© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Frisch gepresst

Geist und Gewalt. Auch Thomas Mann, der einer Sottise Carl Schmitts zufolge gern kundtat, was jedermann wußte, hatte entdeckt, daß aller geistigen Haltung das Politische latent sei. Diese Einsicht hat nunmehr auch den Marburger Neuhistoriker Ulrich Sieg erreicht. Er generiert daraus das Strickmuster seiner unter dem Ladenhütertitel „Geist und Gewalt“ firmierenden Philosophiegeschichte zwischen 1871 und 1945. Entgegen dem kabarettreifen Selbstlob, er werde dabei „vertraute Denkmuster und geläufige Urteile in Frage stellen“, bietet er jedoch nur Altbackenes im Stil von Fritz Sterns nach dem Wohnküchenmief der „Umerziehung“ duftenden „Kulturpessimismus als politische Gefahr“ (1963). Ansonsten unterscheidet sich Siegs Kompilation der Forschungen zur jüngeren deutschen Philosophiegeschichte von der Guttenbergschen „Kopieren und Einfügen“-Methode nur durch halbwegs redliche Quellennachweise. „Halbwegs“ – wegen der vernebelten Anleihen bei Hermann Lübbe oder Kurt Flasch für die Zeit nach 1914. Oder auch, weil auf die fulminanten, die weltanschauliche Indienstnahme der Universitätsphilosophie nach Attentaten auf Kaiser Wilhelm I. (1878) erstmals profilierenden Neukantianismus-Studien Klaus Christian Köhnkes, ohne die Siegs Kapitel „Wertphilosophie und Terrorismusfurcht“ gar nicht möglich gewesen wäre, lediglich gönnerhaft als „besonders anregend“ angeknüpft wird. (gk)

Ulrich Sieg: Geist und Gewalt. Deutsche Philosophen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. Carl Hanser Verlag, München 2013, gebunden, 315 Seiten, Abbildungen, 27,90 Euro

 

Brandt und Bahr. Sie waren beide Gewächse der Frontstadt. Als Willy Brandt 1957 Regierender Bürgermeister von West-Berlin wurde, lernte er schnell den jungen RIAS-Chefredakteur Egon Bahr kennen, der als „gelernter“ Sozialdemokrat mit nagelneuem Parteibuch noch Hemmungen hat, die Altvorderen mit „Genosse“ anzureden, erst recht, wenn sie, wie der neun Jahre ältere Brandt, auch noch Exil-Erfahrung haben. Dennoch sollte sich aus diesem Kontakt ein einzigartiges politisches Gespann entwickeln, weit über die Gestaltung der neuen SPD nach „Godesberg“ und die gemeinsame Gestaltung ihrer Ostpolitik während Brandts Kanzlerschaft hinaus. Jetzt hat der 91jährige Bahr diesem Verhältnis, gespickt mit unzähligen Anekdoten, einen kurzweiligen Erinnerungband gewidmet. (bä)

Egon Bahr: „Das mußt du erzählen.“ Erinnerungen an Willy Brandt. Propyläen Verlag, Berlin 2013, gebunden, 237 Seiten, Abbildungen, 19,99 Euro

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