© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/13 / 15. März 2013

Einige Nummern zu groß
Das Wagner-Jahr hat den Kosmos an Büchern über den Bayreuther Meister weiter vergrößert, ohne eine wirklich große Biographie hervorzubringen
Markus Brandstetter

Es wird immer wieder behauptet, daß es nur über Jesus und Shakespeare mehr Bücher gäbe als über Richard Wagner. Das ist wohl übertrieben, aber nachgeprüft hat es auch keiner. Ganz falsch mag man mit dieser Zuspitzung aber nicht sein. Zu Wagners Leben und Werk erscheinen jedes Jahr Dutzende von Büchern – mehr als über Goethe, Hitler und John Lennon zusammen. Wagner fasziniert und beunruhigt, verstört und entzückt wie eh und je. Auch im Wagner-Jahr ist bereits eine Anzahl von Büchern erschienen, die allerdings einen recht gemischten Eindruck hinterlassen.

Die gewichtigste Neuerscheinung ist die Wagner-Biographie von Martin Geck, die bereits vor Weihnachten auf dem Markt war. Geck ist nicht irgendwer. Er war Professor für Musikwissenschaft an der Uni Dortmund, Gründungsredakteur der Richard-Wagner-Gesamtausgabe und hatte 2004 eine wunderbar lesbare kleine Wagner-Monographie verfaßt. Der sollte doch der richtige Mann für das große neue Wagner-Buch sein! Könnte man meinen, ist aber nicht so, denn das, was der Verlag hier als „Biographie“ anpreist, ist keine Lebensbeschreibung, sondern ein faktenreicher Gang durch Wagners Opern.

Das wäre ja auch in Ordnung, wenn Geck zu den einzelnen Werken etwas Neues zu sagen hätte. Aber ach: Seite um Seite werden Zitate edler und großer Namen (Nietzsche, Th. Mann, Benjamin, Adorno, Foucault, Schnädelbach etc.) aneinandergereiht, um zum Beispiel im „Ring“-Kapitel dann doch wieder bei der Binsenweisheit von Carl Dahlhaus zu landen, die da lautet: „Der Mythos wurde von Wagner restauriert, um destruiert zu werden.“ All das ist auch noch ziemlich unstrukturiert, weitschweifig und durchzogen von jenem zeitgeistigen moralischen Relativismus, der tumb-fröhlich ausruft: „Ich bin okay, du bist okay!“

Obwohl für Geck alle okay sind, gibt es eine Ausnahme: Wagner! Auch dieser Autor macht den Fehler, ganz ahistorisch anzunehmen, daß Wagner gewissermaßen die Filmmusik für die NS-Zeit geschrieben habe – 80 Jahre, bevor die überhaupt anfing. Ganz besonders schlimm verhält es sich anscheinend mit dem „Lohengrin“, Hitlers Lieblingsoper, über die Geck schreibt: „In meinen Augen vermag Wagners „Lohengrin“ seine Affinität zu Nationalismus und Nationalsozialismus nur schwer zu verleugnen“, obwohl nur zehn Seiten weiter Lohengrin als „deutsches Märchen“ bezeichnet wird. Dabei versteht dieser Autor soviel von Wagners Musik wie kaum ein anderer, was die sachkundigen Erklärungen der – für den Laien wohl zu komplizierten – Notenbeispiele immer wieder zeigen. Schade! Ein bißchen weniger über den Tellerrand gucken und etwas mehr Mut zur eigenen Meinung hätten ein gutes Buch ergeben.

Den emeritierten Hamburger Politologen und Ideengeschichtler Udo Bermbach interessiert Wagner nicht als Opernkomponist, sondern als Mythos. Den Ausdruck „Mythos Wagner“ verwendet er dabei so, wie man auch vom „Mythos Marylin Monroe“ spricht, also schwammig, undefiniert und vage. Bermbachs zentrales Argument lautet: Wagner war kein Opernkomponist, sondern der Schöpfer einer gewaltigen Ideologie, die den Menschen mit den Widersprüchen des Kapitalismus im 19. Jahrhundert und dem nachlassenden christlichen Glauben versöhnen sollte. Zentrum und Symbol dieses, aus Sicht Bermbachs irrationalen, antidemokratischen und rassistischen Gedankengebäudes ist das Bayreuther Festspielhaus, wo Leben, Lehre und Schöpfung Wagners ihre Weihstätte fanden und finden.

Bermbach hegt eine herzliche Abneigung gegen Wagner und und das ganze Bayreuther Getue, begründet seine Ressentiments jedoch nie, weil er vermutlich annimmt: Der anständige Leser denkt wie ich. Den Wagner-Kult der Nationalsozialisten findet Bermbach ganz besonders widerlich, weshalb er froh ist, daß in Bayreuth nach 1947 der ganze germanische Kram mit seinen Bärenfellen, Flügelhelmen und Speeren von der Bühne gefegt wurde, die seitdem groß, leer und vermeintlich ideologiefrei vor sich hin gähnt. Bemerkenswert ist, daß Bermbach, der die unterstellte Bayreuther Deutschtümelei vehement ablehnt, selber offensichtlich nur Deutsch kann, weil er in seinen mageren Anmerkungen ausschließlich deutsche Sekundärliteratur zitiert und deshalb auf die großen fremdsprachigen Wagner-Bücher ganz verzichten muß. Von Musik versteht Bermbach rein gar nichts, also kommt sie im Buch auch nicht vor. Fazit: ein ideologisch zuverlässiger Anti-Wagner-Katechismus für die politisch korrekten Stände, die Wagner schon immer hassen und keine Noten lesen können.

Ein ganz anderes Kaliber ist da Jens Malte Fischer, Verfasser einer großen Mahler-Biographie, auch er ein ehemaliger Professor, aber einer, der von Musik, Sängern und Komponisten des 19. Jahrhunderts etwas versteht und dazu noch einen luziden und eleganten Stil schreibt, der seinesgleichen sucht. Das jetzt erschienene Buch „Richard Wagner und seine Wirkung“ versammelt neun Aufsätze, die über einen Zeitraum von zwanzig Jahren erschienen sind. Spreu und Weizen liegen dicht beieinander, aber einige Volltreffer sind dabei. Im interessantesten Beitrag geht Fischer der Frage nach, wie gut die Wagner-Aufführungen denn im Dritten Reich gewesen seien und ob die Politik einen Einfluß auf die Qualität gehabt habe, worauf er schreckensstarr zu dem Schluß kommt, daß die Aufführungen die besten auf der Welt und von der NS-Propaganda kaum beeinflußt waren. Auch Fischer kann nicht über seinen Schatten springen, weshalb auf diese erstaunliche Einsicht sofort die bekannte Adorno-Sentenz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ folgen muß.

Schließlich hätten wir da Joachim Kaisers Büchlein „Leben mit Wagner“. Es ist ein bißchen schade, daß der Doyen der deutschen Musikkritiker, der Mann, der 1951 seine erste Musikkritik über eine Wagner-Aufführung geschrieben hat, seit Jahrzehnten kein gutes Buch mehr zustande bringt, wobei man anmerken muß, daß das hier besprochene Bändchen die gekürzte Neuauflage einer 23 Jahre alten Schrift darstellt. Natürlich weiß Kaiser zu plaudern, intelligent, angenehm, kenntnisreich. Immer hat er eine Anekdote parat, ein eigenes Erlebnis, eine überraschende Einsicht.

Aber das entschädigt den Leser nicht für die vielen Pleonasmen, die Tatsache, daß Kaiser sich regelmäßig um Urteile herumdrückt, immer schön hermeneutisch-gemütlich in den angeblich ewigen Wahrheiten herumwühlt und dabei die harsche Realität vollkommen ausblendet. So fällt Kaiser auf die spannende Frage, wie Thomas Mann, ein großer Wagnerianer, den „Ring des Nibelungen“ verstanden habe, nichts anderes ein als: „mal so, mal so“ – und dabei hätte man so schön darüber reden können, daß Mann, genau wie Wagner, sein ganzes Leben lang ein erstaunliches, wenn auch rein literarisches Interesse an Geschwister-Inzest („Wälsungenblut“) und Sex zwischen Erwachsenen und Kindern („Der Tod in Venedig“) hatte.

Es ist schade, daß in Deutschland nun schon seit Jahrzehnten kein wirklich großes Wagner-Buch, keine neue Wagner-Biographie mehr erschienen ist, kein Werk, das die Analyse von Person, Musik, Zeit und Geschichte ohne die übliche Komplexbeladenheit verbinden würde.

Jens Malte Fischer: Richard Wagner und seine Wirkung. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2013, gebunden, 320 Seiten, 19,90 Euro

Udo Bermbach: Mythos Wagner. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013, gebunden, 366 Seiten, 19,95 Euro

Joachim Kaiser: Leben mit Wagner. Siedler Verlag, München 2013, gebunden, 240 Seiten, 16,99 Euro

Martin Geck: Wagner. Biographie. Siedler Verlag, München 2012, gebunden, 416 Seiten, Abbildungen, 24,99 Euro

Foto: Richard Wagner mit Signatur: Der Komponist fasziniert und beunruhigt, verstört und entzückt wie eh und je

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