© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Verdauung kann so spannend sein!
Forschungsergebnisse populär präsentiert: „Science Slam“ ist der Publikumsrenner in Universitätsstädten
Toni Roidl

Für Nachwuchsliteraten ist ein erfolgreicher Auftritt beim „Poetry Slam“ fast noch wichtiger als die erste Veröffentlichung. Den Poetenwettbewerb, bei dem jeder Teilnehmer auf der Bühne zehn Minuten Zeit hat, um das Publikum von seinem Talent zu überzeugen, kann man wegen seiner Oberflächlichkeit und des Unterhaltungscharakters kritisieren, andererseits hat Slam-Poetry in den letzten zehn Jahren mehr junge Leute für Literatur begeistert als alle Reich-Ranickis zusammen.

Das Konzept findet seit wenigen Jahren auch in der Welt der Wissenschaft seine Fans: Der Science-Slam ist in Universitätsstädten ein Publikumsrenner. Statt Poeten sind es junge Forscher, die ihr Thema auf der Bühne in zehn Minuten so allgemeinverständlich und unterhaltsam wie möglich präsentieren müssen. Motto: Raus aus der Uni – rein in den Club!

Entstanden ist die Idee angeblich in Braunschweig, die ersten öffentlichen Events wurden in Hamburg und Münster veranstaltet. Heute gibt es in fast allen Unistädten regelmäßige Science-Slams, so in Marburg, Berlin, Freiburg und darüber hinaus. Wie bei den Literaten entscheidet das (meist gemischte) Publikum, welcher Beitrag ihm am besten gefallen hat. Als ersten Preis nimmt der Sieger das „Goldene Gehirn“ mit nach Haus. In Regionalausscheidungen werden die Kandidaten für das Deutschland-Finale ermittelt. Dabei gewinnt nur der, der ein möglichst originelles Forschungsthema so anschaulich erklärt, daß man es sofort kapiert und dabei auch noch viel zu lachen hat.

Ein Finalist des Deutschland-Slams war Christian Stern, Doktorand am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. In seinem Vortrag heilt Serienheld Chuck Norris die WDR-Maus von Krebs. Hinterher haben die Zuschauer verstanden, wie Bakterien als Helfer für einen Anti-Tumor-Effekt eingesetzt werden können. So macht Wissenschaft Spaß. Die Medizinerin Giulia Enders von der Goethe-Universität Frankfurt sorgte in Berlin dafür, daß das Publikum bei ihrem Vortrag über Darmtätigkeit und Schließmuskel vor Begeisterung tosenden Applaus spendete. Bei welcher Medizinvorlesung im Hörsaal wäre das ebenso?

Voraussetzung für die Teilnahme ist, daß die jungen Akademiker eigene Forschungsergebnisse präsentieren. Zur Unterstützung steht eine Leinwand für Projektionen zur Verfügung. Was manche Teilnehmer aus diesen Mitteln machen, zeigt, wieviel Unterhaltungspotential an den Unis schlummert. André Lampe aus Bielefeld, Doktorand im Labor für Membranbiochemie und Molekulare Zellbiologie der FU Berlin, macht aus einem kekstrockenen Vortrag über Proteine und Antikörper die rasante „Geschichte vom Hodenknackerfisch“.

Wirtschaftsmathematiker Robert Idel riß die 500 Gäste des letzten Mannheimer Science-Slams mit einer absurden Lektion über die Attraktivität von Frauen von den Hockern. „Damit zunächst jeder versteht, was eine Frau ist, wird das abstrakte Konstrukt Frau definiert“, doziert Idel, und zeichnet Formeln, Vektoren und Gitter, während die Leute Tränen lachen. Fazit seiner Berechnungen ist der Lehrsatz: Eine Frau ist dann für eine Verabredung bereit, wenn für den Grad ihrer Attraktivität (vh) und den Grad ihrer Verrücktheit (vc) gilt: vh – vc > 0. Idel: „Was das in der Realität bedeutet, ist völlig irrelevant, aber es ist mathematisch unheimlich schön.“

Die Medizinerin Christiane Licht gewann mit einem Vortrag, der mit ihrem Fachgebiet nichts zu tun hatte: „Musik und Kryptographie“. Die Studentin erfand eine musikalische Geheimschrift, bei der jedem Buchstaben und Satzzeichen eine Note zugeordnet ist. Sie analysierte selbst 40.000 Noten aus je fünf Werken von vier Komponisten. Dabei stieß sie in der Verteilung der Noten auf typische „Fingerabdrücke“ von Bach, Vivaldi, Mozart und Beethoven, so daß sie nicht nur eine codierte Botschaft auf der Klarinette spielen, sondern anhand der Notenverteilung auch noch den Komponisten eines Werkes identifizieren konnte.

Nicht nur Studenten, auch Professoren beteiligen sich am Wettstreit ums Goldene Gehirn und beweisen ihre Bühnenqualitäten. Ulrich Mußhoff von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster erläutert in bester Unterhaltermanier die interdisziplinäre Philematologie – die Kußforschung, an der Hirnforscher, Biologen, Statistiker, Ökotrophologen und Bakteriologen beteiligt sind. Mußhoff erklärt auch, warum man Wissenschaft nicht so sehr ernst nehmen sollte: Küssen ist aus Sicht der Bakteriologen extrem bedenklich.

www.scienceslam.de

Foto: Höchst anschauliche Vereinigung der Elemente: Bei der Science-Slam-Vorrunde des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Köln, 2012 Taylors Beurteilung ein Körnchen Wahrheit steckt?

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