex-Bürgermeister Ole von Beust (CDU) aus. Er trug allerdings wenig Neues vor, so die Ausschußmitglieder.

Für diesen Monat planen die Stadt und der verantwortliche Baukonzern Hochtief nach langem Zerwürfnis neue Vereinbarungen: Hochtief sichert zu, das Konzerthaus für gut 575 Millionen Euro bis 2017 zu Ende zu bauen. Der Konzern könnte wieder, wie politisch gefordert, die Risiken übernehmen, der Steuerzahler trägt die um mehr als 200 Millionen Euro seit der letzten Schätzung gestiegenen Kosten.

Ähnlich läßt es jedenfalls die angekündigte Einigung zwischen Stadt und Hochtief erwarten. Als der Bau 2007 vom Stadtparlament einstimmig abgesegnet wurde, sollte die Philharmonie insgesamt noch 241,3 Millionen Euro kosten. Die öffentliche Hand hätte demnach 114,3 Millionen übernehmen müssen. Doch viele Male mußte seither Geld nachgeschoben werden, weil die Politik neue Wünsche äußerte: runde Dachplatten wechselnder Größe, tropfenförmig gewölbte Fenster, ein Saal mit „weltbester Akustik“ und darin eigens angefertigter weißer Gipskarton für 5.000 Euro pro Quadratmeter – die Liste der Extravaganzen ist lang.

Die Stadt plante zuwenig, griff nicht ein, Baupläne fehlten, lautete schon das Fazit des ersten parlamentarischen Ausschusses. „Ich gehe davon aus, daß der Pauschalfestpreis von Herrn Scholz nicht funktioniert“, sagt Obmann Norbert Hackbusch (Linke) nun zum Abkommen zwischen Bauherr und Hochtief. Andreas Wankum (CDU) kritisiert als Philharmonie-Experte seiner Partei: „Wir sind heute schon deutlich über 800 Millionen.“

Der Trend zum Höchstpreis setzt sich im 2.150 Zuhörer fassenden Saal fort. Jetzt zweifelt der Physiker und Akustiker Uwe M. Stephenson den Wert der aufwendigen Akustik an. Dem Hamburger Abendblatt sagte der an der nahen HafenCity-Universität lehrende Professor: „Die Stadt hat es versäumt, konkrete, zahlenmäßige Zielwerte zu definieren.“ Das heißt, die Stadt hat außer der Forderung nach „weltbester Akustik“ kaum Vorgaben gemacht. Die bisher weltbesten Konzertsäle weisen jedenfalls eine weit einfachere Raumgestaltung auf, wie Kritiker nun anmerken.

Die Frage, wer also haftet, wenn es nicht einmal teuer klingt, zeichnet sich so nach der bisherigen Streitfrage, wer für die Bauverzögerungen haftet, bereits ab. Auch an der Elbe erbringt somit die Politik den Beweis, daß sie öffentliche Großprojekte nicht mehr steuern kann.

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