© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

Pankraz,
W. I. Lenin und das verlorene Vertrauen

Historisch verbürgt ist die Geschichte von jener staatlichen Abnahmekommission in Washington, die in eine Münzprägeanstalt kommt, um in feierlicher Zeremonie eine frisch geprägte neue Münze entgegenzunehmen und sie für die Öffentlichkeit freizugeben. Die Münze soll die Aufschrift „In God we trust“ („Wir vertrauen auf Gott“) tragen – aber als den Kommissionsmitgliedern die ersten Exemplare vorgestellt werden, steht darauf: „In Gold we trust“. Die festliche Veranstaltung mußte abgesagt werden.

Daran mußte Pankraz denken, als er jetzt dem ungeheuren Wehgeschrei zuhörte, das allerorten über die jüngste „Euro-Rettung“ auf Zypern angestimmt wurde. Die Retter hatten dort, ohne jemand zu fragen, schlichtweg die Konten der kleinen und mittleren Sparer plündern wollen, und in ganz Europa machte sich Entsetzen breit über diesen unerhörten „Vertrauensbruch“ der Politiker. Das Vertrauen der Geldanleger in die Seriosität der europäischen Banken und ihrer Retter, hieß es übereinstimmend, sei nun dauerhaft erschüttert, das werde sich nie wieder einrenken.

Das Mitleid von Pankraz hält sich in Grenzen. Wieso denn Vertrauensbruch? fragte er sich. Gott und Geld sind nicht identisch (obwohl das manche zu glauben scheinen), und wer an die Seriosität und Sicherheit von Geldgeschäften glaubt, ja ihnen geradezu sein Vertrauen schenkt, ist selbst dran schuld. Er gleicht einem Ferkel, das seinem Schlächter vertraut, weil der ihm so schön regelmäßig den Futtertrog füllt und ihm gelegentlich liebevoll die wachsenden Speckseiten streichelt. Des Ferkels Vertrauen ist nichts weiter als naive Vertraulichkeit, „der Zucker reiner Herzen“, wie schon Shakespeare spottete.Jeder hergelaufene Schurke leckt ihn gern auf.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, pflegte der Bolschewikenhäuptling Wladimir Iljitsch Lenin seinen Genossen bei ieder Gelegenheit zu predigen. In den alten, zu ihrer Zeit sehr beliebten „Fürstenspiegeln“ wurde der Fürst immer wieder davor gewarnt, zu vertrauensselig zu sein und, bitte, nur den allergediegensten Räten und Marschällen Vertrauen zu schenken. „Die Leichtigkeit, womit er (der Fürst) sein Vertrauen hingibt, kann ihn und sein Volk in das größte Ungemach stürzen“, hieß es etwa im „Lünig“ von 1728, dem wohl meistgelesenen Benimmbuch für junge Prinzen aus der Barockzeit.

Aber auch weniger strategisch, dafür mehr theologisch denkende Geister bleiben recht skeptisch gegenüber dem Vertrauen. Die Unterscheidung zwischen bloßer Vertraulichkeit und echtem Vertrauen zieht sich wie ein roter Faden durch die Literatur und Psychologie der Zeiten. Letzteres gilt als kostbares, doch leicht verderbliches Gut, das man immer wieder auffrischen, mit Erfahrung sorgfältig konfrontieren sollte. Denn der Antrieb zur Herstellung reiner Vertrauensverhältnissse liege nun einmal so tief in der Menschennatur, daß er allzu leicht von außen auf falsche Fährten geführt werden könne.

Mephisto in Goethes „Faust“, der Geist, der stets das Böse will und oft das Gute schafft, baut seine hinterhältigen Ratschläge, wie man am vorteilhaftesten über die Runden kommt, systematisch auf der Warnung vor spontaner, biederer Vertrauensseligkeit auf. „Erst wenn du nur dir selbst vertraust, weißt du zu leben“, verlautbart er. Und: „Erst wenn Ihr Euch nur selbst vertraut, / Vertrauen Euch die andern Seelen.“ Natürlich weiß er, daß mit dieser Einstellung, so lebensnah sie immer sein mag, kein ordentliches Zusammenleben möglich ist, höchstens Chaos und schlimme Tyrannei, doch genau darauf hat er es ja abgesehen.

Die ganze rechtsstaatliche Gesetzgebung ist im Grunde darauf abgestellt, diesen leider allzu naheliegenden mephistophelischen Ratschlag überflüssig zu machen, ihm gewissermaßen auf organisatorische Weise den Boden zu entziehen. Jedes erlassene und mit Sanktionen bewährte staatliche Gesetz ist ein solcher Schutzschild gegen mephistophelische Dreiviertelwahrheiten. Man soll ihnen, wenigstens in ihrem Einzugsbereich, wirklich vertrauen können – und man kann ihnen (in Rechtsstaaten) glücklicherweise auch weitgehend vertrauen.

Was aber die berüchtigte Euro-Zone betrifft, so liegt ihre Kalamität eben darin, daß sie kein Rechtsstaat ist, sondern allenfalls eine Art Räuberhöhle, in der einzig das Recht des Stärkeren respektive Großmäuligeren gilt, in der es einzig darum geht, wer am Ende die Zeche zahlt und wer am tiefsten in die Röhre gucken muß. Das ging bekanntlich schon mit dem Maastricht-Vertrag los, dessen sogenannte „Bail-out“-Regelung vorsah, daß keines der Euro-Mitglieder für die Schulden des anderen einspringen dürfe – und die sofort nach Einführung auf schnödeste Weise gebrochen wurde und weiter gebrochen wird.

Die verdutzten Euro-Besitzer, die sich jetzt nach der versuchten Sparer-Enteignung von Zypern so böse um ihr Vertrauen gebracht sehen, haben wahrhaftig – man möchte es kaum glauben – die Euro-Zone mit einem Rechtsstaat verwechselt, sogar mit einem demokratischen Rechtsstaat, in dem alle Gesetzgebung beim gewählten Parlament liegt und nicht bei irgendwelchen Bürokraten, die Parlamente für bloße Durchwink-Instanzen halten. Sie hingen der Meinung „In God we trust“ an und müssen nun einsehen, daß die Inschrift auf dem Euro „ In Money we trust“ lautet und daß das eine verlogene Inschrift ist.

Die Folgen werden verhängnisvoll sein, aber immerhin läßt sich schon jetzt daraus lernen, wie es in Politik und Wirtschaft mit dem Vertrauen wirklich bestellt ist. Wie sagte doch Lenin? „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Diese revolutionäre Devise stimmt hinten und vorne nicht, umgekehrt würde ein Schuh daraus: Mißtrauen ist gut, und deshalb sollte man lieber gewissenhaft und scharf kontrollieren, statt naiv zu vertrauen.

Denn wie sagt wiederum schon die Bibel (Psalm 118, 8/9)? „Es ist gut, mehr Gott zu vertrauen als den Menschen. Es ist gut, Gott zu vertrauen und nicht den Fürsten.“

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