© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

Bluffen und Reizen in Pjöngjang
Nordkorea: Sollte der junge Kim Jong-un vor den Militärs sein Gesicht verlieren, könnte die Spirale der Drohungen rasch eskalieren
Christian Junkaris

Wenn Kim Jong-il Diplomatie betrieb, trug er gern große schwarze Sonnenbrillen. Das hatte seinen Grund, denn der nordkoreanische Diktator war ein begeisterter Pokerspieler. Nicht nur in seiner Freizeit, so wie sein eher unbekannter Sohn Kim Jong-nam, der beträchtliche Teile des Clan-Vermögens in den Casinos von Macau verspielt haben soll. Auch seine Politik betrachtete der Vorsitzende des „Juche“-(Eigenständigkeits)Regimes als einziges Bluffen und Reizen. Daß er dabei kein schlechtes Händchen hatte, beweisen zwei Tatsachen: Er hielt sich bis zum Tod fest an der Spitze eines unberechenbaren Militärapparates, und er bekam vom Westen zumeist, was er an Zugeständnissen verlangte. Für letzteres lernte er im Laufe seiner Jahre, sich nahezu perfekt in Szene zu setzen: Das Säbelrasseln übernahmen Generäle, deren Köpfe er als Geste des guten Willens dem Westen gegenüber als Bauernopfer rollen lassen konnte. Er selbst ließ sich lieber dabei ablichten, wie er die Auslagen von Supermärkten, Textilwebereien oder junge Verkehrspolizisten inspizierte.

Mit dem Tod des alten Kim im Dezember 2011 wurden die Karten jedoch neu gemischt. Sein Sohn und designierter Nachfolger Kim Jong-un, der selbst nie als Soldat diente, hatte sich nun von Grund auf neu der Armee zu beweisen. Insbesondere bei jenen Militärs, deren Pfründe beim Machtwechsel nicht wie erhofft ausfielen. Und ab dieser Stelle gerät die Geschichte ins Groteske.

Daß Nordkoreas Wirtschaft brachliegt, ist ein offenes Geheimnis. Die Industrie ist marode, die großen Städte von Hilfslieferungen aus dem Ausland angewiesen. Selbst Pjöngjangs umfangreiches Atomwaffenarsenal dient meist dazu, vom südkoreanischen Nachbarn Reis und Devisen zu erpressen.

Doch mit Kim Jong-ils Verscheiden verlor dieser Bluff an Zugkraft. Erstmals drängten die Vereinten Nationen auf Veränderung, verhängten kürzlich gar mit Hilfe Chinas, der letzten Schutzmacht der isolierten Diktatur, neue Sanktionen. Schlimmer noch für Nordkorea, Peking verweigert seit Februar sämtliche lebensnotwendigen Öllieferungen, welche sonst monatlich bis zu 50.000 Tonnen umfaßten. Ohne Öl und Devisen, um seine Gefolgschaft zu protegieren, sitzt Kim Jong-un jedoch wortwörtlich in der Falle.

Westliche Diplomaten verwunderte es von daher kaum, daß der junge Diktator sich nun martialischer inszenieren läßt. Beispielsweise vergangene Woche, als er ein Foto von sich in Planung mit vier Generälen veröffentlichen ließ. Bewußt gewählt, hing im Hintergrund eine Karte der Vereinigten Staaten, auf welcher gut erkennbar nordkoreanische Angriffspläne auf das Festland verzeichnet waren. Oder jenes Intermezzo, als er die Kommunikationskabel zu Südkorea zerschnitt und Propagandavideos über einen Blitzkrieg nach Seoul ausstrahlen ließ. Doch Kim Jong-uns neuester Bluff flog vor aller Welt peinlich auf: Erst kürzlich recherchierte die Nachrichtenagentur Reuters, daß die Bilder einer Landungsübung der nordkoreanischen Marine intensiv bearbeitet worden sind. Die Hälfte der beteiligten Schiffe wurden erst nachträglich mit Photoshop eingefügt.

Trotz alledem ist Südkorea gut beraten, Vorsicht walten zu lassen. Sollte Kim Jong-un sein Gesicht verlieren, könnte die Spirale der Drohungen rasch eskalieren. Die USA zeichnen dabei den Weg vor: Mit der Entsendung von Tarnkappenbombern und F-22-Jägern auf die koreanische Halbinsel hofft man auf militärische Abschreckung, und mit geheimen Verhandlungen in Peking auf eine anschließende diplomatische Lösung des Konflikts. Ob Kim Jong-un bis dahin im Kampf um die dringend benötigten Devisen – und seine Macht an sich – das Pokern wie sein Vater beherrscht, darf jedoch bezweifelt werden.

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