© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Pankraz,
der Diebstahl und das geistige Eigentum

Eigentümer rangieren zur Zeit ganz unten auf der öffentlichen Beliebtheits-Skala, zumindest Privateigentümer. Sie gelten entweder als geborene Ausbeuter oder als gerissene Betrüger, Abzocker, ganz gewöhnliche Diebe, die – statt auf irgendwelche Kommandohöhen der Wirtschaft – ins Gefängnis gehören. „Eigentum ist Diebstahl“: die alte Anarchistenparole der Brissot und Proudhon ist in den heutigen Medien zur gängigen Verständigungsmünze geworden.

Pankraz fühlt sich manchmal schon direkt an die Zustände in der verflossenen DDR erinnert. Nachdem dort sämtliche Fabrikbesitzer und „Junker“ enteignet worden waren, ging es mit der Hetze auf das Eigentum erst richtig los. Es genügte den Machthabern nicht, sich den Besitz der Millionen Flüchtlinge entschädigungslos unter den Nagel zu reißen; auch wer blieb und es zu etwas brachte, geriet unweigerlich ins Visier der SED. Ob Handwerksmeister, Boutiquen-Betreiber, Gärtner oder Kunstsammler – sobald sie etwas Erfolg hatten, standen sie sofort mit einem Bein im Gefängnis und ihr Eigentum auf der Sequesterliste.

Aber Eigentum ist Menschenrecht! Es erscheint jedenfalls ganz oben im Text jeglicher historischer Menschenrechtsdeklaration, sei es nun die Virginia Declaration of Rights von 1776, sei es die Erklärung der Menschenrechte der Uno von 1948. Das „Recht auf Eigentum“ rangiert dort faktisch gleichberechtigt neben dem „Recht auf Freiheit“ und weit vor dem „Recht auf Sicherheit der Person“. Die klassischen Nachdenker über Menschenrechte, von John Locke bis Immanuel Kant, gingen sämtlich wie selbstverständlich von einem fundamentalen Recht auf Eigentum aus.

Wie denn auch anders? Die Juristen, die Rechtsgelehrten, mögen sich über die angemessene „Rechtsform“ des Eigentums streiten, ob es also eine bloße „natürliche Sache“ oder doch eine echte „juristische Person“ sei. ob der Eigentümer also wirkliche Verfügungsgewalt darüber hat oder ob und inwiefern es der Beschränkung des Eigentümerbeliebens durch Gesetze bedürfe – klar ist auf jeden Fall, daß jedes Individuum ein unveräußerliches Recht auf Eigentum hat und daß dieses besonderen Schutzes bedarf. Eigentum gehört zum „je Eigenen“ (Kant), es unterscheidet uns von den anderen.

Und was für das „äußere“, das sogenannte Sacheigentum gilt, das gilt selbstverständlich auch für das „innere“, das sogenannte geistige Eigentum, über das jetzt auf der Leipziger Buchmesse so viel diskutiert wird. Viele Autoren beklagen sich über den ungenierten Diebstahl, welcher neuerdings via Internet und Netzgemeinde an ihrem geistigen Eigentum stattfinde. Einflußreiche Netzaktvisten wie etwa Eben Moglen erwidern darauf, nicht sie, sondern der Autor sei der eigentliche Dieb. Es gebe ja, wie gerade das Internet tagtäglich beweise, lediglich kollektive Kreativität, die der Autor für sich abzapfe. Und jetzt werde er eben seinerseits abgezapft.

Autoren und Verleger wehren sich vehement gegen diese Umdeutung und haben auch schon gesetzliche Ausweitungen des geltenden Urheberrechts gegen Internet-Piraterie erreicht, die nun netzwerkliche „Shitstorms“ auf sich ziehen. Die Lage ist heikel und unappetitlich, und sie wird noch deprimierender durch die Plagiat-Hysterie, die gleichzeitig den Kulturbetrieb durchtobt.

Da wird einerseits postuliert, daß es gar kein individuelles Sprachschöpfertum gebe und sich deshalb jeder Internetnutzer beliebig aus vorhandenen Texten bedienen dürfe, ohne den wahren Autor zu nennen und ohne auch nur einen einzigen Cent dafür zu bezahlen. Andererseits rechnet man öffentlichen Personen per Suchmaschine jeden einzelnen Satz in ihrer Doktorarbeit vor, der nicht von ihnen selbst stammt und dennoch nicht von Gänsefüßchen begleitet ist, und verdirbt damit der betreffenden Person die bürgerliche Reputation und eventuell ihre politische Einsatzfähigkeit. Schöne neue Welt!

Differenzierung ist die einzige Therapie dagegen. Allgemein hat weiter zu gelten: Nicht die Autoren und ihre Verleger sind die Diebe, sondern diejenigen, die sie (ob im Internet oder sonstwo) beklauen, ihnen nichts bezahlen, ja sie nicht einmal beim Namen nennen. Ansonsten sollte man sich klarmachen, daß gerade im Spiel zwischen Buchbranche und Netzwelt fast jede einzelne Auseinandersetzung ihre Besonderheiten hat. Das Gesetz deckt nicht alles gleichmäßig ab. Diebstahl ist nicht immer gleich Diebstahl. Wozu gäbe es denn sonst Advokaten?

Es handelt sich, beispielsweise auf der Autorenseite, ja durchaus nicht immer um die Autoren selbst. Es gibt – außer den Verlegern – Erben und Erbverwalter. Rechteverwerter und Lobbyisten für geistiges Eigentum, Lizenzträger, Patentinhaber. Und beileibe nicht jeder Autor ist mit dem anderen vergleichbar. Es gibt unter ihnen wissenschaftliche Experimentatoren und in sich versponnene Lyriker, solche, denen es nur um das „Was“ geht, und andere, denen allein das „Wie“ wichtig ist. Aber sie alle haben ein Recht auf Eigentum, und beileibe nicht immer kann dieses mit Geld aufgewogen werden.

Lange Zeit mußten die Dichter und Sprachmeister des Abendlands ganz ohne kodifiziertes Urheberrecht auskommen, hatten nicht die geringste Möglichkeit, ihr inneres Eigentum per Gesetz zu Geld zu machen, waren – wenn sie nicht selbst über äußeres Eigentum verfügten – völlig abhängig von freiwilligen Mäzenen, Imperatoren oder mächtigen Senatoren. Und wir wissen, daß sie sehr darunter litten. Das galt selbst für das alte Rom, das an sich bereits damals äußerst gründlich justifiziert war.

Dort im alten, augustäischen Rom klagte der berühmte Dichter Martial in grimmigen, glücklicherweise überlieferten Epigrammen darüber, daß er dauernd bestohlen werde. Er verglich seine Verse mit freigelassenen Sklaven, also mit Menschen, und einen der damaligen literarischen Netzwerker namens Fidentinus, der ihn, Martial, frech abgekupfert hatte, bezeichnete er folgerichtig als einen hinterhältigen Menschenräuber (lat. „plagiarius“).

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