© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Die Wunde brennt weiter
Der irrt im Letzten: Philipp Stölzls „Parsifal“-Inszenierung in Berlin
Sebastian Hennig

In der damals vor den Toren Berlins gelegenen und noch eigenständigen Stadt Charlottenburg eröffnete 1912 ein „Deutsches Opernhaus“, wo bald nach der Freigabe der Aufführungsrechte außerhalb Bayreuths auch „Parsifal“ von Richard Wagner gegeben wurde. Im vergangenen Jubiläumsjahr nun inszenierte Filmregisseur Philipp Stölzl mit „Parsifal“ großes Opernkino.

Ob er Partituren so gut zu lesen versteht wie Drehbücher, muß angezweifelt werden. Doch ereignet sich gerade im Parsifal das meiste Geschehen in der Musik und wird von Handlung nur gerahmt und bestätigt. Der von Stölzl entfaltete finstere Bilderprunk nimmt zunächst für seine Fassung ein. Wegen der Gewissenhaftigkeit, mit der er im ersten Akt auf Nebenbühnen das Verständnis der retrospektiven Erzählung von Gurnemanz durch darstellerische Pantomime unterstützt, verzeiht man gern das Sakrileg, die Ouvertüre schon mit einem großen Tableau vivant im Stil Rembrandts zu begleiten.

Zu sehen ist der Erlöser, gefangen in Todesbanden, Maria bricht zusammen, Longinus sticht ihm in die Seite, Josef von Arimathia fängt das Blut im Kelch. Der Leichnam wird abgenommen. Kundry mokiert sich abseits, während die erste Gemeinde Lanze und Kelch empfängt. In Breitwand gibt Stölzl jenes Drama voll Blut und Wunden, mit dem die Kirche die Gestalt des vergotteten Menschen Jesus einhüllt.

Aber Stölzl weiß dabei zu keiner Zeit, was er tut. Das ist zu Beginn bereits erahnbar, bestätigt sich im letzten Akt aufs grausamste, und er hat es zudem selbst nicht verleugnet, als er vorab von „verdrehtem Wagner-Privat-Christentum“ sprach.

Auf die Besucher wirkt die cineastische Illusion zunächst einmal disziplinierend, wie weiland der Rohrstock auf die Schulbuben. Mucksmäuschenstillen reiht sich Kopf an Kopf, fast atemlos lauschten und spähten alle. Der Hustenreiz wurde unterdrückt.

Bei soviel Illusion ist es nicht der schlechteste Einfall, mit einer Reihe Leuchtstoffröhren einen artifiziellen Abstand zur Bühne herzustellen. Ebenfalls nicht ganz verkehrt erscheinen die Ritter der ersten Gralsszene als schmutzige Kämpen und reichlich erlösungsbedürftige Geißelbrüder. Parsifal im Straßenanzug, Klingsor als ein abgedrehter Sarastro, der vor einer Art Nimrod-Palast Menschenopfer zelebriert, die Ritter mit Kreuz und Rüstung, wacker und wankend, Kundry biegsam, zutunlich und sich entwindend zugleich, das ist alles einigermaßen sinngemäß.

Leider hat der Gurnemanz (Albert Pesendorfer) nicht den festen Stand, den eine Stimme braucht, um so eindringlich und anhaltend ein ganzes Drama in sich zu personifizieren. Auch die Spotlights auf den stumm erklärenden Nebenszenen vermögen nicht hinreichenden Kontrast in seine gleichförmige Deklamation zu bringen. In dieser Person strömt alles an. Als beteiligter Zeuge des Gestern, Heute und Morgen führt er Publikum und Handlung in einer Person zusammen.

Evelyn Herlitzius ist als Sängerin wie als Darstellerin geboren für die dunklen, dämonischen Seiten der Kundry. Nach anderen Aspekten befragt die Regie diese geheimnisvollste Gestalt aus Wagners Werk nicht.

Stölzl betrügt zuletzt mit einer strahlenden Hülle um den wahren Kern des Werkes. Wie Wagner der Kirche die automatisch-ungewisse, machtgierige Verwaltung eines Wissenskerns vorwarf, dem keine Heilsgewißheit mehr entspricht, das kommt bis zum Beginn des Schlußakts noch gut zum Ausdruck. Die Gralsritterschaft besteht aus abgerissenen Nachkriegsexistenzen, deren zunehmender Abfall vom selbstbehaupteten Heil inzwischen lebensbedrohlich zu klaffen begonnen hat. Unter der Ruine der Gralsburg hat sich die Felslandschaft des ersten Akts ohne ästhetischen Bruch in die Trümmerwüste (Nachkriegsdeutschlands?) verwandelt. Kundry wird aus einem Kellerloch ans trübe Tageslicht gezerrt.

Zum Finale gehen dann gesungene Handlung und Darstellung mit einem Mal völlig getrennte Wege. Es war zu erleben, was bei Wagner-Darbietungen oft geschieht: Die Sänger wurden immer besser, die Inszenierung immer schlechter. Statt stiller Versöhnung und Erlösung von Parsifal und Kundry wird sie einer Zwangstaufe unterworfen. Wozu aber die differenzierte Vor- und Nebengeschichte veranschaulichen, wenn gegen Ende alles ins Ungefähre auseinanderläuft? Eine boshafte Blasphemie kann den Sinn des Werks nicht mehr verdecken als diese halbgare Annäherung.

Bevor der Siedepunkt erreicht wird, zerstreut eine konfuse (ängstliche?) Hand die Glut unterm Kessel. Und so gilt für die Berliner Parsifaliade von Stölzl das Stefan-George-Wort: „wer ein richtiges sagt und irrt im letzten steckt im stärksten wahn“. Stölzl will nur spielen, sein Parsifal beißt nicht, er kläfft nur. Unerlöst brennt die Wunde weiter.

Die nächsten „Parsifal“-Vorstellungen in der Deutschen Oper Berlin, Bismarckstraße 35, finden statt am 29. März und 1. April jeweils um 16 Uhr. Kartentelefon: 030 / 3 43 84 343

www.deutscheoperberlin.de

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