© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/13 / 22. März 2013

„Kampf für linke Lebensräume“
Berlin: Straße nach getötetem Extremisten benannt
Ronald Berthold

Er wird als Märtyrer verehrt. Seit 20 Jahren erinnert die gewaltbereite linke Szene an jedem Todestag an den am 21. November 1992 bei einem Streit mit vermeintlich rechtsextremen Jugendlichen in Berlin-Friedrichshain getöteten Silvio Meier. Diese Demonstrationen gehen meist mit Straßenschlachten, im besten Falle „weitgehend friedlich“, zu Ende. Ausschreitungen, brennende Barrikaden und verletzte Polizisten sind allseits hingenommene Begleiterscheinungen des Rituals.

Diesen gewalttätigen Kult, der auch im vergangenen Herbst wieder unter dem Motto „Nazis, Staat, Verfassungsschutz – Angreifen, Zerschlagen, Auflösen!“ stand, legitimiert nun der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, indem er eine Straße nach Silvio Meier benennt. Daß dasselbe Kommunalparlament beschlossen hatte, Straßen nur noch Frauen zu widmen, stört – genau wie zuvor im Falle der Rudi-Dutschke-Straße in Kreuzberg – dabei nicht. SPD, Linke, Grüne und Piraten machen für den getöteten Hausbesetzer eine Ausnahme. Es spielt auch keine Rolle, daß Meier zur militanten linksextremen Szene gehörte und daß er die Auseinandersetzung, in deren Verlauf er starb, selbst initiiert hatte. Der damals 27 Jahre alte Aktivist hatte auf dem U-Bahnhof Samariterstraße mit anderen selbst- ernannten Antifaschisten eine Gruppe von Jugendlichen angepöbelt und angerempelt, weil sie diese für „Nazis“ hielten. Einem 17jährigen riß Meier einen Deutschland-Aufnäher von der Jacke. Kurz darauf kam es in dem U-Bahnhof zur Messerstecherei, der Meier zum Opfer fiel.

Die Richter verurteilten den Täter, der politisch nirgendwo organisiert war, nach Jugendstrafrecht zu viereinhalb Jahren Haft wegen Totschlags. Sie stellten in ihrer Urteilsbegründung aber auch fest, daß der Tod „nicht schicksalhaft“ über Meier gekommen sei. Der Vorfall sei vielmehr vom späteren Opfer „mit ausgelöst“ worden. Er habe dem Täter nicht nur den „Deutschland-Sticker“ abgerissen, sondern den vor ihm Flüchtenden zuvor auch noch gegen eine Wand gestoßen. Die späteren Täter waren laut Urteil keine „Nazis“, sondern „Fußball-Hooligans“. Einen politischen Hintergrund der Tat erkannte das Gericht – wie zuvor schon Polizei und Staatsanwaltschaft – ebenfalls nicht.

Doch diese Wirklichkeit wird heute massiv verfälscht. Seit Jahren erinnert bereits eine Gedenktafel auf dem U-Bahnhof Samariterstraße an den Tod des Hausbesetzers. Auf der metallenen mit einem fünfzackigen Stern versehenen Platte heißt es: „Kein Vergeben! Kein Vergessen! Hier wurde Silvio Meier am 21. November von Faschisten ermordet“. Abgesehen davon, daß die Gedenktafel unverblümt zur Rache auffordert, stimmt von den Fakten nur das Datum seines Todes. Die Lebensleistung, mit der gemeinhin Straßenumbenennungen begründet werden, besteht im Falle Silvio Meiers offenbar ausschließlich in der Legende um seinen tragischen Tod und eventuell noch im „Kampf für linke Lebensräume“ und im „aktiven Eingreifen gegen Nazis“, wie die Initiatoren der Straßenumbenennung anführen.

Für Meier muß nun Franz Xaver Gabelsberger weichen. Der Mann erfand Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die deutsche Kurzschrift. Sie entwickelte sich zur Basis der heutigen Stenographie – nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch in Ost- und Nordeuropa.

Doch es gibt niemanden, der an Gabelsberger als Namenspatron festhalten möchte. Sein Pech besteht nicht einmal darin, daß spitzfindige Antifaschisten einen Malus in seiner Biographie oder in seinen Äußerungen gefunden hätten. Der Steno-Erfinder verliert seine Ehrung nur deshalb, weil der U-Bahnhof, auf dem Meier zu Tode kam, an der bisher nach ihm benannten Straße liegt. Eine Auseinandersetzung über Pro und Kontra des Straßennamens findet weder im politischen Berlin statt noch in den regionalen Medien. Allein die von der Antifa in die Welt gesetzte Geschichte um seinen Märtyrertod hat Eingang in alle Berichte über die Straßenumbenennung gefunden. Für die wahren Hintergründe oder gar für Zweifel an der Berechtigung des Verwaltungsaktes findet sich kein Raum.

Nicht einmal die CDU, die in der Bezirksverordnetenversammlung als einzige Fraktion gegen die Umbenennung stimmte, bringt für ihre Haltung Argumente in die Öffentlichkeit. Auf der sehr ausführlichen Internetseite des Kreisverbandes Friedrichshain-Kreuzberg gibt es keinen einzigen Beitrag zum neuen Straßennamen, zu Silvio Meiers Tod und dessen Hintergründen. Eine sachliche Auseinandersetzung, die hier aus bürgerlicher Sicht angebracht wäre, scheut die Union. Vielleicht herrscht bei ihr die blanke Angst vor den möglichen Folgen eines Widerspruchs vor.

Einzig ein Geschäftsmann aus der Gabelsberger Straße klagte gegen die Umbenennung. Und das mit unangenehmen Folgen. Noch bevor es zu einem Gerichtsentscheid kam, zog der Anwohner seine Klage unter massivem Druck der Antifa zurück. Seine Beschwerde empfinde er inzwischen als „geschäftsschädigend“ hieß es zur Begründung lediglich in den Berliner Zeitungen, die vor allem bejubelten, daß die letzte Hürde für die Umbenennung nun aus dem Weg geräumt sei. Die ganze Wahrheit ist, daß der Mann – seit er den Rechtsweg eingeschlagen hat – bedroht wird und von der Polizei beschützt werden muß. Sein Laden ist zur beliebten Zielscheibe der selbsternannten Erben Silvio Meiers geworden.

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