© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Die Übermacht des Kosmischen
Indiviuum und Welt im Widerspruch: Vor zweihundert Jahren wurde der Dramatiker und Lyriker Friedrich Hebbel geboren
Ulrich Hampe

In Wien hätten sich die Herren Dramatiker Franz Grillparzer und Friedrich Hebbel täglich im Caféhaus begegnen können. Aber Grillparzer ging seinem jungen Kollegen demonstrativ aus dem Weg. Auf die Frage, warum er nicht mit Hebbel bekannt werden wolle, soll er geantwortet haben: „Ich trau’ mich nicht, er könnt mich fragen, wozu Gott die Welt erschaffen hat und das weiß ich nicht. Er aber weiß es.“

Treffender als mit dieser Anekdote sind der Mann und der Dichter Hebbel nicht zu charakterisieren. Zumindest scheinen die wenigen Worte Grillparzers den Ertrag einer seit über hundert Jahren emsig produzierenden Hebbel-Forschung vorwegzunehmen, die den schroffen, von ärmlicher Kindheit geprägten Norddeutschen als Eingeweihten in die Geheimnisse der Schöpfung präsentiert hat. Als schwarzseherische Spaßbremse setzte sich der grüblerische, philosophisch ambitionierte Hebbel auch selbst früh in Szene und kehrte den moralischen Rigorismus, die sittliche Strenge, den steilen metaphysischen Anspruch seiner Kunst heraus.

Sein entbehrungsreiches Leben, das am 18. März 1813 in Wesselburen in Dithmarschen begann und am 13. Dezember 1863 in Wien endete, wirkt wie eine paßgenaue Entsprechung zum Lebensgefühl des weltanschaulichen Pessimismus der Biedermeierzeit, das den Nihilismus und die Untergangsstimmung der „europäischen Kulturkrise“ (Benno von Wiese) des ausgehenden 19. Jahrhunderts vorwegnahm.

Das Weltbild des „Pantragisten“ Hebbel ist so einfach wie trostlos. Individuum und Welt befinden sich in einem unaufhebbaren Widerspruch. Die herkömmlichen Sinnangebote der christlichen Religion, der Vernunftreligion der Aufklärung mit ihren Hoffnungen auf sittliche Besserung der Menschheit, weist er daher zurück.

Entsprechend skeptisch reagierte der im Sturmjahr 1848 journalistisch und politisch immerhin kurzzeitig recht rührige Literat, der sich 1846 in den goldenen Käfig einer Ehe mit der Burgschauspielerin Christine Enghaus begeben hatte, auf demokratische und liberale Projekte zum Umbau der Feudalgesellschaft. Zwar begrüßte er die Ablösung des Absolutismus durch die konstitutionelle Monarchie, aber weitere Nachgiebigkeit gegenüber der „wahnsinnigen Emanzipationssucht des Individuums“ mußte in Anarchie münden. Bestenfalls „reformerisch“ wollte der Maurersohn, den Hunger und Not bis in die Studienzeit verfolgt hatten, die „soziale Frage“ beantwortet sehen. Obwohl mit den Reportagen von Friedrich Engels über das Arbeiterelend in englischen Fabriken vertraut und zeitlebens ein Verächter der angelsächsischen Plutokratie und ihres kapitalistischen Systems der „Entmenschlichung“, blieb ihm sozialistischer Fortschrittsoptimismus fremd.

So wurde das „Übergewicht des Kosmischen“ (Friedrich Sengle) zum Markenzeichen seines Schaffens. Menschliche Miseren nehmen sich aus diesem Blickwinkel der Ewigkeit marginal aus.

Sein sich gegen das „Weltgesetz“ empörendes Dramenpersonal, vorwiegend Frauen wie die Tyrannenmörderin Judith aus seinem gleichnamigen Tragödien-erstling von 1840, die Selbstmörderinnen Klara („Maria Magdalena“, 1843), Mariamne („Herodes und Mariamne“, 1849), die Augsburger Antigone „Agnes Bernauer“ (1852), Rhodope („Gyges und sein Ring“, 1856) oder die „Eisenweiber“ seiner 1861 uraufgeführten Tragödien-Trilogie „Die Nibelungen“, erfährt daher ausnahmslos die Übermacht der „tragischen Urverhältnisse“.

Oft haben Hebbel-Exegeten daher beklagt, daß die Konstruktion einer brutalen, durch keine Macht aufzuhebenden Entzweiung von Seele und Welt in seinen Dramen, in seiner Lyrik und im Ideenmagazin seiner „Tagebücher“ keinen Raum mehr für die humane Substanz von Literatur übrig lasse. Da sei es nur konsequent, wenn seine „frauenfeindliche und völlig antihumane Geschlechter-Mythologie“ (Friedrich Sengle) mit der „Verhöhnung des Weibes“ zugleich jede Aussicht auf den historischen Prozeß der „Frauenemanzipation“ zerstöre.

Der langfristigen Wirkung auf Theaterpublikum und Leserschaft waren solche wenig erbaulichen Ansichten nicht förderlich. Carsten Scholz, der mit seiner mentalitätsgeschichtlichen Studie über den jungen Hebbel (Köln 2011) wieder frischen Wind in die ins Abseits geratene Hebbel-Philologie brachte, vermerkt daher das nicht verwunderliche Verschwinden des Dramatikers aus Universitätsseminaren und dem schulischen Lektürekanon. Das begann in den 1970ern. Bis dahin nahm man in der Mittelstufe wenigstens noch „Agnes Bernauer“ (1852) durch, die Mär von der engelsgleichen Baderstochter, die ihre Mesalliance mit dem bayerischen Thronfolger mit dem Leben bezahlt.

Zu diesem Zeitpunkt, als die Stücke des Tragikers auch die deutschen Bühnen nicht mehr reizten, türmten sich bereits die Rezeptionshindernisse. „Primitiver engagierte“ Zeitgenossen Hebbels hätten nach Einschätzung des Germanisten und Literaturhistorikers Friedrich Sengle hingegen die weltanschaulichen Bedürfnisse in der Bundesrepublik wie in der DDR nach 1968 weit besser befriedigt. Georg Büchner ließ sich „kurzerhand zum Sozialisten machen“, Nestroy und Heine zu Liberalsozialen, Grabbe zum Vorläufer des absurden Theaters. Nur bei Hebbel waren die Germanisten bald ganz unter sich. Es kam so weit, daß, woran Scholz für die Jubiläumstagungen 1988 erinnert, sogar der Dichter selbst durch „eigentümliche Abwesenheit“ glänzte.

Aber schon 1980 glaubte Friedrich Sengle, die Chancen für eine Rückkehr Hebbels stünden nicht schlecht. Denn die tragischen Möglichkeiten der Geschichte, die seine Dramen thematisieren, seien durch die soziale und industrielle Entwicklung nicht widerlegt, ihre Modernität bestehe gerade darin, „vordergründige Lösungen“ weltanschaulicher und politischer Probleme der „nachchristlichen Krise“ zu verschmähen. Das Werk eines differenzierten und auf Dauer bedachten Dichters wie Hebbel werde daher auch in kommenden Jahrhunderten eher Bestand haben als jene von „vorübergehenden Trends emporgetragene“ Literatur, die der „Weltschmerzmetaphysiker“ als „prosaischen Realismus“ abtat.

Carsten Scholz: Der junge Hebbel. Eine Mentalitätsgeschichte. Böhlau, Köln 2011, gebunden, 675 Seiten, 89,90 Euro

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