© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Im Fadenkreuz der Machtinteressen
Geopolitik: Im Schatten der Kämpfe in Syrien versuchen ausländische Mächte ihren Einfluß in der Region auszuweiten
Thorsten Brückner

Im Hin und Her des syrischen Bürgerkriegs, in dem ausländische, von Saudi-Arabien und zahlreichen Golf-Staaten unterstützte Söldner Seite an Seite mit syrischen Oppositionellen gegen die Assad-Regierung kämpfen, fällt es bisweilen schwer, die Übersicht zu behalten. Leicht vergessen wird dabei in der Flut von Nachrichten über scheinbare, mutmaßliche oder tatsächliche Massaker und wechselseitige Territorialgewinne gerne eine zweite Dimension. Zahlreiche ausländische Mächte versuchen durch den Konflikt ihre eigenen nationalen Interessen voranzutreiben.

Unverblümt spricht der Nahostexperte Peter Scholl-Latour in diesem Kontext von einem „Kesseltreiben“ gegen Syrien. „Die Lage in Syrien selbst wäre nicht so explosiv“, so Scholl-Latour gegenüber dem Deutschlandfunk, wenn nicht von „außen heraus Unterstützung, Geld und vor allem auch Waffen hineingetragen“ würden.

Zur Erklärung der gegenwärtig eher verworrenen Situation in der Arabischen Republik Syrien ist das geopolitische Interessengeflecht entscheidend. Die JUNGE FREIHEIT stellt hier die wichtigsten Akteure und ihre jeweiligen Zielsetzungen vor.

 

Frontstaat Syrien

Nicht nur von Freunden umgeben

EU

Besonders Frankreich tut sich innerhalb der EU mit Kriegsdrohungen gegen Damaskus hervor. Paris unterstützt die Rebellen und drängte wiederholt auf eine Militärintervention. Vorbei die Zeiten, in denen sich Frankreich als Schutzmacht der Christen in der Levante verstand, deren Überleben nun am Verbleib Assads hängt. Der neue Präsident Hollande scheint dabei den interventionistischen Kurs seines Amtsvorgängers fortzusetzen. Deutschland ist hingegen darauf bedacht, eine ähnliche Peinlichkeit wie beim Libyen-Einsatz zu vermeiden, als sich das Land im Sicherheitsrat der Stimme enthielt. Hinter den Kulissen hat Außenminister Westerwelle es geschafft, den Kriegsdrohungen des säbelrasselnden Sozialisten im Élysée-Palast die Schärfe zu nehmen. Sanktionen, besonders das Aussetzen syrischer Ölimporte, haben Assad getroffen, sind aber in einem Kampf um Leben und Tod letzten Endes wenig effektiv.

 

Türkei

„Friede zu Hause, Friede in der Welt.“ Längst hat sich die Türkei von dem einstigen außenpolitischen Credo Atatürks verabschiedet. Ministerpräsident Erdoğan strebt eine türkische Vormachtstellung im Nahen Osten an. Die Voraussetzung dafür ist eine Schwächung Irans und eine gefügige Regierung in Damaskus. Die Rebellen unterstützt die Türkei daher logistisch und militärisch. Der Abbruch diplomatischer Beziehungen zu Israel und antiisraelische Ausfälle Erdoğans markieren diese neue Politik, die bei den Arabern Hoffnungen weckt. Parallel dazu vollzieht sich die Abwendung von Europa. Die Annäherung an die EU ist längst durch eine neoosmanische Umarmungspolitik ersetzt worden. Ein neuer Naher Osten werde gerade geboren, sagte Ankaras Außenminister Ahmed Davutoğlu unlängst vor dem türkischen Parlament: „Wir werden die Eigentümer, Pioniere und Diener dieses neuen Nahen Ostens sein.“

 

Rußland

Kein zweites Libyen! 2011 hatte Rußlands Enthaltung im Sicherheitsrat die Schaffung einer Flugverbotszone in dem nordafrikanischen Land ermöglicht. Statt zum Schutz der Bevölkerung wurde diese von der Nato dann jedoch zum offensiven Regimeumsturz ausgenutzt. Ähnliches möchte Rußland im Syrienkonflikt vermeiden. Strategische Interessen Rußlands spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Viel zu bieten hat Syrien Moskau nicht. Einem von den Amerikanern vorangetriebenen Sturz einer befreundeten Regierung muß Rußland sich jedoch schon aus Prinzip entgegenstellen. Daß Moskau bereits die Zeit nach Assad vorbereitet, kündigt sich unterdessen an: Ende vergangenen Jahres äußerte das russische Außenministeriums erstmals Zweifel, daß ein Sieg der Rebellen noch abzuwenden sei. Auch gegenüber den USA deutet sich eine gemeinsame Linie an mit dem Ziel, den Bürgerkrieg rasch zu beenden.

 

Iran

Unmittelbar nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 schien am Iran als neuer regionaler Vormacht im Nahen Osten kein Vorbeikommen. Eine schiitische „Achse des Widerstands“ vom Iran über den Irak und Syrien sollte durch die radikalislamische libanesische Hisbollah bis zum Mittelmeer gespannt werden. Heute zeigt sich die Hisbollah zusehends weniger bereit, iranische Interessen in der Region durchzusetzen. Auch im Irak schwindet der Einfluß. Ein Sturz Assads und eine mögliche Machtübernahme sunnitischer Kräfte in Syrien wären für die Islamische Republik daher aus zwei Gründen verheerend: Einerseits bräche der Brückenpfeiler zwischen Iran und Libanon weg, was den Transfer von Waffen zur Hisbollah gefährden würde. Und zweitens wäre ein sunnitisches, eng an Irans Erzfeind Saudi-Arabien orientiertes Syrien eine enorme geostrategische Schwächung für das schiitische Land.

 

Arabische Liga

Bereits 2011 setzte die Arabische Liga Syriens Mitgliedschaft aus. Nun folgte die Ankündigung, den Sitz dem syrischen Nationalrat zu geben. Die Opposition wird somit als legitime Vertreterin des syrischen Volkes anerkannt. Die Entscheidung spiegelt die Kräfteverhältnisse in der Organisation wider. Nur drei Staaten unterstützen dort die Assad-Regierung oder verhalten sich neutral: Libanon, der Irak und Algerien. Saudi-Arabien und die Golfstaaten sind daran interessiert, Irans Einfluß in der Region zurückzudrängen. Ägyptens Selbstverständnis als Vorreiter der arabischen Revolutionen läßt eine auf Ausgleich bedachte Politik nicht zu. Die alte Formel „Die Araber haben sich geeinigt, sich nicht zu einigen“ gilt in bezug auf Syrien nicht mehr. Die Arabische Liga spielt dabei mit dem Feuer: Ausländische Interventionen lassen sich mit einer einheitlichen Position der Araber leicht legitimieren.

 

Israel

Massenvernichtungswaffen, die aus dem zerfallenden Syrien in die Hände der Hisbollah gelangen könnten, sind derzeit Israels größte Sorge. Im Januar flog Israel deshalb einen Luftangriff auf syrisches Territorium. Unterdessen stehen die Rebellen nur noch wenige Kilometer von der israelischen Grenze entfernt. Vereinzelt verirren sich Granaten nach Israel. Über Jahrzehnte hatte Israel in der Assad-Regierung einen berechenbaren, schwachen Gegner, der es verstand, gegen den Judenstaat zu bellen, ohne jemals zu beißen. Offiziell verurteilt Israel Massaker Assads und verhält sich ansonsten neutral. Nach dem Coup der Moslembrüder in Ägypten und einer zur Kontrollmacht im Libanon aufgestiegenen Hisbollah hofft Israel in Syrien auf eine baldige Stabilisierung. Besonders fürchtet man in Jerusalem ein Überspringen des Konflikts auf Jordanien und den Libanon, wo sich Tausende syrische Flüchtlinge aufhalten.

 

USA

Der Iran soll durch den Verlust seines Verbündeten Syrien einen schweren Schlag erhalten. Drohungen der Amerikaner gegen Syrien enthalten somit immer auch eine Botschaft an Teheran. Nicht ausgeschlossen ist dabei, daß die derzeitige Syrien-Politik der USA einen sich in die Enge getrieben sehenden Iran erst recht zum Bau einer Atombombe veranlaßt. Gleichzeitig setzen die Amerikaner alles daran, al-Qaida davon abzuhalten, Basen in Syrien zu errichten. Radikale Moslemterroristen kämpfen in Syrien mit saudischer Unterstützung teilweise Seite an Seite mit den Rebellen. Die Strategie, Assad zu beseitigen und al-Qaida aus dem Spiel zu nehmen, könnte sich noch als Drahtseilakt erweisen. Gleichzeitig ist dies auch der Grund, warum die USA sich zwar für weitere Sanktionen gegen das Land stark gemacht haben, es aber bisher abgelehnt haben, Waffen an die Rebellen zu liefern.

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