© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Kanzler ohne Mehrheit
Marcus Schmidt

Was soll SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auch anderes sagen? „Es wird mit der SPD keine Regierung auf Bundesebene geben, die in irgendeiner Weise von der Linkspartei abhängig ist!“ sagte er Anfang der Woche der Bild-Zeitung auf die Frage, ob er nach der Bundestagswahl im September eine von der Linkspartei tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung ausschließe.

Die SPD fürchtet angesichts der aktuellen Umfragen nichts mehr, als im beginnenden Wahlkampf in eine Diskussion über eine Minderheitsregierung nach der Bundestagswahl im September verwickelt zu werden. In Berlin wird allerdings genau darüber bereits seit Wochen spekuliert.

Zwar sehen die Meinungsforscher die FDP derzeit mehrheitlich wieder über der Fünfprozenthürde, doch für eine schwarz-gelbe Mehrheit würde es im neuen Bundestag derzeit nicht reichen. Den Strategen von Union und FDP bleibt als Trost einzig die Erkenntnis, daß SPD und Grüne von einer Mehrheit noch weiter entfernt sind als Union und FDP; und eine Koalition mit der Linkspartei, so haben SPD und Grüne ja oft genug versichert, stehe nicht zur Debatte. Dennoch könnte der SPD-Spitzenkandidat am Ende mit den Stimmen der Linken zum Kanzler gewählt werden – ganz ohne Koalitionsvertrag. Dabei wird immer wieder auf das Beispiel Nordrhein-Westfalen verwiesen, wo Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) von 2010 bis 2012 zusammen mit den Grünen mit Duldung der Linkspartei regiert hatte. „Koalition der Einladung“, hieß das inoffizielle Bündnis damals.

Warum nicht auch in Berlin? Sollte es nach der Wahl rechnerisch zu einer Mehrheit von SPD, Grünen und Linkspartei reichen, wäre die Verlockung für die Verantwortlichen groß, von dieser auch Gebrauch zu machen. Und hat der Bundestag erst einmal einen neuen Kanzler gewählt, sind vollendete Tatsachen geschaffen. Merkel wäre damit aus dem Amt gedrängt – vermutlich endgültig. Die Union wäre damit quasi politisch enthauptet und müßte mit ansehen, wie sich der neue Kanzler im Bundeskanzleramt einrichtet. Denn wieder aus dem Amt könnte er nur gekippt werden, wenn der Bundestag über ein konstruktives Mißtrauensvotum einen neuen Kanzler wählt – und es wäre höchst unwahrscheinlich, daß Union und FDP eine entsprechende Mehrheit organisieren könnten. Andererseits könnte ein SPD-Kanzler in aller Ruhe versuchen, eine neue Koalition zu schmieden.

Daß die Spekulationen, die die SPD mit aller Macht unter der Decke halten will, ihre Berechtigung haben, zeigt ein Blick in den Bundesrat. Am Freitag vergangener Woche beschloß die Ländervertretung, Gesetzentwürfe zur Öffnung der Ehe für Homosexuelle sowie zur Aufhebung des von Schwarz-Gelb beschlossenen Betreuungsgeldes in den Bundestag einzubringen. Möglich war dieser seltene Vorstoß des Bundesrates nur, weil auch das rot-rot regierte Brandenburg mit den von SPD und Grünen gestellten Ländervertretern stimmte. Hier funktioniert die Zusammenarbeit mit der Linkspartei also schon ganz gut.

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