© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Keine magischen Kräfte
Liberalismus: Ein Studententreffen in Belgien zeigt, welchen Aufschwung die libertäre Szene in ganz Europa nimmt
Ronald Gläser

Wenn er an seine Heimat denkt, dann runzelt Nikos Jakovidis die Stirn. Es steht nicht gut um Griechenland. „Das mit dem Sparen funktioniert nicht.“ Die Regierung habe nur die Steuern erhöht und damit der Wirtschaft die Luft abgedreht. „Wir haben immer noch zu viele Beamte, und die Gesetze sind noch komplizierter geworden.“

Seine Landsleute aber würden das alles nicht verstehen. Für die öffentliche Meinung in Griechenland ist „neoliberale Politik“ die Ursache für die harten Einschnitte: „Die extreme Linke wird als etwas Gutes angesehen.“ Unternehmer würden verteufelt. Piet, ein Holländer, der bei ihm am Tisch sitzt, pflichtet ihm bei und berichtet dann freudestrahlend: „In Estland dauert es nur drei Stunden, eine Firma anzumelden. Und es gibt eine 20-Prozent-Flattax.“ Die beiden Studenten schauen einander an. „Das mußt du mir genauer erklären.“

Tischgespräche bei einer Konferenz der European Students for Liberty (ESFL). Das radikalliberale Treffen am vergangenen Wochenende in Löwen (Leuven) war eine Heerschau libertärer Netzwerke und Thinktanks. 350 Studenten aus 44 Ländern nahmen daran teil.

In dieser jungen Szene herrscht Aufbruchsstimmung. Während die Politiker immer neue Rettungsschirme aufspannen und den Wohlfahrtsstaat weiter ausbauen, fragen sich immer mehr Junge: Wie sollen wir jemals all die Versprechen der Politiker bezahlen? Die Zahl der Kritiker des ausufernden Wohlfahrtsstaates wächst.

Die Konferenz dreht sich jedoch nicht um Tages- oder Parteipolitik. Zwar zählt die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung zu den Sponsoren – doch viele der deutschen Teilnehmer haben nur ein Kopfschütteln für die „Mutterpartei“ übrig. „Wir sollten jetzt mal einen Mitgliederbescheid gegen den Mindestlohn anleiern“, fordert einer der aus Deutschland angereisten Libertären. Ein anderer schimpft auf die FDP-Spitze, die just in diesem Moment Frank Schäffler aus dem Vorstand kegelt: „Wie können die nur so dumm sein, die SPD links zu überholen?“

Im Grunde aber dominiert Zuversicht. Tom Palmer vom Cato-Institut berichtet überschwenglich, daß eigentlich fast alle Menschen ihr Leben als Libertäre leben: Sie erziehen ihre Kinder, nichts zu stehlen. Sie zwingen niemanden, ihren Abwasch zu machen und sperren andere nicht einfach ein. Aber sie akzeptieren es komischerweise, wenn der Staat es tut. „Glauben Sie, daß Könige, Kommissare oder Präsidenten irgendwelche magischen Kräfte haben?“ fragt er. Es müsse die Aufgabe der Libertären sein, den Staat zu demystifizieren.

Die libertäre Publizistin Carrie Lukas hingegen analysiert, warum gerade Frauen so anfällig für sozialistisches Gedankengut sind und was dagegen getan werden kann. Sie führt es auf die niedrigere Risikobereitschaft von Frauen zurück und auf ihr Desinteresse an ökonomischen Zusammenhängen: „Sie sehen nur den Sozialhilfescheck bei jemandem ankommen, aber nicht die Steuern, die anderen abgezogen werden.“

Am letzten Tag berichtet Matt Kibbe, der Chef von „FreedomWorks“, von der Arbeit seines Thinktanks. Seine Organisation, die von 82.000 Spendern getragen wird, hat ein soziales Netzwerk aufgebaut, über das er in Amerika Hunderttausende von Sympathisanten erreicht. Für Kibbe, einen der Organisatoren der Tea-Party-Bewegung, ist das Internet das Werkzeug, mit dem er den Zeitgeist glaubt kippen zu können. „Früher haben uns zwei Parteien, drei Fernsehkanäle und zwei bis drei angesehene Zeitungen gesagt, was Sache ist.“

Jetzt gäbe es Tausende Blogger und Millionen bei Facebook. Die Öffentlichkeit funktioniere nicht mehr wie früher. Jetzt aber könne ein Außenseiter wie der Senator Rand Paul aus Kentucky gegen das große Geld und den Parteiapparat zu einem der wichtigsten Spieler in seiner Partei aufsteigen, weil die „Torwächter“ (Medien, Parteien) ihre Funktion verloren hätten.

Die meisten Teilnehmer kehren nach drei Tagen in der belgischen Universitätsstadt mit diesen Ideen im Gepäck in die Heimat zurück. Fiori etwa, die junge Bankerin aus Tirana, die eine libertäre Gruppe in Albanien anführt. Sie hat den Libertarismus auf einer vorangegangenen Students-for-Liberty-Konferenz in Polen kennengelernt. „Ich wußte gar nicht, worum es da geht – nur daß es was mit Politik zu tun hat.“ Dort hat sie Mises und Hayek für sich entdeckt und sieht die Welt nun mit anderen Augen.

Nikos Jakovidis hingegen bleibt lieber im holländischen Delft, wo er Design studiert: „Ich gehe nicht dorthin zurück, nicht in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren.“ Griechenland, so meint er, sei nicht zu helfen. Zu festgefahren sind die Strukturen dort, zu stark die Gewerkschaften und zu ausgeprägt das Klientelsystem.

Gerade für die Amerikaner ist Griechenland seit langem das Schreckgespenst. Matt Kibbe beschreibt seine Taktik, den ausufernden Sozialstaat zu stoppen, so: „Der Wohlfahrtsstaat wurde errichtet, um Wähler anzuziehen, nur diese Wähler können den Wohlfahrtsstaat jetzt stoppen.“ Und wenn nicht? „Dann gehen wir pleite wie Griechenland.“

www.studentsforliberty.org

Foto: European Students for Liberty: Die etwa 300 Teilnehmer aus 44 vorwiegend europäischen Ländern kamen in die katholische Universität von Löwen

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