© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/13 / 29. März 2013

Haltungsnote
Luther auf der Anklagebank
Thorsten Brückner

Selten sind Lebensläufe ohne Brüche. Eines der prominentesten Beispiele dafür in der deutschen Geschichte ist zweifellos Martin Luther. Der große Reformator, der dem deutschen Volk Gottes Wort in der Muttersprache geschenkt und die Deutschen vom katholischen Werksglauben der damaligen Zeit befreite, hat auch eine dunkle Seite in seiner Biographie. Sein in späteren Lebensjahren immer virulenter werdender Judenhaß wird allerdings bis heute von der sich ansonsten kämpferisch gegen Rechts stellenden evangelischen Kirche geflissentlich übergangen.

Grund genug für die baden-württembergische Pfarrerin Sibylle Biermann-Rau, hier ein Zeichen zu setzen und zu mahnen, den Anfängen zu wehren. „Obwohl es gerade Anfang der 1980er Jahre eine Aufarbeitung in Kreisen der evangelischen Kirche hinsichtlich Luthers Judenfeindlichkeit gab, haben sich stets nur Einzelpersonen von Luthers Aussagen distanziert. Von seiten der EKD ist in dieser Hinsicht noch nichts passiert“, kritisierte die Autorin des Buches „An Luthers Geburtstag brannten die Synagogen“, nicht ohne auch noch eine Verbindung zum Nationalsozialismus zu ziehen, dessen geistiger Stichwortgeber Luther angeblich war. „Wäre Luther heute noch am Leben, so säße er ebenfalls auf der Anklagebank“, zitiert die Pfarrerin eine Äußerung von Stürmer-Herausgeber Julius Streicher von den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen.

Zu einer Differenzierung von religiös motiviertem Antijudaismus und nationalsozialistischem Rassenwahn hat es bei der Pfarrerin in ihrem Vortrag im nordrhein-westfälischen Stiftberg dann allerdings nicht gereicht. Die Kirche müsse sich, fordert die in aufklärerischer Mission durch die Republik tingelnde Biermann-Rau, als Ganzes von Martin Luthers Einstellungen distanzieren. Und das in der Lutherdekade! sogar eher hinderlich.

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