© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Störungen im Paradies
Gipfel der Seinsvergessenheit: Der preisgekrönte Dokumentarfilm „Peak“ über den Massentourismus und Landschaftswandel in den Tiroler Alpen
Sebastian Hennig

Der Dokumentarfilmer Hannes Lang dreht einen Kulturfilm über seine Heimat. Und das wird ein Film über Kulturschwund im wahrsten Sinne des Wortes. Des Menschen Natur ist Kultur. Er ist der Hüter und Pfleger, Protektor und Kultivierer der Erde. Dadurch wird er menschlich.Lang zeigt in unkommentierten Bildern die Ablösung des behüteten Wachstums durch den Auswuchs (Baudrillard). Die Menschen bestellen nicht mehr die Erde, sie weiden sie ab.

In diesem stillen und traurigen Film werden paritätisch die wie ein gestrandeter Wal an der eigenen Masse erstickende Tourismus-Industrie und das in Würde verlöschende Bergbauerntum ins Bild gesetzt. Dazwischen befinden sich die vermeintlich heimattreuen Brunnenvergifter, die Honoratioren. Das Dilemma eines reflektierten Konservativismus kommt nirgends so gut zum Ausdruck wie in Tirol.

Zwischen unsäglich häßlichen Blumengestecken auf dem totsanierten Marktplatz repetiert der Pfarrer in dürren Worten die Tatsache, daß dem Menschen die Schöpfung anvertraut wurde. Und segnet dann die Waffen eines Autogenozids: „Segne die Seilbahnen, führe die Menschen zu uns, daß sie die Schönheit der Schöpfung erkennen und nutzen können.“ Die Söldener Schützen feuern. Ihre Kapelle spielt herzzerreißend „Zu Mantua in Banden ...“ Derweil liegt ihr ganzes Land in Fesseln, die weit schmerzlicher einschneiden, als jene Andreas Hofers, der seine Würde behielt als er 1810 einen heroischen Tod starb.

Auf 2.800 Metern Höhe steht eine Schneefabrik israelischer Fabrikation. Die Teile wurden mit Schiffen über die Adria gebracht. Die Technologie stammt aus der Gold- und Diamantenschürfung, wo Schnee als Abprodukt anfällt. Die Welt ist in die Hände der Menschen gefallen.

An anderer Stelle sieht man, wie mit Traktoren eine riesige Abdeckung vom Gletscher gezogen wird. Dieses Leichentuch soll die Sonne an der Auszehrung des Skigebietes hindern. Ein drei Hektar großer Speicherteich wird in das Gebirge gesprengt, Hubschrauber lösen Lawinen aus. Die ehemaligen Stallknechte und Hütebuben sind schwerfällig geworden, tragen aggressive Sonnenbrillen und klagen über alles das, was ihre Großväter freudig an die Arbeit gehen ließ: Wärme, Sonne, grüne Matten. Sie behaupten, ohne Fremdenverkehr gäbe es nichts drunten im Tal.

Dann sehen wir einen Mann, hartnäckig aber ohne jede Eile, neben einer Steinlesemauer mit einer kurzen Schaufel im felsigen Boden graben. Er lebt mit seiner über achtzigjährigen Mutter als einziger ständig im Bergdorf. Er bedauert, daß der Schnee so lange liegenblieb und er jetzt erst die Kartoffeln legen kann. Die Krise, so hofft er, werde die Jungen wieder in die Heimat zurückführen.

Vor zehn Jahren hätte das Kino wohl unisono gefeixt bei seiner Bemerkung: „Also, wenn die noch was Wahrhaftiges essen wollen, sollten sie mit dem Anpflanzen beginnen.“ Das klingt heute schon anders in den Ohren. Der Tourismus-Lakai aus dem Ort, der im frühesten Morgensonnenschein die abgetauten Ränder der Piste nach verlorenen Münzen und Schmuck absucht, könnte wohl bald wieder Reisig sammeln und nach Wurzeln graben. Helfen werden ihm im Après-Ski-Zeitalter nicht Handbücher für das Überleben im Weltbürgerkrieg, sondern allein das Wissen der dagebliebenen Kulturmenschen. Wenn man diese ohne Hast ackern und wirtschaften sieht, versteht man nur zu gut, warum Ezra Pound seine Tochter in Tirol in Pflege gab. Das Bäuerlein betrachtet seine Lage mit Selbstironie und ohne Feindseligkeit. Nach alter Bauernsitte ist es gut rasiert und setzt den Hut nur zur Nachtruhe ab. Eine Figur wie auf den Gemälden von Adriaen Brouwer. In den anderen Weilern sind die Wiesen schon zugewachsen.

Wie die Landungsschnellboote der US-Marine an einer Pazifikinsel, so rasseln vier Kabinen durch eine Landschaft in überirdischer Beleuchtung heran, alle zugleich sich öffnend und ein martialisches Gesindel ergießend, das sich sogleich wieder in die Tiefe stürzt. Mit einem Sack auf dem Rücken folgt die Kamera minutenlang dem Landmann beim Gang auf abgelegenen Pfaden hinunter ins Dorf. Dort erhält seine Mutter das Schlußwort. Ohne Bitterkeit stellt sie fest: „Die Liebe gibt es nicht mehr und das Leid ist auch fast verschwunden. Rette sich, wer kann.“

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