© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/13 / 08. März 2013

Lockerungsübungen
Allein gegen alle in Europa
Karl Heinzen

Auf seiner ersten Europa-Reise im neuen Amt hat sich US-Außenminister John Kerry mit Antrittsbesuchen in Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien begnügt. Brüssel lag nicht auf seiner Route. Daraus läßt sich ablesen, daß die Amerikaner an ihrer realistischen Beurteilung der europäischen Verhältnisse festhalten. Die EU ist für Washington kein Gesprächspartner auf Augenhöhe. Sie mag zwar von den Bürgern ihrer Mitgliedsstaaten als übermächtiger Moloch empfunden werden, der die europäische Idee mit bürokratischem Regulierungsfanatismus und diktatorischer Anmaßung erstickt. In der Weltpolitik ist sie jedoch eine zu vernachlässigende Größe.

Auf Deutschland hingegen liegt das Augenmerk der USA: Berlin hat, so Kerry, in beispielhafter Weise die Führung in Europa übernommen. Dieses überschwengliche Lob sollte man nicht als Wahlkampfhilfe für Angela Merkel mißverstehen, auch wenn sich die Bundeskanzlerin dadurch in ihrer Einschätzung bestärkt fühlen dürfte, für Deutschland und Europa alternativlos zu sein. Schon vor mehr als zwei Jahrzehnten hatten die USA unter Präsident George Bush senior die Bundesrepublik für die Rolle auserkoren, an ihrer Seite Führungsverantwortung zu übernehmen. Helmut Kohl stellte sich jedoch taub, weil er um die Gefahren wußte, die Deutschland drohten, wenn es dieses Angebot annähme. Ihm galt als oberste Priorität, das sensible Gleichgewicht Europas nach zwei verheerenden Kriegen nicht erneut zu stören. Gerade das wiedervereinigte Deutschland hatte daher sein Gewicht nicht in die Waagschale zu werfen, sondern sich Zurückhaltung aufzuerlegen.

Die Selbstdisziplin, das eigene Machtpotential nicht zur Geltung kommen zu lassen, kann jedoch kein Staat auf Dauer aufbringen. So wurde die Bismarcksche Außenpolitik durch die Wilhelminische und die Kohlsche durch die Merkelsche abgelöst. Die Kanzlerin sucht zwar für Deutschland keinen Platz an der Sonne. Die deutsche Hegemonie über unseren Kontinent bleibt aber für ihre Opfer unannehmbar, auch wenn sie im Namen höherer Werte wie Fiskaldisziplin oder Währungsunion ausgeübt wird.

Allein gegen alle in Europa ist Angela Merkel daher auf den transatlantischen Schulterschluß angewiesen. Ein neues 1918 kann sie nur vermeiden, wenn die USA diesmal auf deutscher Seite stehen.

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